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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

von Waldheim, den Kommandeur des in Leopoldsburg garnisonierenden Regiments, vermietet, und somit befand sich ein Wachtposten und ein Schilderhaus neben ihrem Hausthor, was ihr sehr wohlgefiel.

Im ersten Stockwerk hatte sie in den großen Sälen und Gemächern alles aufgestapelt, was ihr aus der gräflich Trachschen und der Familie Eschen an Möbeln, Bildern und Silber zugekommen war und was ihr eigenes, nicht geringes Luxusbedürfnis im Lauf der Zeit hinzugetragen. Dies alles, sowie der Besitz des Hauses selbst machte sie sehr ungeduldig. Aber sich von der Last zu befreien, den Ueberfluß zu verkaufen und ein internationales Reiseleben anzufangen, wie sie es ersehnte, dazu war sie wieder nicht energisch genug.

„Es giebt ja Körper von indifferentem Gleichgewicht – ich bin so einer. Wo das Schicksal mich nun ’mal hingelegt hat, bleibe ich liegen,“ sagte sie.

Und so behielten die Leopoldsburger in ihr eine Mitbürgerin, die Geld unter die Leute und Leben unter die Menschen brachte.

Wenn die Saison begann, was in Leopoldsburg mit dem Beginn der Oper nach den Ferien der Fall war, konnte man sicher sein, die Fenster des Trachschen Hauses alsbald vom Lichterglanz der ersten Festlichkeit erhellt zu sehen. Diesmal besann Hortense sich ein wenig.

Die heimliche Verlobung Renés mit Magda Ruhland war ihr eine Art Unbequemlichkeit, in die sie sich hinein verwickelt fühlte. Ihr war es, als trüge sie da eine Verantwortung mit und müßte das Ihrige dazu thun, daß alles sich zum Besten wende. In ihrer regen Phantasie hatte sie schon einen Plan ausgearbeitet: sie wollte Renés Schulden bezahlen – sicher hatte er einige – und Magda eine Aussteuer schenken; die alte Excellenz konnte in eine Anstalt gethan werden, wozu die Pension gerade reichte. Aber sie fürchtete, René würde das nicht annehmen und Magda sich dem letzteren widersetzen. Gern hätte Hortense das arme Kind wenigstens von den äußerlichen Schwierigkeiten befreit. Denn sie sah die Verbindung mit René für Magda als ein sehr unruhvolles Glück an; in der Form der Verlobung vielleicht noch mehr als in der Form der Ehe.

Als Hortense nun die erste Einladungsliste entwarf, fiel ihr ein, daß sie wohl fortan Magda immer mit René zusammen einladen müsse und daß Magda sich dann unfehlbar verraten würde. Sie beschloß, Magda aufzusuchen und ihr zu sagen, daß es wohl gescheiter sei, René und Magda würden, bis eine Veröffentlichung der Verlobung erfolgen könne, ab und zu allein zum Mittagessen kommen.

Während der Heinnreise hatten die beiden Frauen kaum daran gedacht, die kleinen äußerlichen Fragen zu erörtern. René war am Tag nach dem großen Ereignis abgereist, er hatte schon beim Beginn seiner Ferien für den Schluß derselben mit einem Freund eine Reise nach Frankreich verabredet gehabt.

Daß er sie nicht aufgab, daß er das neue jubelnde Glück nicht ausleben wollte, war der erste Schmerz gewesen, den Magda durch ihn erfuhr.

Er hatte ihr gesagt, daß er allein sein müsse, seines Werkes wegen, mit dem er sich trug, daß jenes Freundes Nähe ihm nur alle Reiseunbequemlichkeiten aus dem Wege schaffe, ihn geistig aber einsam lasse, daß hingegen ihre Nähe ihn ganz beschäftige und von seiner Schöpfung abziehe.

Sie erinnerte sich plötzlich deutlich der einsamen Stunden ihrer Mutter. Der Vater hatte im Ministerium zu thun, hieß es dann. So war dies immer und in jedem Beruf dasselbe? Die Frau hat schweigend zurückzutreten?

Ihr Herz faßte aber Hoffnung, daß ihre Nähe René fördern und nicht mehr stören werde, wenn sie sich erst ganz ineinander hineingelebt haben würden.

Und seine Briefe durften ihr den Abglanz seiner Gegenwart bringen!

Er schrieb nur zweimal einige kurze Zeilen, inhaltsvoll zwar durch die ernste, gehaltene Zärtlichkeit, die Magda tiefer beglückte als große und viele Worte. Aber sie hätte aus den Briefen von seinen Gedanken, seiner Arbeit, seinen Reiseeindrücken gern erfahren mögen. Und davon stand nichts darin. Es war, als gehöre Magda nicht in sein Leben, als sei sie etwas außerhalb desselben.

An dem Tage nun, als Hortense sich auf den Weg machte, befand sich Magda in einer namenlosen Aufregung.

Es war der fünfzehnte September. René mußte gestern von seinem Nachurlaub heimgekommen sein, oder gar vorgestern, denn er sollte heute den „Lohengrin“ dirigieren und er mußte doch Proben abhalten. Die ersten vierzehn Tage hatte die Residenz sich mit Schauspielvorstellungen und italienischen Opern unter Herrn Viebigs Leitung begnügt. Für den heutigen Abend war das Theater ausverkauft. Magda hatte sich tagelang vorher einen Platz bestellt und bis zum endlichen Erwerb der Karte eine Aufregung empfunden, als hinge eine Lebensentscheidung daran. Er war da und er war noch nicht zu ihr gekommen!

Sie fiel ihren Schülerinnen durch ihre Hast und Unrast auf und die vier jungen Damen, die je zu zwei an einem Tische saßen, hatten schon gefragt, ob sie krank sei.

Das Atelier befand sich drei Treppen hoch, in einem Prachthause der Ringstraße, das sich eines schönen Treppenhauses mit Oberlicht erfreute. Der Raum lag nach Nordwesten und war eigentlich ein Hinterzimmer der halben Etage, die Ruhlands bewohnten. Es hatte aber einen besonderen Eingang vom Flur. Nebenan, auf der Zwillingsthür stand der Name „Nicolai“, wie auf der ihren „Magda Ruhland“.

Die Ruhlandsche Etagenhälfte bestand aus zwei Vorderzimmern, deren eines die alte Excellenz als Schlafgemach hatte, während das andere der Salon war, an den ein halbdunkles Eßzimmer stieß. In dem einen kleinen Hinterzimmer neben der Küche schlief Magda, das große mit der Thür zum Treppenhaus war eben ihr Atelier. Es hatte zwei große, gardinenlose Fenster. An jedem stand ein länglicher Holztisch, daran zwei Damen nebeneinander saßen, damit sie beide Licht von links bekamen. Zu ihrem Kummer hatten die Schülerinnen von ihren Kolleginnen nur die Rückenansicht, was die Unterhaltung sehr erschwerte. Denn sie verhandelten hier allen Klatsch und alle Ereignnisse ihrer Kreise mit jugendlicher Wichtigkeit. Manchmal gebot Magda Ruhe; aber nur wenn sie zuletzt klagte, es mache ihr Kopfweh, schwiegen die jungen Damen.

Sie waren alle nur hier, um sich Mittwochs und Sonnabends den Vormittag zu vertreiben, und malten für ihre Familienangehörigen Tassen, Fächer, Kästen und Vasen, wobei Magdas nachhelfender Pinsel das Beste that. Die älteste Schülerin zählte dabei nur zwei Jahre weniger als die vierundzwanzigjährige Magda und das ganze Verhältnis ward mehr als ein freundschaftliches angesehen. Magda erhielt auch oft Einladungen in die Familien dieser jungen Damen, aber sie hatte allmählich aufgehört, sie anzunehmen, denn ihrem Feingefühl war es nicht entgangen, daß man Ton und Aufmerksamkeit ein wenig gegen sie herabgestimmt hatte, seit ihr Vater nicht mehr amtierender Minister war.

So unmerklich freilich herabgestimmt, daß eine Natur mit gröberen Organen es gar nicht gespürt haben würde. Magda aber .hatte einen „sechsten Sinn“ für dergleichen.

Im Atelier, nach der Thür zu, hatte Magda einen bescheidenen Versuch gemacht, malerische Behaglichkeit herzustellen. Eine breite Ottomane befand sich in der einen Ecke, ein schöner Ueberwurf war darüber gelegt, aus weißen, blauen und orangefarbenen bunt durchwirkten Streifen zusammengestellt. Und darüber, an der Wand, hingen zwischen Skizzen von Magda und einem Gemälde von Nicolai allerlei orientalische Raritäten. Hortense hatte ein maurisches Tischchen, zwei schöne Stühle und einen Teppich gestiftet, so war die Ecke ganz wohnlich und obendrein durch eine japanische Wand von dem andern Raum abgeteilt.

Ein durchdringender Geruch von Terpentin und Nelkenöl schwebte in dem Raume.

„Ach bitte, Fräulein Ruhland, sehen Sie ’mal, wie scheußlich.“ – „Du, Magda, vorzeichnen mußt Du mir den kleinen Buben, Figuren kann ich und kann ich nicht.“ – „Fräulein Magda, soll ich hier Kasseler Braun nehmen?“ – „Guck ’mal, Magda, mein Edelweiß sieht grad’ aus wie ’n Johanniterstern.“

Nicht so geduldig wie sonst ging sie hin und her und beugte sich über die jungen Schultern.

Er war da! Seit gestern oder vorgestern, und er war nicht zu ihr gekommen!

Während sie das sperrige Edelweiß, das die kleine Sibylle Lenzow auf einen Stein malte, in der Form verbesserte, guckte Sibylle gar nicht zu, sondern sagte, das schwarze Titusköpfchen halb wendend:

„Hans, bist Du auch auf dem Ball bei der Gräfin Wallwitz?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 690. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_690.jpg&oldid=- (Version vom 14.12.2022)