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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)


Als die Portechaise an der Superintendentur niedergesetzt wurde, kam Magdalene dem Hoffräulein entgegen, diesmal mit herzlicher Freundlichkeit.

Der harte Blick drang heute aus Kilianes Augen. Sie deutete auf die weiß und rot gestreiften Tapetenrosen, die ihr blauseidnes Kleid, die hohe Frisur überreich schmückten, und sagte: „Ein Präsent Ihres Monsieur Bräutigams.“

Aber bei dem sanften Lächeln, mit dem Magdalene antwortete, preßte sie die Lippen zusammen. So weich, so gut werden die Menschen, wenn sie glücklich sind.

Dann balancierte sie ihr Flügelkleid zur Hausfrau. „Da mein Oheim, der Kanzler, keine Töchter hat, die am heutigen Tag der Braut seines Geheimsekretärs Beistand geleistet haben würden, bitte ich mich an Stelle derselben anzunehmen.“

Die Brautmutter drückte ihr innig die Hand.

Aber Kiliane fing den dankbaren Blick nicht auf. Sie rauschte in die Visitenstube hinein, wo die jungen Mädchen versammelt waren.

Ein duftendes Sträußchen auf dem Toupet, am eckigen Ausschnitt des Leibchens und in den Händen, eine immer hübscher als die andre, saßen sie auf den Kanten der Stühle, flüsterten nur und nippten kaum an den Mandeltorteletten und dem festlichen Getränk, welches nach dem wackren Hausgerät, das man zur Bereitung brauchte, „Dreifuß“ genannt wurde.

Jetzt war es vorbei mit dem Kerzengeradesitzen. Kiliane kannte alle vom Puppenverein her, zu welchem die Fürstin zuweilen die Frauen und Töchter der Honoratioren lud.

Sie neckte die schwarzäugige Tochter des Kammerrats damit, daß sie bei dem letzten Fischfest am Schloßteich sich mit Fleiß den Fuß verstaucht habe, um von dem hübschen Kammerschreiber auf dem Schiebebock nach Hause gefahren zu werden, und die beiden blauäugigen Kinder des Amtmanns, daß sie nicht wußten, ob der junge Subkonrektor die Aelteste oder Jüngste meinte, wenn er ihnen seine Verse vorlas.

Und wie eine unternehmende Bienenkönigin, den ganzen summenden Schwarm hinter sich herziehend, flog sie in die Wohnstube hinein, wo das Werk des Abends vollbracht werden sollte.

Die Tafel in der Mitte trug die große Bibel, ein mächtiges Tintenfaß und Streifen handfesten Papieres.

Ringsum türmten sich auf Schemeln und Körben hochaufgestapelt neue Betten.

Fieke stand mitten unter ihnen, den Fingerhut aufgesetzt, die Nadel mit dem gewichsten Faden an das Kamisol gesteckt; denn die letzte Naht war an jedem Bettstück noch zuzunähen. Vorher aber mußten, altem Gebrauch gemäß, zwischen die Federn Zettel mit frommen Sprüchen versenkt werden. Das brachte Glück; die Wahl dieser Sprüche war ein ernstes Geschäft, und dazu war der Beistand der jungfräulichen Freundinnen der Braut erbeten worden.

Kiliane blies lachend in eines der mächtigen Bettstücke, daß die Flaumen herumflogen. Dann trat sie zu der großen Bibel.

Auch die andern jungen Mädchen kamen heran; es schloß sich ein Kreis um das ehrwürdige Buch.

Die Dunkelheit war früh hereingebrochen. Ueber dem steilen Dach der Oberkirche stieg eine Gewitterwolke herauf, aus der feuriger Schein zuckte.

Die Flammen der brennenden Kerzen wehten leicht in der Luft, welche durch die der Schwüle wegen geöffneten Fenster zog.

„Wollen die Demoiselles nicht lieber däumeln?“ riet Fieke flüsternd, damit es die Hausfrau in der Stube daneben nicht hörte. „Da findet man wahrsagende Sprüche.“

Magdalene wollte wehren. Däumeln war eigentlich verboten.

Aber Kiliane hatte sich schleunigst von Fieke über die Kunst unterrichten lassen, klappte schon die Bibel auf und drückte den Ballen des Daumens auf eine Stelle.

Aber sie fuhr zurück, als habe sie sich verbrannt. „Meine Harfe ist eine Klage geworden, und meine Pfeife ein Weinen,“ las sie; während ein Wetterschein über die Tafel huschte, als züngle eine blaue Flamme nach der Heiligen Schrift.

Einen Augenblick schwiegen alle erschrocken. Kiliane trat zurück.

„Ich will aufschlagen!“0 „Ich!“0 „Ich!“ rief es ringsum.

Mit glühenden Köpfchen, eiskalten Fingerchen stürzte sich die jugendliche Schar auf die Bibel.

Einen Schrei rief der Spruch der Schwarzäugigen hervor: „Du setzest sie aufs Schlüpfrige und stürzest sie zu Boden.“

Das reife Christelchen brach in Thränen aus, als ihr das Wort zuteil wurde: „Ich bin wie eine Rohrdommel in der Wüste.“ Dieser Hohn auf ihre gescheiterten Hoffnungen!

Auch Fieke schlug fürwitzig nach und las: „,Es ist genug zu diesem Leben, wer Wasser und Brot hat.‘ – Nicht einmal das Heilige Buch verlangt mehr, und ein Bürgermeister darf auf hundert Meißenschen Gülden bestehen!“ belferte sie und schob Bärbchen Marei die Bibel zu.

Aber diese schüttelte lächelnd den Kopf. „Mir ist mein Sprüchlein in die Wiege mitgelegt worden, die in dem engen Musikantenstübchen stand: ,Sehet die Vöglein unter dem Himmel.‘“

„Sie hat recht,“ sprach Magdalene mit warmem Blick auf das Kantorentöchterchen. „Weshalb suchen wir auf verbotene Weise in der Bibel, während wir einen Schatz von schönen Sprüchen aus ihr geschöpft haben?“

Sie schloß die silbernen Klammern des mächtigen Buches, faltete die Hände darüber, wie sie, der Augapfel ihrer Lehrer, stets in der Schule gethan hatte, und sprach, ohne sich zu besinnen: „Bete und arbeite!“

Die schrifterfahrenen Freundinnen des Subkonrektors griffen nach den Federn und schrieben zierlich; die noch immer zitternden Finger streckten sich dienstfertig aus, um die Zettel in die Betten zu versenken, und emsig nähte Fieke die letzten Nähte zu.

Vor den schönen kernigen Sprüchen, die alle Gottvertrauen und strenge Pflichterfüllung, Ergebung in Gottes Willen und Genügsamkeit geboten, schwand die leichtsinnige Regung, welche danach getrachtet hatte, ein Zipfelchen vom Schleier der Zukunft zu lüften.

„Und nun zum Schluß,“ sagte Magdalene mit fester Stimme, als es an das letzte Stück, ein mächtiges Kopfkissen, kam: „Ein gut Gewissen ist ein sanft Ruhekissen. Amen.“

„Amen!“ sprachen die jungen Mädchen laut und freudig nach.

Nur eine schwieg und starrte finster wie in das Leere: es war Kiliane.

Als die Mutter jetzt ihr Kind küßte, wandte sie sich jäh ab.

Das Werk war vollbracht. Die Mädchenschar zog sich wieder in die Visitenstube hinüber.

Da kam auf den Wellen der schwülen Gewitterluft, mit dem zuckenden blauen Schein ein Klirren näher, immer näher.

Jetzt rasselte es auf dem Pfarrhof, rhythmischer Schritt erklang, vor der Hausthür verstummte er plötzlich mit klirrendem Absetzen.

Es kam die Treppe herauf, ging empor nach dem Zimmer des Hausherrn.

Atemlos hatten die Frauenzimmer gelauscht.

„Da haben wir das Unglück, das sich durch die Sprüche angezeigt hat,“ sagte Fieke, welche stets zuerst die Sprache wieder bekam.

„Nein!“ lachte Kiliane gewaltsam auf, nachdem sie zum Fenster hinaus geschaut hatte. „Da haben wir die Husaren. Zwei halten die Hauspforte besetzt mit gezogenen Säbeln.“

„Zwei bewachen uns,“ flüsterte Fieke, durchs Schlüsselloch lugend.

„Was mögen sie wollen?“ fragte beklommen die Hausfrau.

Die durch das ganze Haus dröhnende Stimme ihres Gatten gab Antwort: „Der Herr Rittmeister bringt mir den Befehl Seines Herrn, des Herzogs von Weimar, daß ich denselben in das Kirchengebet schließen soll als Oberherrn dieser Stadt und Landschaft? Ich habe meinem Herrn, dem Fürsten von Schwarzburg, Treue geschworen und diesen Eid breche ich nicht. Das vermelde der Herr Rittmeister Seinem Herrn. Und damit: Gott befohlen.“

Die Schritte kamen die Treppe wieder herab, aber ganz flott und leicht. Die schroffe Abfertigung bekümmerte den jungen Offizier offenbar wenig.

Ein Kommando, mit klingender Stimme gegeben, und die Husaren marschierten ab. Dann fragte dieselbe Stimme das zusammengelaufene Gesinde: „Ist es dem Rittmeister von Krainsberg erlaubt, der Frau Superintendentin seinen Respekt zu bezeigen?“

Die Hausfrau faßte sich. Es war am klügsten, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Sie ging dem Eindringling entgegen und bat ihn, näher zu kommen.

Mit klirrendem Schritt, verbindlich sich verbeugend, trat er über die hohe Schwelle.

(Fortsetzung folgt.)


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 683. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_683.jpg&oldid=- (Version vom 28.3.2023)