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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Fundament wird dann um eine eiserne Spindel der Kern der Form aufgemauert und mit Lehmschichten überzogen. Dann befestigt man an der Spindel die Schablone, ein Brett, dessen nach innen gekehrte Schmalseite nach dem Profil, das die Glocke erhalten soll, ausgeschnitten ist. Indem nun diese Schablone um die Spindel beständig gedreht wird, erhält die Lehmmasse – der Kern – die richtige Form. Ist das geschehen, so wird der Kern mit einer Fettschicht überzogen, damit die später aufzusetzende Lehmschicht nicht an ihm anhaftet, und alsdann in langsamem Kohlenfeuer gründlich ausgetrocknet. Damit ist der erste Teil der Arbeit zu Ende gebracht.

Nun wird von der inneren Seite der Schablone das Holz in der Stärke heruntergeschnitten, welche der Wandstärke der zu gießenden Glocke entspricht, und mit der so veränderten Schablone eine neu aufgetragene Lehmschicht abgedreht. Diese letztere, die also genau die Form und Gestalt der Glocke hat, führt in der Handwerkssprache den Namen „das Hemd“. Auf dem Hemd, das sich vom Kern stückweis abheben läßt, werden in Wachs oder stark gefettetem Lehm die Inschriften und Verzierungen aufgesetzt, die den Schmuck der Glocke bilden sollen. Ist auch das geschehen, so geht es an die Herstellung des dritten Teiles der Form, des Mantels. Auch er besteht aus mehreren Lehmschichten, aber in seinem Inneren birgt er ein Gerippe aus gebogenen Eisenstäben, das ihm festen Halt giebt. Ist auch er durch langsames Feuer gründlich ausgetrocknet – bliebe in ihm Feuchtigkeit zurück, so wäre unter Umständen eine Explosion zu befürchten – so wird er an den vorstehenden Stabecken des Gerippes in die Höhe gewunden, nachgesehen und verputzt. Alsdann wird das Hemd, das nun seine Schuldigkeit gethan hat, zerschlagen und der Mantel über den Kern gesetzt. Der leere Raum, der sich an Stelle des Hemdes zwischen den beiden jetzt befindet, ist nun die Form, in welche die Glocke gegossen wird. Oben in den Mantel wird schließlich das sogenannte Kronenstück angesetzt, das die Eingußkanäle für das flüssige Metall und Oeffnungen enthält, durch die die eingeschlossene Luft entweichen kann. Dann ist die Herstellung der Gußform vollendet.

Schmelzen des Metalls (Geschützrohre).   Bau der Gußrinne: Eindämmen der Form.
Vor dem Guß.

Das alles war schon längst geschehen, als wir die Gießerei betraten. Die vier Formen standen fertig in der Dammgrube und diese selbst war von den Arbeitern des Herrn Ulrich mit Sand und Lehm angefüllt und fest zugestampft. Im Schmelzofen aber brodelte und zischte in weißer Glut das Metall, aus dem die Glocken gegossen werden sollten, das Glockengut.

Die Mischung der Metalle, aus welchen die Glocken gegossen werden sollen, beschäftigten einst sehr lebhaft die Fachleute. Man stellte allerlei Versuche an, bis man schließlich fand, daß Kupfer und Zinn allein genügen, um den schönsten Wohllaut zu erzielen. Im allgemeinen nimmt man heute auf 8 Teile Kupfer 2 Teile Zinn, während in älteren Glocken die Mischungsverhältnisse andere sind und außerdem manchmal noch Beimengungen von Blei, Zink, Eisen oder Nickel nachgewiesen wurden. Sehr verbreitet war ehemals die Ansicht, daß eine Zugabe von Silber den Wohllaut und die Reinheit des Glockentones erhöhe; man hat aber nur ausnahmsweise in der Metallmasse alter Glocken Spuren von Silber nachweisen können und die Annahme ist sehr berechtigt, daß Glockengießer, die Silber von ihren Auftraggebern annahmen, dieses einfach unterschlugen.

Sehr häufig geschah es auch, daß Kanonen zu Glocken umgegossen wurden; diese Sitte kam im siebzehnten Jahrhundert auf und so überließ Tilly elf bei Magdeburg eroberte Kanonen der Kirche Mariä Himmelfahrt in Köln zum Glockengusse. Da jedoch die Geschützbronze wenig Zinn enthält, muß in solchen Fällen dem Material vor dem Gusse noch Zinn zugesetzt werden. So gab zum Gusse der großen Glocke für St. Stephan in Wien Kaiser Joseph I. im Jahre 1711 330 Centner Kanonenmaterial von 180 eroberten türkischen Geschützen und der Magistrat der Stadt Wien 40 Centner reines Schlaggenwalder Zinn. Andrerseits wurden in Kriegszeiten Glocken zum Gießen von Kanonen verwendet.

Schon im Jahre 1414 sah sich Kurfürst Friedrich I. von Brandenburg genötigt, im Kampfe gegen den märkischen Adel Glocken der Marienkirche zu Berlin in Büchsen umgießen zu lassen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 685. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_685.jpg&oldid=- (Version vom 24.7.2023)