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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Auskunft. „Jedes männliche Wesen ist ausgeschlossen. Nicht einmal der Bediente darf präsentieren. Erst nachdem die feierliche Handlung vorüber ist, wird mir gestattet, meine Aufwartung zu machen.“

Während dieser Erklärung hatte eine Ordonnanz von dem die Besatzungstruppen kommandierenden Major ein Schreiben mit dem weimarischen Siegel gebracht.

Und auch dieses Schreiben entwölkte die Stirn des Lesenden. Krainsberg lächelte rätselhaft, als er es in seine Brusttasche steckte.

Dann fragte er: „Wann findet die geheimnisvolle Handlung bei Seiner Demoiselle Braut statt?“

„Uebermorgen abend.“

Darauf klirrte der Husar pfeifend in sein Zimmer.


Auch Bärbchen Marei war zu der Festlichkeit geladen worden.

Magdalene hatte darauf bestanden; sie wollte gern ihre eifersüchtige Anwandlung gut machen. Und Bräuten wird immer der Wille gethan.

Die Preiselbeerröte der Wangen Bärbchen Mareis war vergangen in den wenigen Wochen.

Keine Nachricht war von Mühlhausen gekommen. Aber der Vetter blieb lange aus; das ließ vermuten, daß seine Sache – gut stand, dachte sie, während ihr Herz sich zusammenzog.

Wo hätte auch der Sebastian sich vergeblich angeboten?

Während sie geräuschlos hin und her flog, ihren bescheidenen Staat zu ordnen – die Strümpfe mit den bunten Zwickeln, die Schürze aus weißem Nesseltuch erinnerte noch an ihre ländliche Herkunft – dachte sie daran, daß vielleicht auch in Mühlhausen jetzt eine glückliche Braut sich putzte, um den Verspruch mit dem einzigen Sebastian zu feiern.

Sie mußte sich schmal machen in den Altjungfernstübchen der Muhme; denn diese bedurfte des ganzen Platzes. Die Wedemannin war die kunstfertigste Haubenmacherin für die Bürgerfrauen der Stadt. Keine andere verstand so feindinnig die Haubenfleckchen zu wählen: für die junge lustige Frau einen beflitterten Schmetterling, für die alte Witwe ein Zweiglein Singrün.

Alle Stuhllehnen hingen voll schwarzseidener breiter Bänder, die mit dem nötigen Leim bestrichen waren; die schwarzen Spitzenbarben zischten auf dem Tisch unter dem Brenneisen.

Auf dem Deckel eines Clavicords, das dicht in die Fensterecke geschoben war, hatte das junge Mädchen einen Waldstrauß ausgebreitet, den die Botenfrau von Gehren ihr mitgebracht hatte. Sie band zarte Heideblüten zu einem kleinen Kopfschmuck zusammen und in das Sträußchen am Mieder fügte sie ein paar Fichtenzweiglein. Die hatten hoch vom Berg herab geschaut auf das bemooste Schindeldach der Schule, wo sie unter Sang und Klang aufgewachsen war, auf die Kirche, deren Orgel ihr zuerst die mächtigen Gedanken Sebastians in die Seele gebraust hatte, und auf die stillen Ruhestätten der Eltern. Ein Thräne fiel auf das Sträußchen.

„Ist das ein armseliger Kopfputz, den Du da zusammen stoppelst!“ tönte es vom Tische her, wo die ehrsame Jungfrau nun vor einem Haubenkopf saß, der die Mütze trug. „Die Waisenmutter schenkte Dir gewiß aus dem Garten ein paar Blumen. Es blüht so schöne feuerrote Männertreu dort – freilich, die hält sich nicht.“ Sie sagte es ohne Bosheit. Sie war ja ganz darein vertieft, daß die Schleifen recht bolzgerade auf die Haube kamen.

Bärbchen Marei, die vor dem kleinen Spiegel die Heidezweige ausprobiert hatte, ließ, wie von einem Schlag getroffen, die Arme sinken.

„Man sitzt gar zu eng in der Stube, seitdem Dein Clavicord darin steht,“ mäkelte die Muhme, ein langes Band in den ausgebreiteten Armen ausspannend. „Daß Du es aber auch immer mit Dir herumschleppst! Verkaufe doch den alten Kasten.“

Bärbchen Marei hielt beide Hände über das kleine Instrument. „Ich das Clavicord verkaufen, das der Vater selbst gebaut hat?“ rief sie. Darüber durfte sie doch wenigstens offen weinen.

Sie setzte sich davor und strich über die Tasten; ein leises Getön antwortete.

Da flüchtete sie sich mit ihrem Jammer dahin, wo ihrer Sippe Heimat war: in die Welt der Töne.

Leise griffen ihre Hände klagende Akkorde, stille Weisen, die das braune Gehäuse unter ihres Vaters Händen schon ausgehaucht hatte.

Das Fenster war geöffnet. Zuweilen zog auf warmer Luftwelle der Duft der Sommerblumen im Waisenhausgarten herein – der zarte Geruch der schnell vergehenden Männertreu. Er that ihr weh.

In schmerzliche Gedanken versunken, fand sie, fast ohne es zu wollen, die Melodie, die ihr damals auf dem Pfarrhof aus Sebastians Stube entgegengetönt war.

Die Thränen rannen unaufhaltsam über ihre Wangen.

Da – sang plötzlich eine schöne Baßstimme, richtig einsetzend: „Siehe, ich stehe vor der Thür und klopfe an.“

Ihre Hände blieben in der Luft schweben – einen Augenblick nur – dann antwortete jubelnd das Waldvöglein: „Sei willkommen, Du edler Gast.“

Die Thür fuhr auf, Sebastian herein. Sie umarmten sich, noch die letzte Strophe auf den Lippen. Und als sie in der Seligkeit mit der linken Hand aussetzte, schlug er mit kräftigem Finger den Baß an.

„Ich bin Kantor in Mühlhausen, und Du wirst meine kleine Kantorin.“

Die Muhme stand mit aufgehobenen Händen hinter ihrer fertigen Haube. „Und die Töchter von dem alten Kantor?“

Er lachte auf. „Der brave Mann hat nur Jungen gehabt.“

„Und Du, Bärbchen Marei, willst es wirklich wagen mit diesem Musikanten, der nirgends Ruhe hält?“

Bärbchen lächelte ihren Schatz selig an. „In einem Tannennest bin ich aufgewachsen, auf einem schwanken Zweiglein habe ich hier Unterschlupf gefunden; nun baue ich mir – beliebt’s Gott! – wie die Schwalbe ein Nest an der Kirche in Mühlhausen.“


Als der wichtige Abend herein dämmerte, trugen zwei Diener die Portechaise des Kanzlers nach der Superintendentur.

Kiliane saß darin mit flackernden Augen und glühenden Wangen.

Ja, sie hatte sich wieder hineingestürzt in die Komödie des Lebens. Wie ein schöner wilder Kobold wirbelte sie unter dem Hofstaat der Augustenburg herum.

Sie wußte, daß sie seit jener denkwürdigen Kirchenfahrt bei ihrer Durchlaucht schlecht angeschrieben war. Aber es berührte sie nichts mehr. Ihre Lippen kräuselten sich zu spöttischem Lächeln, wenn Augusta Dorothea ihr ungnädig den von großer Watteaufalte umrauschten Rücken zukehrte; sie lachte, als der blasse Severin ein Kreuz vor seinen düstren Augen schlug, da sie, vom leichten Pudermantel umflattert, im Korridor an ihm vorüber flog; und am grellsten lachte sie über den Junker von Eichfeld.

Es wollte ihr zwar ins Herz schneiden, wenn sie den verzehrenden Blick der grauen Augen so voll Schmerz auf sich ruhen sah. Aber sie wandte sich kalt von ihm ab: der armselige Wicht verdiente kein Mitleid.

Auch heute hatte sie ihn durch ihre Nichtbeachtung gequält, während sie ihren erbittertsten Widersacher, den ersten Kammerherrn, so lange umschmeichelte, bis er nicht mehr widerstehen konnte und ihr zu einer Fahrt in die Stadt bei der Oberhofmeisterin Urlaub erwirkte.

Verfallen, blaß schaute Konrad zu, wie der stelzbeinige Mann sie nach der Kutsche geleitete, ganz berauscht von ihren schmachtenden Augen.

Als das lange Gefährt sich in Bewegung setzte, rief sie zum Fenster hinaus: „Ich fahre zu einer Brautvisite in die Superintendentur.“ Wie wurde das eben noch schmunzelnde Gesicht der falschen Hofschranze grünlich vor Wut!

Ueber Konrads bleiche Züge zuckte ein schadenfrohes Lachen. Ach, auch das wollte ihr weh thun!

Auch ihr Oheim, der Kanzler in seiner Krankenstube, machte ein langes Gesicht, als er hörte, daß sie das Haus des aufstutzigen Geistlichen betreten wolle. Sie wehte ihm mit ihrem Fächer Kühlung zu und heizte ihm zugleich mit der Sorge ein, daß sein Arbeitspferd Struve durch die Nichtbeachtung der Braut am heutigen Tage störrisch werden und dann er selbst unter einem Aktenberg ersticken müßte.

Da sah der gravitätische Mann an seiner langen Nase herab und sagte: „Man schweige und thu’, was man will. Ich weiß von nichts.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 682. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_682.jpg&oldid=- (Version vom 22.3.2023)