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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

die Gärten hinweg dahin, wo neben der grau in den klaren Frühlingshimmel ragenden Ruine der Kevernburg das Vorwerk aus einem Kranz blühender Kirschbäume lugte.

Dort verwaltete einst ihr Vater Amt und Rentei. Sie meinte noch ganz deutlich seine frische Stimme zu hören, die durch die Scheunen und Ställe, Forsten und Felder hinschallte, die so ehrlich tief aus dem Herzen kam, wie es bei Hofe keine gab.

Keine?

Ihre Augen wurden träumerisch. Das Bild verblaßte, wandelte sich. Statt des Gutshofes sah sie im Geiste die Terrasse vor dem Schloß, statt maigrüner Knospen überall kupferrote Blätter vom blauen Himmel sich abzeichnen.

Die gesattelten Pferde stampften, das Gefolge der Fürstin ritt aus, um mit anzusehen, wie die Jägerei des Fürsten das Schwarzwild erlegte, das sich vom Thüringer Wald herab in den nahen Hain gezogen hatte.

Der Fürst, unpäßlich, vielleicht auch durch die Nähe der Augustenburg zurückgehalten, nahm nicht selbst teil, hatte nur Befehl gegeben, die benachbarten Dorffluren vor Wildschaden zu schützen. Aber die Augustenburger Hofgesellschaft gönnte sich das Schauspiel. Das Ziel war erreicht.

Der erste Kammerherr hatte eben gesagt: „Dieses Amüsement ist nicht nach meinem Gusto. An andern Höfen hält man Kampfjagden, wo Wölfe, Rinder mit Schwärmern an den Hörnern, Maulesel in den Schloßhöfen gegen einander losgelassen werden, während die Musik lustige Stücklein auf Jagdhörnern bläst und die Kavaliere von den Fenstern aus ihre Feuerrohre abschießen.“

Da rief eine frische fremde Stimme: „Das ist nicht Weidmannsbrauch. Rinder abzustechen ist Metzgerarbeit. Der Jäger rottet das Raubzeug aus und bei der Jagd auf Schwarzwild setzt er das Leben ein.“

Das war der neue Kammerjunker Konrad von Eichfeld.

„Roher Krautjunker!“ flüsterten achselzuckend die Hofleute um ihn herum.

Er aber ließ sich nicht irre machen. Es sah köstlich aus, wie er so verdutzt, fast mehr erstaunt als empört auf einem der kleinen Altane stand, die an den alten Buchenbäumen angebracht waren, von denen aus sie alle dem Schauspiel des Abfangens beiwohnen sollten.

Die Jagd brauste heran.

Der Oberjägermeister höhnte die Kavaliere aus, die durch ihre Lorgnetten herablugten: „Geben die Herren Wohl acht auf das Abfangen, damit Sie es kunstgerecht in Wachs bossieren können.“

Und ein Gelächter wie Höllengeister stimmten die Grünröcke an.

Ein starker Keiler mit mächtigen Hauern war von den Hunden gestellt.

Im selben Augenblick stand Eichfeld unten, die Saufeder, die er einem der Jäger entriß, vorgestreckt – sein Arm schien sich in Eisen zu verwandeln.

Das Jagdglück war ihm hold. Das grunzende Tier mit den kleinen blutunterlaufenen Augen nahm ihn an. Weidgerecht ließ er es auflaufen.

Aber – o, der unverzeihlichen Frevelthat! – ein Blutstropfen spritzte an den Sammetrock des ersten Kammerherrn. Und er war doch von der neuen Farbe bleu mourant! Tölpel! stand auf allen Gesichtern geschrieben.

Als sie heimwärts ritten, streifte sie den Handschuh ab, befestigte ein grünes Tannenzweiglein an seinem dreieckigen Hut und sagte: „Weiß der Junker nicht, daß bei Hofe ein Kampf auf Leben und Tod nichts ist gegen einen Rock von der neu erfundenen Farbe des ersterbenden Blau? Dann sollte der Herr so bald als möglich wieder heimkehren auf sein Eichfeld.“

Wie keck sie der Neuling anblitzte mit seinen grauen ehrlichen Augen. „Wünscht das Fräulein, daß ich gehe?“ fragte er etwas atemlos.

Sie hatte ihn forschend angesehen, und es machte ihr Vergnügen, wie er errötete bei ihrem Blick und dann, offenbar zornig über sich selbst, so trotzig ihn erwiderte, daß sie nun ihrerseits das Blut in den Wangen brennen fühlte und rasch antwortete: „Ich wünsche, der Herr Kammerjunker möge der Mann sein, für den ich Ihn halte. Dann wird Er ungefährdet bleiben können und schließlich über Achselzucken und Spott triumphieren.“

Ohne sich zu besinnen, entgegnete er: „Das Fräulein soll sich nicht in mir getäuscht haben. Ich verspreche es durch ehrlichen Handschlag.“

Wie gezwungen von dem Ton seiner Stimme, legte sie ihre Hand in die seine.

Kräftig und warm umschlossen sie seine Finger. Dann plötzlich, sein Pferd dicht an das ihre drängend, preßte er die Lippen auf ihre Hand, scheu zuerst und dann mit so wilder heißer Leidenschaft – wie viele Handküsse erlebte sie täglich, und die Erinnerung an den einen ließ ihr Herz noch heute stürmisch schlagen.

Und hatte er gehalten, was er damals versprach? –

„Es ist die Mode so,
Bei Hofe so zu leben,“

trällerte halblaut eine Stimme in der Tiefe der Galerie.

Bittrer Spott zuckte um ihre Lippen. Das war die Antwort auf ihre Frage.

Dort kam er heran, die Amethystknöpfe des orangefarbigen Rockes aufgerissen, die Perücke verschoben, daß eine Locke des hellbraunen Haares sich herausdrängte, widerspenstig sich aufbäumend trotz des Oeles, mit dem die Herren das eigene Haar dicht an den Kopf zu heften strebten, in der Hand einen Zipfel des spitzenbesetzten Schnupftuches, mit dem er sich Kühlung in das erhitzte Gesicht wehte.

„Schönste Kiliane,“ sprach er, und seine Zunge war schwer, die Augen loderten unstet, „es war nur ein Trabant – wieder kein Husar. Wie es scheint, satteln die angenehmen Tollköpfe auch schneller, als sie reiten.“ Er lachte, daß die schönen weißen Zähne unter den jugendlichen Lippen blitzten.

Erschreckt blickte Kiliane ihn an. Dicht an sie heran schwankte er. Offenbar! Er hatte einmal wieder zuviel von dem schweren Malaga getrunken.

„Das danke ich meinem Unglück im Spiel.“ Er kehrte die Rocktaschen um. „Alles fort – leer, wie ausgekehrt! Thut nichts! Point d'honneur will haben, daß man Aufwand macht. Je größer die Schulden, je größer der Herr! Bauern sparen.“

Kiliane schwieg entsetzt.

Er lachte. „Ja, man lernt etwas bei Hofe. Nur fechten nicht. Es ist gut, daß mir das unser alter Fechtmeister auf dem Eichfeldhof beigebracht hat. Denn“ – er faßte grimmig nach dem Degengriff – „wenn mir ein Husar in den Weg träte“ – seine Stimme wurde laut, drohend – „einer von uns müßte dran glauben.“

Kiliane erhob sich; sie war blaß geworden. „Still! der Junker befindet sich im Antichambre seiner Herrin, und ich sehe keinen Husaren, wohl aber den Mohren der Fürstin.“ Sie ging langsam nach dem andern Ende.

Er folgte, sie von der Seite mißtrauisch beobachtend. Aber er fand nicht wie sonst Spott in ihren Zügen. Es lag etwas wie verborgenes Leid auf der Stirn; der Mund zuckte leise schmerzlich.

„Habe ich das Fräulein gekränkt?“ fragte er mit überquellender Herzenswärme. „O Kiliane!“ Er lag vor ihr auf den Knieen und haschte nach ihrer Hand.

Sie zuckte plötzlich zusammen. Glitt es nicht, ohne daß sie etwas sah, wie glatter Schlangenleib an ihr vorüber. Das kostbare chinesische und japanische Porzellan, das auf kleinen Konsolen die Wand schmückte, schütterte leise.

Erstaunt, verwirrt schaute auch er um sich. „Ging da jemand?“ rief er.

Keine Antwort. Totenstille.

Kiliane lachte mit blassen Lippen. „Hat der Junker noch nicht gehört, daß es spukt im Schlosse?“

„Ammenmärchen!“ murmelte er, aufmerksam horchend. Es klang, als entferne sich ein leise schleifender Schritt, den er zu kennen meinte.

„Der blasse hagere Schleicher!“ kam es unwillkürlich über seine Lippen. „Er hat manchmal einen Blick“ – er drückte die Faust zusammen – „ich weiß, daß ich ihn noch einmal an der Gurgel haben werde.“

Kiliane erschrak. Dieser Ausbruch des Naturmenschen traf wunderlich zusammen mit dem eigenen unheimlichen Gefühl, das sie Severin gegenüber empfand.

Sie waren dabei aus der Galerie heraus getreten auf den Vorplatz, von dem eine launenhaft sich windende Doppeltreppe hinab nach dem Garten führte.

Von allen Seiten rauschten die Roben, klirrten die Galanteriedegen der Hofleute heran.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 598. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_598.jpg&oldid=- (Version vom 2.12.2022)