Seite:Die Gartenlaube (1895) 675.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

einfachen Kleides bewiesen, daß sie bei aller Bescheidenheit Wert auf eine gefällige Erscheinung lege.

„Wir haben doch auch mit den uns umgebenden Verhältnissen zu rechnen, die wir weder durch fröhlichen Glauben noch durch tüchtige Arbeit ändern können,“ sagte Magda endlich langsam.

„Aendern können wir sie nicht, aber heiter tragen,“ sprach er. „Herzchen, Du denkst an Deinen kranken Vater und willst mir von ihm sprechen. Nur heraus mit allen schwarzen Gedanken, damit ich sie davonjage.“

„Frau von Eschen hat Dir angedeutet …“ begann Magda.

„So einigermaßen.“

Welche Erleichterung! Magda hatte in schweren Stunden über eine richtige Einleitung nachgegrübelt.

„Papa ist sehr elend,“ sprach sie schnell, als wollte sie das Schreckliche nur erst hinter sich haben. „Wenn er gesund wäre, würde er gütig, liebevoll, bedeutend sein, wie er – ja wie er früher gewesen ist. Und Du dürftest einen gerechten Stolz empfinden, Dich seinen Schwiegersohn nennen zu können. Aber jetzt ist er nur ein Schatten seines Selbst. Er hat kein Gedächtnis mehr für die Ehren und Freuden, die das Leben ihm einst gebracht. Er haßt die Menschen, er kann niemandes Anblick vertragen außer dem meinen und etwa ein paar Menschen, an die er gewöhnt ist, wie Hortense, unseren Freund Nicolai, das Dienstmädchen und den Doktor. Wenn ich ihm sagte, daß ich mich verheiraten wolle – so auf einmal, mit jemand, den er nie sah – das gäbe fürchterliche Erregungen. René, ich hätte gestern Deine süßen Worte nicht anhören dürfen, Dir nicht sagen dürfen, daß ich Dich liebe, denn ich kann Dein Weib nicht werden – noch nicht. Du mußt auf mich warten, lange vielleicht, sehr lange.“

Sie brach in Thränen aus. Sie stand und weinte in ihr Taschentuch. Der eigene Schmerz, die Gewißheit, das holde, schöne Glück, das ihr so nahe schien, noch für unsichere Zeitfernen von sich zurückweisen zu müssen, mischte sich mit der Angst, wie er diese Offenbarung aufnehmen werde. Er würde an ihrer Liebe zweifeln und den Zwang der Kindespflicht nicht ganz verstehen. Er würde voll Leidenschaft das Geschick verwünschen, das ihn zum Warten verdammte. Sie zitterte vor seinem ersten Wort. Wenn es eins des Zornes wäre! Wenn sie ihn verloren geben müßte, den kaum Gewonnenen und namenlos Geliebten!

Er schloß sie in seine Arme und zog ihr das Taschentuch vom Gesicht.

„Nun siehst Du, da können wir gleich den fröhlichen Glauben brauchen, für die Zukunft, an die Zukunft. Vielleicht ist es besser so, auch für mich. Denn ich bin ein schlechter Haushalter gewesen, ich muß es gestehen, es kann sogar sein, daß ich Schulden habe. Und meinem Frauchen will ich doch das Leben leicht und glänzend gestalten. Und das bißchen Namen, das ich habe, ist mir auch noch zu gering. Es sprießt erst eben in Keimen, das Lorbeergrün – und es soll eine ganze, volle Krone sein davon, die setz’ ich Dir dann auf. Ich habe ’was vor – ’was Großes! Mir ist, als müßte ich’s erreichen – ein Musikdrama. Das erzähle ich Dir ein andermal. Nun lache nur, habe mich lieb. Alles andere findet sich. Dein Vater gewöhnt sich an mich. Ich spare und schaffe. Und endlich wirst Du mein, ich Dein.“

Er brachte das alles sich überstürzend hervor und bedeckte Magdas Gesicht mit leidenschaftlichen Küssen.

Sie blieb wie betäubt. Das Erstaunen über seine unerwartete Haltung mischte sich seltsam mit der Glücksempfindung, die seine Leidenschaft ihr gab. Und auch als er sich ein wenig beruhigt hatte, hinderte die ihr eigene Bedenklichkeit sie, ihre Furcht und nachherige Ueberraschung auszusprechen. Sie ahnte nicht, daß ihre Bedenklichkeit ihm gegenüber größte Klugheit war und daß er nichts mehr haßte, als Aufschlüsse über sein Wesen geben zu sollen.

Sie streiften weiter durch den Wald. René war von einem unbändigen Freudegefühl erfaßt; seine Heiterkeit ging wie Sonnenglanz auch auf Magda über. Sie sprachen hundert thörichte und einige verständige Sachen.

Daß man sich in Leopoldsburg nur mit einiger Vorsicht sehen wolle, in Magdas Atelier und in Hortenses Haus, damit die gute Residenz sich nicht vorzeitig über die Verlobung aufrege und diese dann als noch nicht dagewesene Ueberraschung wirke; daß Magda jedesmal in die Oper gehen solle, wenn René dirigiere – sie war so selten dagewesen bis jetzt und zumeist wenn Herr Viebig, der zweite Kapellmeister, am Pult stand, denn Hortense schenkte ihren Logenplatz nie weg, wenn René zu thun hatte. Aber nun wollte Magda leichtsinnig werden und sich manchmal eine Theaterkarte kaufen. Hierüber entstand ein Streit, denn René beanspruchte es als sein Recht, ihr die Karten zu schicken, was Magda nie anzunehmen sich verschwor. Sie versöhnten sich schnell und mit den heißesten Küssen. Dann fragte René mit einer Strenge, die Magda beseligte, nach Nicolai, von dem sie als „ihrem Freund“ gesprochen. Ob es der Maler, der verrückte Nicolai sei.

Ja, er war es und die Freundschaft war durch die Ateliernachbarschaft entstanden.

René zog die Geliebte näher an sich, sie saßen grade auf einem gestürzten Baumstamm nebeneinander am Wege und René hatte mit seinen nervösen, schlanken Fingern ein Farrnblatt zerpflückt. Er warf die Reste von sich und rief: „Das freut mich nun, daß Du mit dem armen Nicolai gut bist. Ich kenne ihn genau, und ich bin einer von denen, die ihm keine Furcht machen. Sonst ist seine feine Seele immer zitternd – überall fühlt sie sich roh angegriffen. Er ist ein besonderer Mensch und er wird nicht verstanden, was schließlich das Alltagslos der Besonderheit ist. Wie er die Welt sieht und wie er sie malt, das wird von vielen komisch gefunden. Mich erschreckt es und dauert es. Nicolai ist nicht robust genug, um das Leben auszuhalten, er wird wund, wenn es sich an ihn herandrängt. Armer Kerl! Die Menschen untereinander, das ist im Grunde etwas Fürchterliches, Herzensliebste! Du hast mit Deinen Frageaugen noch so wenig in das Getriebe geblickt. Ich sage Dir, eine Persönlichkeit haben, heißt tausend Verleumder, Neider und böswillige oder dumme Mißversteher haben. Und keine Persönlichkeit haben, heißt wiederum: nicht leben. Zartheit und Güte allein findet man in dem Herzen, das uns liebt.“

Magda sah ihn glücklich an. Ihr schien es, als habe er gute und kluge Worte gesprochen.

„Und Dir thut die Welt nicht weh?“ fragte sie.

„Zuweilen – ganz kurz. Ich habe kein Talent zum Leiden. Ich schlage wieder, wo es nötig ist, um mir Bahn zu schaffen. Sonst laß ich die Angreifer und den Tagesärger neben mir herlaufen wie ein kläffendes Hündchen, das mich nicht beißt.“

Magda wünschte ihm zu sagen, daß sie ihm eines Tages allen Aerger aus dem Wege zu schaffen hoffe, daß sie ihn ganz verstehen, ganz in ihm aufgehen werde. Aber ehe sie dazu kam, sprang er auf, sah nach der Uhr, und mahnte: „Wir müssen heim.“

Er ging neben ihr, den Hut ein bißchen im Genick, daß die dunklen Haare vorn unter dem Rande hervorquollen, und hakte sie ein.

So schlenderten sie in übermütiger Stimmung dahin, sich loslassend, wenn der schlechte Weg es forderte, sich eiligst wieder erfassend, wenn sie zu Zweit schreiten konnten.

Vor dem „Seehof“ ging Hortense von Eschen schon auf und ab, das freie Haupt mit dem aschblonden Haar durch einen Sonnenschirm schützend, dessen Stiel über ihrer Schulter lag und dessen Rand sie an der einen Seite erfaßt hatte.

„Nun, Kinder,“ sagte sie, „zu fragen brauche ich nichts.“

Magda fiel ihr um den Hals. Ueber den braunen Kopf hinweg sah Hortense in Renés Augen, ernst und bittend. Er nickte ihr ein Versprechen zu. Sicher, Magda sollte den Tag nicht bereuen, er hoffte es von Herzen.

Nun setzten die Beiden ihr auseinander, wie sie die Beschützerin der möglicherweise langen heimlichen Verlobung sein solle.

„Da mutet Ihr mir etwas Schreckliches zu,“ sagte sie voll Unbehagen. „Das wird eine Intimität zwischen uns Dreien geben, die das Ende der Freundschaft heraufbeschwört.“

Das wollte weder René noch Magda für möglich halten.

„Ganz gewiß,“ versicherte Hortense mit ihrer drolligen Ernsthaftigkeit, „ich darf nicht intim werden. Sie sind sozusagen mein Schützling, René – ein dummes Wort, denn ein Mann, der ’was kann, fördert sich immer selbst und die Anteilnahme ist nur Ernte, die sein Können hält. Ja, was wollte ich sagen: also ich habe Sie sozusagen auch lieb, obgleich Sie ein Schlingel sind und es nicht immer verdienen. Und Magda ist mir so ein Vermächtnis von ihrer Mama und ich hab’ Dich auch lieb, Kind – aber intim waren wir schließlich nicht. Seht, so wie ich jemand nahe bin, mit gegenseitigen Rechten, fängt bei mir die Leidenschaft zu regieren an. Ich bin zu herrschsüchtig, es muß nach meinem Kopf und nach meinen Erfahrungen gehen. Und dann ist bald der Krach da.“

„Wir wollen gehorchen,“ bat Magda.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 675. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_675.jpg&oldid=- (Version vom 1.4.2020)