Seite:Die Gartenlaube (1895) 754.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Fieke lachte. „Märten liegt längst im Bett, das der Herr Sekretarius ihm angewiesen hat.“

Struve zog den schweren Goldring mit dem Chrysopras vom Finger und legte ihn in ihre Hand. „Das sei ein Unterpfand meines Dankes. Ich löse ihn mit hundert Meißenschen Gülden ein.“

Fiele schrie auf. „Ich danke schön, Herr Sekretarius.“

„Und nun so schnell als möglich fort,“ sagte die Superintendentin. „Die Nacht ist weit vorgeschritten. – Er muß mit Seiner Eheliebsten in Sicherheit sein, Herr Junker, ehe die Boten von der Augustenburg hier anklopfen.“

Fieke schnürte „mit Verlaub“ Braten und Kuchen in ein Bündel. „Nehmen Sie nur, Fröl – nee Frau von Eichfeld. Wenn der arme Mensch eben denkt, er habe nur ein Herz, so zeigt ihm plötzlich der Magen durch eine Ohnmacht an, daß er auch da ist. Nun adjes!“

Das Gartenpförtchen that sich auf, und über die Kartaunenleiter stieg der Herr von dem Eichfeldhof mit seiner jungen Ehehälfte hinab. –

Das ehrenfeste Struvesche Pärchen ging in sein wohleingerichtetes Haus, in dem auf Veranstaltung der Superintendentin die alte Köchin wachte.

In einer Hand trug der Sekretarius ein Laternchen, an dem andern Arm hing seine junge Frau, die ihrerseits den Schlüsselbund würdig mit sich führte. –

Der Morgen graute schon, als das flüchtende Paar die letzte Anhöhe hinaufstieg, wo auf einer von niedrigem Höhenzug umgebenen Hochebene das Eichfeld lag. Sie hatten ein tüchtiges Stück Weg in der schwülen Nacht zurückgelegt; aber sie waren nicht ermüdet.

Da stand schon der Grenzstein der Eichfelder Flur.

Es war steiniger Boden, der tüchtig gepflügt werden mußte: einförmige Aecker. Aber die Heimat redete in der vertrauten Sprache zu dem zurückkehrenden Kinde. So hatte der Wind hier immer über die Aehren geflüstert, der blühende Thymian am Wegrain geduftet.

Jetzt erhob sich aus dem Dämmerlicht ein schattenhaftes Dach; spitz, steil, mit riesigen Schornsteinen ragte es über die hohe Ringmauer des Gehöftes empor. Und da tauchten die zerzausten Eichenwipfel auf.

Der Junker nahm den Hut ab – das Dach seiner Väter und die treuen Bäume, die ein Vorfahr nach dem Rat des alten Paracelsus als Blitzableiter gepflanzt hatte.

Die erste Lerche begann zu singen. Und plötzlich klang leise feierlich das Morgenlied der kleinen Sänger, als töne die Luft selbst in der süßen zarten Weise.

Kiliane zog eine Aehre durch die Finger. „Die liebe Feldfrucht! So sagte Hannjörg. Auf einem ererbten Stück Erde ist jedes Krümchen ein Goldkorn. Und rauscht da nicht ein Quell?“

„Es ist unser großer Röhrbrunnen,“ antwortete er, während sein Blick über die starken Mauern mit den Schießscharten ging, die die Herden und die Ernte bargen, den Abhang hinab, den die Büchsen bestreichen konnten.

Er schlang seinen Arm um ihre Schultern, die in leisem Schluchzen bebten, und so gingen sie langsam dem alten Hause zu.

„Sieh dort, Kiliane, das Giebelfenster, in dem sich das erste Morgenrot spiegelt,“ sagte Konrad. „Es ist meiner Mutter Stube gewesen und ganz so traut erhalten worden wie in meiner Jugend. Das wird Dein Zimmer, Saal und Schmollwinkelchen sein, alles in einem einzigen holzvertäfelten Gemach. Aber nicht wahr, Du sehnst Dich nicht zurück in die vergoldeten Säle, mein geliebtes Herz?“

Mit von Thränen erstickter Stimme flüsterte sie: „Ich habe ein Heim und ein Herz, das mir gehört. Ich bin nicht wert aller Barmherzigkeit.“

Er schloß ihre Lippen mit einem Kuß.

Andachtsvoll, mit zitternden Fingern zog der Innker den großen rostigen Hausschlüssel aus der goldbordierten Tasche.

Ein Hund schlug an. „Phylax!“ rief er. Das Gebell ging in fröhliches Geheul über.

Drinnen wurde es lebendig.

„Herr Gott, unser Junker!“ tönte Hannjörgs ehrliche Stimme. Schritte kamen.

„Da bin ich wieder!“ sagte Eichfeld und schüttelte dem alten Getreuen die Hand. „Und hier ist Eure neue Gutsherrin. Hannjörg, Du hast recht behalten: mit der Hoffart hat’s geknaxt.“

Das alte Thor schloß sich hinter den Eingetretenen.

Sie waren unter schützendem Dach und Fach geborgen.


Schwül stieg der andere Morgen herauf. Der Himmel lagerte bleigrau über der Landschaft.

Eine gährende Unruhe herrschte in der Stadt. Die Umwohner des Pfarrhofes hatten gehört, daß mitten in der Nacht die Fenster der Oberkirche erleuchtet gewesen waren, die Orgel gedröhnt, eine Stimme gepredigt hatte. Der Stelzfuß meldete, daß der Lattermann aus seiner Bahn gewichen sei. Welch neues Unheil drohte?

Christian Struve saß an seinem Schreibtisch, um eine Verteidigungsschrift seiner Handlungsweise auszuarbeiten. Er war ein Ausbrecher und ein Einbrecher geworden. Er – ein Struve! Menschlich war die Sache ganz begreiflich. Aber juristisch? Er kam abermals bei der Notwehr an; denn das römische Recht und die gesunde Vernunft sind darin eins.

In der Snperintendentur ging die Hausfrau leise betend umher, während Olearius die Trauungen in das Kirchenbuch eintrug.

Nur die untergeordneten Missethäter waren diesmal ruhig. Märten wartete seine Vorladung wegen des geprügelten Nachtwächters ab, und Bach hatte sein ordnungswidriges Orgelspiel über seiner Chaconne vergessen.

In höchsten Nöten war der Kanzler. Die ganze Nacht hatte er darüber gegrübelt, was leichter zu ertragen sei: die Ungnade der Fürstin, wenn er der Nichte beistand, oder der Spektakel auf allen Bierbänken der Stadt, wenn er sie preisgab.

Noch war er zu keinem Entschluß gekommen, als Struve, den er in weimarischer Gefangenschaft glaubte, eintrat und sprach: „Ich melde gehorsamst, daß ich in den Stand der heiligen Ehe getreten bin.“

Der Kanzler starrte ihn sprachlos an wie einen Geist.

Da kam in kurzem Galopp ein Zug von der Augustenburg her. Der erste Kammerherr, geleitet von Leibgardisten, dem Skribenten, der große Schreiben mit daran hängenden Siegeln trug, und dem Mohren, der das Weiße seiner Augen herausrollte.

„Platz da! Man wird Euch Mores lehren,“ rief der Kammerherr hochmütig, durch das Volk sprengend.

Niemand achtete neben dem prächtigen Aufzug des unscheinbaren Reiters auf falbem Roß, der in die Neidecke gleichzeitig hineinstob.

Die Leibgardisten der Fürstin umstellten das Haus des Kanzlers, daß keine Maus hinein und heraus konnte, ohne in ihre Spieße zu laufen.

Der Kammerherr stieg ab und stelzte die Treppe empor.

Den Hut auf dem Kopf trat er beim Kanzler ein, der ihn schreckensbleich empfing.

„Die Zeit der Langmut ist vorüber; wir kommen, um zur Rechenschaft zu ziehen. Wir heischen Gehorsam von den Beamten des Landes gegen ihre Fürstin, Strafe für die Beleidigungen, die von der Kanzel gegen Hochdieselbe geschleudert wurden, verlangen die Auslieferung des zuchtlosen Hoffräuleins an die Gerichtsbarkeit Ihrer Durchlaucht.“

„Das Fräulein von Heymbrot ist seit gestern Frau von Eichfeld,“ sagte Struve.

„Getraut, ohne Einwilligung ihrer Herrin, ohne Aufgebot?“ rief der Kammerherr. „Das macht das Maß des störrischen Superintendenten voll. Er wird seines Amtes enthoben. Und Frau von Eichfeld verfällt mit ihrem Mann der wohlverdienten Strafe. Die Hauptmacht unserer Leibgardisten rückt bereits ab, um die Eichfeldburg zu besetzen. Und Er? Warum ist Er nicht da, wo Er hingehört, in Weimar? Man wird Ihn nachschicken. Darauf verlaß Er sich! Seine aufrührerischen Reden und Seine Konspirationen sind uns bekannt. Geheimsekretarius ist Er die längste Zeit gewesen. Dafür wollen wir Sorge tragen bei Seiner Durchlaucht“ –

Er hielt inne.

Ein wunderlich summender Ton war hereingedrungen – ein zweiter folgte – Glockengeläut!

Mit schlotternden Knieen wankte der Kanzler ans Fenster.

Auch der Kammerherr sah hinaus.

Und dann versteinerten plötzlich die Züge beider; die Augen hefteten sich auf ein Fenster des Turmes.

Zu der dunklen Höhlung heraus streckte sich eine lange gegliederte Eisenstange gleich einem dürren Arm; wie aus kraftloser Hand fiel ein Banner in die dunstige Luft, schlaff, ohne fröhliches Flattern.

Und dazu dröhnte das Willkommengeläute aber langsam folgten die Schläge einander, als zögen halb gelähmte Arme am Glockenseil.

Das Schloß hatte sich belebt.

In den Zimmern des Fürsten wurden die Fenster geöffnet, und auch an der Hauptfassade, wo die Reihe der Prunkgastzimmer lag, sah man hinter den Glasscheiben Dienerschaft hin und her laufen.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 754. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_754.jpg&oldid=- (Version vom 15.6.2023)