Seite:Die Gartenlaube (1895) 424.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Verunglimpfung seitens der Frauen selbst nicht fehle, schreibt „die Gottschedin“: „Unsere Fakultäten kreieren, promovieren und krönen das teutsche Frauenzimmer trotz den Franzosen. Verschiedene haben ihre Wälder schon bald kahl gelorbeert. Man hat vor kurzem ein Frauenzimmer zum Doktor der Arzneikunst gemacht. Vermutlich will sie auch das Vorrecht erhalten und behaupten, einen neuen Kirchhof anzulegen.“ (Vgl. Zeitschr. f. weibl. Bildung, 1892, S. 306.)

Die zweite Hälfte unseres Jahrhunderts sah nun ja überall aus Gründen, die mit der ganzen sozialen Entwicklung eng zusammenhängen, deren Erörterung aber hier viel zu weit führen würde, die Frauen in das Berufsleben eintreten, das bisher als die Domäne des Mannes gegolten hatte. Zum großen Teil zwang sie bittere Not, zum Teil das Verlangen nach einem erweiterten Lebensinhalt. Die Geschichte dieser Bewegung zeigt hier und da überraschende Scenen; die Großmut und Hochherzigkeit einzelner Männer und Landesvertretungen bahnt den Frauen bei der ersten Bitte den Weg. Anderswo finden sie erbitterten Widerstand; am entschiedensten und dauerndsten in Deutschland.

Zuerst suchten die Frauen fast überall in die Medizin einzudringen als diejenige Wissenschaft, in der sie aus ethischen und gesundheitlichen Gründen am ersten festen Fuß fassen zu müssen glaubten. Nordamerika ging in der Frage voran. Im Jahre 1844 richtete eine Engländerin, Miß Elisabeth Blackwell, an alle 13 medizinischen Fakultäten, die die Vereinigten Staaten damals zählten, ein Gesuch um Zulassung zum Studium. Eine der 13, Geneva Medical College in New York, fand sich bereit, sie zuzulassen; die letzte Entscheidung darüber aber sollten die Studenten fällen. Diese hielten eine Versammlung ab und entschieden nicht nur zu Gunsten der Dame, sondern verpflichtetes sich zugleich, sich stets als Gentlemen ihr gegenüber zu zeigen, so daß sie niemals ihren Schritt zu bereuen haben sollte. Die l2 anderen Universitäten hatten Miß Blackwell entschieden abgewiesen; eine sprach von der „unerhörten Anmaßung, die die Antragstellerin mit dem Wunsch und der Hoffnung erfüllt hat, in einen Beruf einzudringen, der dem edleren Geschlecht vorbehalten ist“; eine andere meinte, daß es unpassend und unmoralisch sein würde, eine Frau in die Natur und Gesetze ihres Organismus eingeweiht zu sehen.

Auf die ritterliche Handlung der Studenten von Geneva College folgte noch manche unritterliche, bis den Frauen unbestritten das Recht zum Studium der Heilkunde und zu anderen gelehrten Studien in den Vereinigten Staaten zuerkannt wurde. Welches Resultat der Kampf schließlich gehabt hat, ersehen wir daraus, daß Amerika heute an 2500 Aerztinnen zählt; die Zahl der weiblichen Lehrer belief sich nach der letzte Zählung auf 191000 (gegen 104000 männliche).

In England begann der Kampf um das medizinische Studium um 1860. Miß Elisabeth Garrett (jetzt Mrs. Garrett-Anderson) ergriff das medizinische Studium und wurde auch zu den verschiedenen Prüfungen zugelassen, da man nicht glaubte, daß der Einzelfall weitere Folgen habe würde. Als aber mehrere Frauen ihrem Beispiel folgten, sah man die Sache anders an. Besonders zu Edinburgh, wo Miß Jex Blake mit einigen anderen Frauen Zulassung zur Universität nachgesucht hatte, kam es zu den häßlichsten Scenen; schließlich mußten die Frauen den Kampf dort aufgeben und nach London übersiedeln, wo sie in Verbindung mit Miß Anderson ein eigenes College: The London School of Medicine for Women eröffneten. Heute erfreut sich diese Schule des regsten Zuspruches; auch in Edinburgh und Glasgow sind solche Schulen eröffnet, Edinburgh zählt deren sogar zwei. Im Jahre 1894 waren die vier nur für Frauen bestimmten Schulen von 242 Studentinnen besucht. Außerdem werden Frauen zu den ursprünglich nur für Männer bestimmten Schools of Medicine in Dublin, Belfast, Cork und Newcastle zugelassen.

Die größte Schwierigkeit bot von Anfang an die Möglichkeit ausreichender klinischer Studien. Schon im Jahre 1877 ließ aber das Royal Free Hospital in London weibliche Studenten zu; heute haben die Frauen ein eigenes, vorzüglich eingerichtetes Hospital mit 42 Betten und einem großen Stab von Aerztinnen. Im vorigen Jahre wurden dort 446 Patientinnen verpflegt und in der mit dem Hospital verbundenen Poliklinik über 10000 Patientinnen behandelt.

In das British Medical Register sind jetzt über l50 Aerztinnen eingetragen. Noch viel bedeutender ist in England die Ausdehnung der Studien auf anderen Gebieten. Die dahin zielende Bewegung begann im Jahre 1869. In Hitchin in der Nähe von Cambridge hatten sich fünf Frauen zusammengefunden, die den Versuch machen wollten, das Aufnahme-Examen für die Universität zu bestehen. Aufs hochherzigste von einigen Universitätsprofessoren unterstützt, die an dem Versuch großen Anteil nahmen, gelang es ihnen, den Anforderungen zu genügen; die Zulassung zu den Universitätsstudien war damit selbstverständlich, und nach der üblichen Zeit bestanden alle ehrenvoll das mathematische, resp. klassische „Tripos“ (das schwierigste englische Universitätsexamen). Inzwischen war in der Nähe von Cambridge ein Stück Land gekauft und der Bau eines eigenen College unternommen worden, dessen Wachsen Professoren und Studenten mit Interesse und Wohlwollen verfolgten. Im Jahre 1872 wurde das Institut unter dem Namen Girton College eröffnet. Kurze Zeit darauf entstand Newnham College in Cambridge selbst; in Oxford wurden Lady Margaret Hall und Sommerville Hall gegründet. 1878 wurde die Universität London mit allen ihren Graden den Frauen eröffnet; 1886 The Royal Holloway College mit seiner fürstlichen Ausstattung. Zwölf Millionen Mark sind auf den Bau verwendet worden, den ein Privatmann den Frauen Englands zur Verfügung stellte.

Es würde zu weit führen, die Universitätsbewegung in allen anderen Kulturländern so eingehend zu verfolgen; eine kurze Aufzählung möge genügen.

Frankreich ist den Frauen sehr früh entgegengekommen. Von 1866 bis 1882 sind schon 109 akademische Grade an Frauen erteilt worden. Im Jahre 1893 studierten in Paris 423 Frauen, meistens Medizin und Naturwissenschaften. – Die Schweiz läßt auf ihren Universitäten seit 1867 Frauen als völlig gleichberechtigte ordentliche Hörer neben den Männern zu. Im Winter 1891/92 waren 242 Frauen dort eingeschrieben, etwa 190 hörten außerdem noch Vorlesungen. – Schweden ließ 1870 die Frauen zu; von 1873 ab können sie in den „schönen Wissenschaften“ und in der Medizin dieselben akademischen Grade erlangen wie die Männer. – 1875 folgte Dänemark, 1876 Italien. – Rußland hatte 1878 medizinische Kurse für Frauen eröffnet, die aus politischen Gründen eine Zeitlang geschlossen waren; 1892 beschloß jedoch der Reichsrat die Gründung eines medizinischen Instituts für Frauen in St. Petersburg. Im Jahre 1887 praktizierten in Rußland 550 weibliche Aerzte. – In Holland hatte dem Frauenstudium prinzipiell nie etwas im Wege gestanden; 1880 wurde in Amsterdam die erste Frau förmlich zum Studium zugelassen; Belgien ließ gleichfalls in demselben Jahre die erste Frau zu. Im gleichen Jahr bat auch in Norwegen die erste Frau um Zulassung zur Universität Christiania; nach den Statuten mußte sie zurückgewiesen werden. Ein Parlamentsmitglied brachte sofort den Antrag auf Zulassung der Frauen zum Studium ein; die Unterrichtskommission befürwortete ihn einstimmig; in den Häusern ging er mit einer Stimme dagegen durch. – In Spanien und Portugal verwehrt kein Gesetz den Zutritt der Frauen zu den höchsten Lehranstalten, wenn sie auch nicht sehr häufig von ihrem Rechte Gebrauch machen. – In Rumänien fand gleichfalls schon in der Mitte der achtziger Jahre die Zulassung der Frauen zu allen Studien statt; 1893/94 studierten in Bukarest 91 Frauen. – In Oesterreich ist den Frauen wenigstens mit besonderer Genehmigung des einzelnen Falles das Studium ermöglicht, wenn es auch noch allerlei Beschränkungen unterliegt.

Es bleibt von den großen Kulturländern übrig – Deutschland.


II. In Deutschland.

Schon seit einer Reihe von Jahren haben auch in Deutschland verschiedene Frauenvereine den Versuch gemacht, die Regierungen zur Freigabe der Universitäten für die Frauen zu bewegen. Bisher sind diese Versuche erfolglos gewesen. Reichstag wie Landtage gingen entweder über die Petitionen zur Tagesordnung über, oder sie erklärten sich in der Frage nicht für kompetent, oder, wenn sie sich günstig zu der Sache stellten – was neuerdings mehrfach der Fall war, vor allem in Preußen und in Baden – so wurde doch niemals der Angelegenheit genügend Nachdruck gegeben, um die Regierung zum Vorgehen zu veranlassen. In der Presse wogte dabei ein lebhaft geführter Streit darüber hin und her, ob Frauen überhaupt ein Studium, vornehmlich das der Medizin, durchzuführen imstande seien, ob sie insbesondere den Anstrengungen der Praxis gewachsen seien, eine Frage, die nicht nur anderswo, sondern auch in Deutschland längst praktisch gelöst war. Ohne nämlich auf die Freigebung des Studiums in Deutschland zu warten, hatten

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 424. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_424.jpg&oldid=- (Version vom 18.4.2024)