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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)


Persönlichkeit. Also fort mit diesen abgestandenen Grundsätzen, die ja für solche, denen die Trauben zu hoch hängen, ganz gut sein mögen, die aber aus Deinem Munde immer etwas komisch geklungen haben.“

Weiter gelangte die Sprecherin nicht, denn in diesem Augenblicke kam ein Diener in den Gartensaal gestürzt und rief mit allen Zeichen des Schreckens: „Gnädiges Fräulein! Es brennt!“

Hella war sofort wieder Herrin ihrer selbst. „Wo?“

„In der Schneidemühle!“

Zugleich hörte man vom Gutshof herüber den Lärm, mit dem die Feuerspritzen angeschirrt wurden, und das Durcheinander erregter Stimmen. Hella lief ins Freie, wo ihr schon ein roter Schein am dunkeln Nachthimmel entgegenschlug. Ab und zu sah man über die Bäume des Parks hinweg jenseit des Wäldchens Flammen emporzüngeln.

„Der Fuchs soll für mich gesattelt werden!“ rief sie und eilte in ihr Schlafzimmer, um ihr seidenes Gewand mit dem Reitkleide zu vertauschen. Eine Viertelstunde später folgte die Gutsherrin in gestrecktem Galopp, den Reitknecht hinter sich, der Spritzenabteilung nach, die schon an Ort und Stelle war. Auf der Lichtung am Fluß angekommen, sprang sie aus dem Sattel und schickte den Reitknecht mit den scheuenden, wild gewordenen Pferden nach dem Gut zurück. Ein schauerlich schönes Bild bot sich ihren Blicken dar. Das Feuer fand reichliche Nahrung an den trockenen Holzvorräten der Mühle und loderte in hohen Flammengarben empor, das Wasser weithin rot beleuchtend. Zum Glück stand der Wind so, daß wenigstens der Wald und die rings aufgestapelten Bretter gesichert waren, auch erleichterte die unmittelbare Nähe des Wassers die Bemühungen der Löschmannschaft, deren schwarze Gestalten in dem Lichtmeer gleich unheimlichen Schatten umherhuschten. Zischend fuhren die nassen Strahlen in die Glut, und schwere weiße Dämpfe stiegen daraus empor, bis das verheerende Element an anderer Stelle sich aufs neue Bahn brach und schadenfroh mit frischer Kraft emporlohte.

Der Oberinspektor war selbst zur Stelle und leitete umsichtig die schwierige Arbeit. Plötzlich übertönte der gellende Schrei einer Frau das wüste Stimmengewirr. Es war die Müllerin, die wie außer sich nach ihrem ältesten Töchterlein rief. Kurze Fragen ergaben, daß das Kind schon mit der Mutter im Freien gewesen, aber wieder in das brennende Gebäude zurückgelaufen sei, um seine Lieblingskatze zu retten. In der allgemeinen Verwirrung hatte man nicht auf die Kleine geachtet, bis eines der jüngeren Geschwister erzählte, daß sie nach ihrer Katze gerufen habe und dann plötzlich ins Haus gelaufen sei, um sie zu suchen.

Eine Sekunde lang beherrschte lähmendes Entsetzen die Anwesenden, denn das nur aus Fachwerk aufgeführte Wohngebäude drohte jeden Augenblick zusammenzubrechen. Aus dem Innern drang kein Laut außer dem Krachen des brennenden Gebälks und dem Knistern der Flammen. Da kam Bewegung in die erstarrt Dastehenden. Ein Mann löste sich aus der Kette der Löschmannschaft und sprang auf das Wohnhaus zu, in dessen rauchender Thür er verschwand. Die einzige Vorsichtsmaßregel, die er in der Eile ergriffen hatte, bestand in einem nassen Sack, den er sich um Kopf und Schultern warf.

Hella, die einige Schritte seitwärts stand, fühlte, wie ihr Herzschlag sekundenlang aussetzte und dann mit stürmischem Klopfen wiederkehrte. Sie war dem Vorgang mit gespannter Aufmerksamkeit gefolgt und hatte an den Bewegungen Wildenberg erkannt. Eine tödliche Angst um ihn ergriff sie und drohte, ihr die Sinne zu rauben. Sie rang die Hände ineinander, und halb bewußtlos murmelten ihre Lippen ein kurzes Stoßgebet. Sie wollte unter die Leute springen, sie anspornen, dem Verwegenen nachzueilen, aber Füße und Lippen versagten ihr den Dienst. Doch die Leute wußten ohnehin, daß es sich hier um Tod und Leben handle, und richteten die Schläuche einzig und allein auf das Wohnhaus, das man schon dem Verderben preisgegeben hatte, um dafür das Mühlenwerk wenigstens zu halten. Bange Minuten verstrichen, die jeden eine Ewigkeit dünkten; kaum ein Laut drang über die Lippen der Draußenstehenden.

„Er kommt nicht wieder!“ murmelte irgend jemand halb verloren vor sich hin. „Der Rauch hat ihn erstickt.“ Andere wiederholten mechanisch die Worte, sie pflanzten sich von Mund zu Mund fort bis zu Hella hin.

„Tausend Mark demjenigen, der die beiden da drinnen aus dem Hause holt!“ rief sie heiser vor Erregung, mitten in den Kreis ihrer Untergebenen tretend.

Die Leute sahen sich um. Tausend Mark – das war für sie ein Vermögen! Aber dagegen stand fast sicherer Tod! Niemand regte sich. Hella biß die Zähne zusammen, und ihre Augen irrten verstört und angstvoll suchend umher. Zum erstenmal empfand sie die Ohnmacht des Weibes einem Kampfe gegenüber, der nur mit der überlegenen Kraft eines Mannes ausgefochten werden konnte. Da – die wankende Gestalt dort an der Thür, mit dem kleinen regungslosen Körper im Arm – das war Wildenberg! Ein dumpfer Schrei entrang sich ihren Lippen.

Geblendet und betäubt, mit versengten Kleidern, tastete sich Wildenberg vorwärts, stolperte über die Schwelle und fiel samt seiner Last vornüber zu Boden. Aber unzählige Hände streckten sich hilfsbereit nach ihm aus, und brausend stieg der begeisterte Zuruf der Menge zum Himmel empor. Wildenberg kam bald wieder zu sich, wehrte lebhaft weitere Hilfeleistungen ab und bemühte sich um das Kind, das noch Lebenszeichen gab. Hella hatte sich wieder zurückgezogen und saß still im Hintergrund auf einem Bretterhaufen; die Flammen beleuchteten grell ihr weißes Gesicht mit den starren düsteren Augen.

Gegen Morgen wurde man des verheerenden Elementes endlich Herr. Wohnhaus und Holzschuppen waren ein rauchender Trümmerhaufen, aber das Mühlenwerk wenigstens hatte gerettet werden können. Die Spritzen mit ihrer Mannschaft zogen heim, den Abgebrannten wurde im Schlosse Unterkunft bereitet; nur ein paar Leute blieben noch da, um Wache zu halten.

An die Stelle der blendenden Helligkeit war graue Dämmerung getreten, das vielstimmige Lärmen und Schreien hatte tiefer Stille Platz gemacht. Hella saß noch immer an derselben Stelle. Sie hatte dem Reitknecht befohlen, ihr nach dem Erlöschen des Feuers, das man von Strehlen aus beobachten konnte, den Wagen zu schicken, in der Verwirrung des Augenblicks aber mußte er den Befehl überhört oder mißverstanden haben, der Wagen kam nicht. Nachdem sie einige Zeit gewartet und schließlich fast allein zurückgeblieben war, entschloß sie sich, den Heimweg zu Fuß anzutreten. Es fröstelte sie, und sie schreckte gegen ihre Gewohnheit zusammen, als jemand sie anredete und ihr seine Begleitung anbot. Es war Wildenberg. Er war schon im Begriff gewesen, sich auf eine der heimkehrenden Spritzen zu schwingen, da hatte er die Gutsherrin einsam dasitzen sehen und war geblieben, um ihr seine Dienste anzubieten.

Hella wollte im ersten Augenblick seine Begleitung steif ablehnen, aber er machte ihr klar, daß das nächtliche Feuer eine Masse Leute aus der ganzen Umgegend angelockt haben werde, so daß der Weg durch den Wald, wenn auch nur kurz, doch nicht ohne Gefahr für eine Dame sei. Sie überlegte eine Sekunde lang, dann nahm sie sein Anerbieten an und erhob sich, um mit ihm zu gehen. Jetzt erst bemerkte sie, daß er die linke Hand mit einem Tuch umwickelt hatte, sein Bart war angesengt und die Kleider trugen große Brandflecken, aber sein Gesicht war heiter und er atmete die frische Morgenluft mit augenscheinlichem Behagen ein.

Hella betrachtete ihn verstohlen von der Seite, aber ihre Lippen blieben fest zusammengepreßt. Sie war nicht imstande, eine Silbe hervorzubringen über seine heldenmütige That und die Todesgefahr, der er entronnen war. Noch klangen die Worte der Gräfin in ihrem Ohr nach und stachelten ihren Stolz immer aufs neue an. Wie? Sie sollte sich in den ersten besten Mann verliebt haben, mit dem sie näher verkehrte? Sie, die den Beweis liefern wollte, daß eine selbständige Frau auch ohne diese eingebildete Thorheit und Gefühlsduselei durchs Leben gehen könne? Lächerlich! Und vielleicht war er selbst auch schon auf den Gedanken geraten, wer konnte das wissen! Die Männer besaßen alle ein gut Teil Eitelkeit, und unmöglich war es nicht, daß er ihr freundliches Wohlwollen falsch ausgelegt hatte. Nun, dieser Irrtum sollte ihm gründlich genommen werden!

Während das alles ihr durch den Kopf ging und eine unsichtbare Scheidewand zwischen ihnen errichtete, schritten sie schweigend nebeneinander durch den fast noch nächtlich dunkeln Wald. Es setzte ihn in Erstaunen, daß sie kein freundliches Wort für ihn hatte. Nach dem eben Erlebten und nachdem er dicht an der Grenze von Leben und Tod vorübergegangen, war ihm das Herz voll zum Ueberfließen, sehnte er sich nach herzlicher Aussprache.

(Schluß folgt.)

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 579. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_579.jpg&oldid=- (Version vom 20.7.2023)