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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

verschmachten mußte. Manchmal, wenn wir in den Prachtsälen stehen, wo wir doch nur Dekorationen sind, wenn wir an fürstlicher Tafel Leckerbissen naschen, dann steigt er vor mir auf, der versunkene Schatz.“ Sie dachte an ihren Namen … Heim – Brot, ein Leben im eignen Heim!

Ihre weiche bebende Stimme hatte ihn ganz umsponnen; sein Blick hing an ihren Lippen. Er hätte vor ihr niederknieen, flehen mögen: „Komm mit mir in mein schlichtes Haus! Der versunkene Schatz – das ist das Glück zweier Herzen.“ Aber immer bis jetzt, wenn ihm das Herz überging, hatte er einen eisigen Strahl von Spott fühlen müssen. Die warmen Worte, die auf den warmen Ton antworteten, wagten sich nicht mehr über seine Lippen. Sie selbst hatte ihnen den Weg verschlossen.

„Ich vermag es nicht zu erraten,“ rief er ungeduldig. „Rede das Fräulein frei heraus. Und was es auch sei, ich schaffe es. O, der Wechsler in Plaue giebt Kredit, und wenn er nicht ausreicht,“ – einen Augenblick lief ein Zucken über sein Gesicht; aber dann setzte er doch rauh hinzu: – „so verkaufe ich den Eichfeldhof.“

Ihre Augen hafteten starr an ihm; es war, als versteinerten ihre weichen Züge. Deshalb war er heute früh ausgeritten! Sie hatte ihn den Weg nach Plaue hin galoppieren sehen. Beim Wucherer dort war er gewesen! Ein Weh zog über ihr Gesicht, als ersterbe etwas in ihr.

Dann brach sie in tolles Gelächter aus, bei dem ihr die Thränen aus den Augen stürzten, und rief: „Ich wußte es wohl! Was arme thörichte Herzen glauben hüten zu müssen wie ein Heiligtum, ist einem Hofkavalier – Lappalie! Eh bien, auch mir ist, was mir der Junker bieten kann – Lappalie.“ Sie streichelte der Sphinx die Tatzen. „Schwesterchen, das Rätsel ist nicht gelöst. – Herr Junker von Eichfeld à Dieu!“ verabschiedete sie sich kalt.

Mit dem Fuße stampfend, blieb Eichfeld zurück.

Kiliane ging langsam in die Anlagen hinein.

Es war ganz still hier; kein Halm bewegte sich. Nur fernher tönte das Rauschen der Fontainen. Steifgeschnittene Fichtenpyramiden umstanden sie in abgemessenem Kreis. Die Luft schien schwer von dem Hauch der jungen Triebe, die an den Bäumen hervorsproßten wie auch ein Vogel die gestutzten Flügel hebt. Die spitzen Wipfel ragten gleichförmig in den Abendhimmel, dessen Rot so glühend über ihnen lag, als sinke von ihm herab die heiße Schwüle.

Ihre Lippen zogen sich mit spöttischem Zucken empor. Hohn über die Närrin, die überspanntes Zeug wie ein simples Bürgermädchen träumte! In deren thörichtem Kopf die Grille sich festgesetzt hatte, den Junker von Eichfeld immer sich vorstellen zu müssen im schlichten Rock des Landedelmannes, seine Felder besichtigend, auf seinem Hofe befehlend und wetternd, die Hand, ein treufester Schutz, über Haus und Familie haltend.

Er wollte ganz sein wie die andern.

Sie bewegte den Kopf, als werfe sie etwas zu dem Kehricht des Lebens.

Da dünkte es sie, als wehe ein fremdartiger, fast feierlicher Duft an sie heran wie ein geisterhafter Gruß, der sie beängstigte.

Und jetzt tönte eine gedämpfte Stimme neben ihr: „Ich habe das Rätsel gelöst.“ Es klang wie ein Triumph.

Sie wandte sich rasch um.

Severin stand, ein dunkler Schatten, neben einer Pyramide.

Als ihr Blick ihn traf, irrte sein Auge ab.

Das Weib fühlt immer, wenn ihr Wesen den Mann beeinflußt, wie ein Komet die Atmosphäre des Planeten, dessen Bahn er kreuzt.

Das Grauen, das sie vor dem Mönch empfunden hatte, schlug in ihrer verzweifelten Stimmung um in eine grausame Freude an der Qual anderer.

Sie sah auf seine fest niedergeschlagenen Augen. „Was hilft es mir?“ sagte sie mit ihrem reizenden Lachen. „Kann der Herr mir bieten, was ich ersehne?“

Er schwieg. Kein Atemzug ward laut. Sein Gesicht blieb farblos.

Endlich sagte er mit einem Flüstern, das sie heiß umwehte: „Ich weiß eine Stätte, wo beides in einem zu finden ist für die Zeitlichkeit und Ewigkeit!“

Sie lachte ausgelassen. „Das sieht meinem Schicksal ähnlich, immer pikant! Nur nichts Alltägliches. Der Edelmann, dem das Rätsel aufgegeben war, partet mit Wucherern und der es löst, ist ein –“

Das Wort wurde nicht ausgesprochen: Severin blickte auf und sie an.

Starr sah sie in seine Augen. Ein Schauder schüttelte sie, und sie trat scheu einen Schritt zurück.

Im nächsten Augenblick war Severin hinter den dunklen Fichten verschwunden. Der Weihrauchduft verwehte.

Wie mit gelähmten Gliedern schleppte sie sich dem Schlosse zu.

Der Blick ging ihr nach. Unendliche Qual lag darin und – gewaltsam unterdrückte Glut.

Warum schenkte sie dem Moralprediger Struve Gehör? Nahm die Maske ab, die ihr bisher so gute Dienste geleistet hatte?

Der Lohn war eine herbe Enttäuschung und jener Blick mit seiner Enthüllung.

Es war ihr recht geschehen. Wer sein Schicksal nicht wandeln kann, soll nicht in seine Tiefe sich versenken. Lieber weiter hinflattern über den Sumpf in lustiger Jagd, die Tage verbringen ohne Rückschau, ohne Voraussicht!

In den Gängen schallten noch lachende rufende Stimmen.

Sie schlich durch die Seitenpforte hinauf, vorsichtig auf den Fußspitzen über den Korridor, auf den auch die Zimmer der Wachsbossierer führten.

Plötzlich hielt sie an – was war das?

Ein Stöhnen drang heraus, und dann – fielen da nicht dumpfe Schläge – wie von einer Geißel?

Ihre Züge blieben hart. Der eine geißelt sich, die andere lacht. Jeder hilft sich, wie er kann.

Allons, wieder hinein in die Maskerade des Lebens!

(Fortsetzung folgt.)


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Gesprächige Frauen.

Von Rudolf Kleinpaul.

Die Gesprächigkeit der lieben Frauen ist eigentlich bekannt. Es giebt Indianerstämme, wo die Weiber eine ganz andere Sprache haben als die Männer; zum Beispiel bei den Kariben auf den Kleinen Antillen war es so. Gewöhnlich sprechen die Frauen nicht gerade anders als die Männer, aber meist mehr als die Männer. Die letzteren behaupten das nämlich – sie thun so, als ob die Frauen einerseits die Eitelkeit und den Spiegel, anderseits die Sprache gepachtet hätten, obgleich ich auch männliche Plaudertaschen und dafür Frauen kenne, die ein Geheimnis zu bewahren wissen. Auch unter uns leben Naturen vom Schlage der Porcia, der charakterstarken Gattin des Brutus. Aber die Herren der Schöpfung gefallen sich darin, die Thaten für sich in Anspruch zu nehmen und den Frauen die Redseligkeit zu lassen. Sie machen es wie Milton. Der englische Dichter war dreimal, und dreimal unglücklich verheiratet. Seine erste Frau ging ihm durch, seine zweite Frau starb ihm, seine dritte Frau verbitterte dem erblindeten Greis die letzten Lebensjahre. Von der ersten hatte er drei Töchter, die er notdürftig erzog, aber keine Sprachen lernen ließ. Man wollte ihn tadeln, doch er meinte betrübt: „Ach, eine Sprache ist schon genug für Weiberzungen!“

Zu gunsten dieser Art Gesprächigkeit, deren Wesen und Wert der verbitterte Dichter offenbar verkannte, möchte ich heute meinerseits etwas gesprächig werden. Ich meine mit meiner Aufschrift nicht Frauen, die viel sprechen, sondern die viele Sprachen sprechen – von alten und modernen Sprachenköniginnen möchte ich etwas erzählen. Diese sind gewiß selten, die Männer mögen sagen, was sie wollen. Frauen, die vieler Sprachen mächtig sind und nicht nur so ein bißchen Französisch oder Englisch gelernt haben, imponieren schon; sie werden schon zu den höher Gebildeten gerechnet. Zwar sind heutzutage Sprachkenntnisse infolge des vielen Reisens auch unter den Frauen ungleich verbreiteter als sonst und bereits auf den Töchterschulen und Pensionaten ein Gegenstand liebevoller Pflege. Aber als am Ende des 17. Jahrhunderts Aurora Gräfin von Königsmark, die Geliebte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 618. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_618.jpg&oldid=- (Version vom 15.12.2022)