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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

stattfinden, sind geheiligt; während derselben soll keine Blutrache gelten und jedweder Kampf ruhen, denn der Pilger ist symbolisch auf der großen Reise in die Ewigkeit begriffen. Daher soll er auch im vorgeschriebenen Pilgerkleide einhergehen, einem leichentuchartigen weißen Ueberwurf, und unbedeckten Hauptes. Das letztere hat schon manchem nichtarabischen Pilgersmann, der die glühenden Sonnenstrahlen der Tehama nicht vertragen konnte, den Tod durch Sonnenstich gebracht. Allen Reichtum soll man fahren lassen. „Die Wallfahrt geschehe in den bekannten Monaten,“ sagt Mohammed in der zweiten Sure des Korans. „Wer in diesen die Wallfahrt unternehmen will, muß sich enthalten jedweder Lust, allen Unrechtes und eines jeden Streites während der Reise. Das Gute aber, so ihr thut, sieht Gott. Versehet euch auch mit dem Notwendigen zur Reise, doch das am meisten Notwendige ist Frömmigkeit; darum verehret mich, die ihr vernünftigen Herzens seid. Auch ist es kein Vergehen, wenn ihr Vorteile von eurem Herrn euch erbittet.“ Die mohammedanischen Ausleger haben aus dieser Stelle gefolgert, daß es den Gläubigen unverwehrt ist, auf der Pilgerreise vorteilhafte Handelsgeschäfte zu machen. Auch betont in derselben Sure Mohammed ausdrücklich den Wert des Handels und widerspricht der Anschauung, daß Kaufhandel gleich dem Wucher sei. Er sagt: „Gott hat den Handel erlaubt und den Wucher verboten.“ Das lassen die Pilger sich denn auch gesagt sein, halten sich dabei aber mehr an den ersten Satz als an den zweiten. Mit Kisten und Bündeln schwer bepackt kommen sie an, kramen in den Bazaren der heiligen Städte und in Dschedda, auch wohl häufig bereits unterwegs noch, einen unglaublich buntgemischten Plunder aus, und der Handel kann beginnen. Jeder Pilgersmann, der nicht gerade ganz bettelarm ist, bringt irgend einen Gegenstand des Verkaufes mit. Unterwegs ist die Karawane ein wandernder Markt, in Mekka und in Dschedda bilden die Pilger eigentlich ein Meßpublikum mit frommen Nebenabsichten. Viele wollen wenigstens so viel Profit herausschlagen, daß sich die Kosten der Reise damit decken; andere sind Kaufleute von Beruf. Von dem türkischen Zollamt ist vor mehreren Jahren einmal die Berechnung aufgestellt worden, daß unter den Pilgern von etwa 40000 Männern jeder für durchschnittlich dreitausend Franken Ware an den Platz mitbringt.

Straße in Dschedda.

Die einzelnen Pilger handeln mit leicht zu transportierenden Erzeugnissen ihrer Heimatländer. Die eigentlichen Kaufleute haben ganze Sortimente, unter denen die indischen namentlich eine große Rolle spielen und gute Geschäfte machen. Von der Malabarküste bringen sie viel Agila-, sogenanntes Aloeholz, die Moghrebiner vorzugsweise rote Mützen und wollene Mäntel (Burnus), die Mohammedaner aus Europa Schuhwerk, goldgestickte Pantoffeln, Seidenstickereien, Bernstein und seidene Beutel. Aus Kleinasien bringt man Teppiche, gewebte Seidenstoffe und Shawls aus Angorawolle, erzengt in Kurdistan, mit; die Perser ebenfalls Teppiche, seidene Tücher, buntbedrucktes Baumwollenzeug und Kaschmirshawls; die Hindu allerlei exotische Fabrikate und Droguen; die Pilger aus Yemen Schlangenhäute zum Ueberziehen für Pfeifenrohre, Sandalen und Lederwerk, und aus dem Innern Afrikas kommen – Sklaven. Sonst sind häufige Handelsartikel noch Silberarbeiten aus Damaskus, Seife von Aleppo, gedörrte Aprikosenschnitte aus Malatia und Amasia in Kleinasien, neben mancherlei europäischen Industrieerzeugnissen.

Als Rückfracht nehmen sie dann Landesprodukte mit auf den Weg, Perlmutter und Korallen von Dschedda, Kaffee aus Yemen, Henna, das gelbe Pflanzenmehl, mit welchem die Damen des Orients sich Hände, Füße und Haare färben, Straußenfedern, Weihrauch und allerhand Gegenstände, die von Pilgern aus einer anderen Weltgegend dahingebracht wurden.

Der Mittelsmann, welchen wir fast überall im Orient und bei Völkern von sehr verschiedenen Kulturstufen beim Abschluß von Handelsgeschäften in sehr mannigfacher Weise eingreifen sehen, fehlt auch hier nicht. Bei den Arabern ist er aber nicht immer gerade Makler von Beruf, wie wir ihn im Kaffeehause am Meïdan kennenlernten, sondern häufig der erste beste Mann, welcher sich gerade in der Nähe befindet und augenblicklich nichts anderes zu thun hat, beiden Teilen oft ganz und gar unbekannt. Der Verkäufer stellt niemals einen bestimmten Preis fest, sondern wartet ab, bis etwa die Hälfte der Summe geboten wird, für welche er loszuschlagen gedenkt. Dann spricht er: „Efta Allah“, „Gott ist gütig“. Der Andere legt eine Kleinigkeit zu und erhält dieselbe Antwort, so geht die Sache mit einigen Pausen eine Weile lang fort. Endlich will der eine nicht mehr bieten, der andere nichts mehr ablassen, und nun kommt die Angelegenheit an den dritten Mann, der bisher anscheinend teilnahmlos abseits stand, nun aber den Augenblick gekommen glaubt, um als Vermittler einzugreifen. Er tritt heran, ermuntert den Käufer zu einem höheren Gebot, stimmt den Verkäufer herab und handelt im Interesse beider Teile. Ueberzeugt er sich, daß beide zum Abschluß wirklich geneigt sind, dann nimmt er ihnen das Geschäft sozusagen aus der Hand, stellt einen billigen Mittelpreis fest, legt die Hände beider ineinander und zwingt mit sanfter Gewalt den Käufer zum Aussprechen der Worte: „Allah ibarek l'ek“, „Möge Gott es Euch gedeihen lassen“. Damit ist der Handel abgeschlossen und der erfolgreiche Vermittler bittet beide Teile um einen Bakschisch, der ihm auch selten verweigert wird.

In der Abendkühle spazieren wir am Strand und um die Stadt herum. Vor dreißig Jahren noch war Dschedda ein elendes schmutziges Nest. Die ersten indirekten Verdienste um die Stadtverschönerung erwarben sich die Engländer im Jahre 1858 dadurch, daß sie zur Strafe für das vorher dort unter den Christen angerichtete Blutbad die Stadt bombardierten. Nach der großen Choleraepidemie von 1865 wurde auch der Rest des Spelunkenlabyrinths von der türkischen Regierung niedergebrannt, und so entstand eine neue Stadt. Sie präsentiert sich nun, vom Meere aus gesehen, auch gar nicht übel.

An Stelle der einstigen Lehm- und Mattenbuden stehen solide

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 458. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_458.jpg&oldid=- (Version vom 10.10.2021)