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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)


zu hören, daß René noch nicht gekommen sei. Mit ihrer nie versiegenden Güte und Gewandtheit schwatzte sie Magda allerlei von der Soiree vor und sättigte das durstige Herzchen mit rühmenden Berichten von der Würdigung, die der geliebte Mann erfahren.

Dazu schien die Lampe so still und von der Straße her drang kein Geräusch herauf, daß es war, als gäbe es nur friedliche Stimmungen in der Welt.

Mit einem Male kam Kathi herein, die bei der sonnabendlichen Reinigung des Ateliers beschäftigt war.

„Der Herr ist da, der vor ’n paar Wochen ’mal mit Ihnen kam. Er will aber nicht hier vorn ’rein. Sie sollen in das Atelier kommen,“ bestellte sie, eine höfliche Bitte Renés auf ihre Art zurecht legend.

Magda schnellte empor.

„Ich erwarte Dich zurück,“ sagte Hortense.

Sie hatten beide das Gefühl, daß René in außerordentlicher Angelegenheit komme. Aber sie sprachen sich nicht mit einem einzigen Wort darüber aus. –

René war durch den regnerischen Oktoberabend langsam daher gekommen. Der Regen troff auf seinen Schirm, die Räder der Wagen spiegelten sich auf dem nassen Fahrdamm wieder.

Das leise Geräusch der auf das Schirmdach fallenden Tropfen that ihm merkwürdig wohl. Es war so gleichmäßig, so unendlich, so beruhigend.

Er hatte am Morgen nach der „Zenobia“ zu Magda gehen wollen. Allein der hohe Komponist ließ ihn zum Dejeuner laden. Der hatte einen plagenden Enthusiasmus für René gefaßt, und als Hintergrund all der Leutseligkeit kam der Wunsch heraus, Flemming möge eine Partitur, das jüngste Musenkind der Hoheit, die sich natürlich im Reisegepäck befand, auf die mutmaßliche Wirkung ihrer Instrumentation ansehen und frei Verbesserungen anbringen, wo es ihm passend scheine. Wie war das lästig gewesen!

Und am Freitag nachmittag, da hatte seine Zeit noch etwas anderes in Anspruch genommen – – –

Heute morgen hatte er Probe gehabt, für die Oper am Sonntag abend.

Er rechnete sich das vor, um es Magda alles zu sagen, alles!

Seine Füße waren ihm schwer, als er die Treppen emporstieg. Oben besann er sich ein Weilchen. Vorne anklingeln konnte die lästige Folge haben, daß er Besuch bei Magda fand, oder doch den kranken alten Mann.

Er dachte gar nicht darüber nach, daß das Atelier um diese Stunde verschlossen sein und daß sein Klopfen dort niemand hören würde. So war er auch gar nicht erstaunt, daß man ihm aufthat.

Das Atelier war grell erleuchtet. Von der Mitte des Plafonds hing ein kahles Gasrohr herab, an dessen beiden Armen je eine offene, breite Gasflamme brannte, wie in einen Fabrikraum. Der Estrich war noch feucht von den Wasserströmen, die sich darüber ergossen hatten und aufgewischt worden waren. Die Ecken der Decke waren auf die Ottomane geschlagen, oben auf dieselbe hatte Kathi das maurische Tischchen getürmt, das seine durch Schnörkel miteinander verbundenen Beine emporstreckte. Die beiden Fenster guckten blank und schwarz auf den unwohnlichen Raum.

Kathi, hochgeschürzt, einen Besen in der Linken, fragte erstaunt, was der Herr wolle. Der Mann in dem großen Kragenmantel und mit den dunklen Augen unter dem Hutrand kam ihr bekannt vor.

„Ich bitte das gnädige Fräulein, mich hier einige Minuten empfangen zu wollen,“ sagte er.

„Hier wird geputzt,“ erklärte Kathi, „mein Fräulein ist vorn.“

„Bitten Sie dennoch das gnädige Fräulein, sich gütigst herbemühen zu wollen,“ bat er.

Kathi hatte ihn inzwischen erkannt und ging nach vorn.

Er blieb einige Minuten allein. Er besann sich gar nicht, wie er beginnen solle, was er sagen wolle, dazu fühlte er sich außer stande. Die unabwendbare Gewißheit, daß er sprechen müsse, lähmte seine Erfindungskraft, ließ ihm alle Umwege als außer aller Möglichkeit liegend erscheinen. Was gradeaus vor ihm lag, langsam von der Seite zu erreichen, war so wenig seine Art, daß ihm nicht einmal der Gedanke kam, dies harte Geradeaus könne brutal erscheinen.

Da er solange innerlich mit dem beschäftigt gewesen, was nun über seine Lippen mußte, kam ihm, in der völligen Versenkung in die eigene Lage, nicht einmal Mitleid mit der ihren.

Sie trat ein. René fühlte, wie ihm das Herz zu schlagen begann – er fühlte es eigentlich mit Ueberraschung, denn er hatte geglaubt, ganz Herr der Situation zu sein.

In einiger Entfernung von ihm stand sie still. Ihr Gebahren war unbewußt – es war von demselben Instinkt beeinflußt, der das Wild die Gefahr wittern läßt.

Er ging auf sie zu und nahm ihre Hände. Das grelle Licht fiel von seitwärts auf Magda und ihn und gab so scharfe Schlagschatten, daß sie beide dachten „wie bleich ist sie!“ – „wie bleich ist er!“

„Du fühlst, daß ich in besonderer Angelegenheit komme, Magda?“ begann er.

„Ja,“ sagte sie mit unklarer Stimme. Er schwieg einen Augenblick. Ihm war so sonderbar: er fand so gar keine Worte für das, was er sagen wollte. Es war, als wenn irgend eine Fähigkeit in seinem Kopf aussetzte. Mühsam besann er sich.

„Hast Du mein Fernbleiben ganz allein auf Rechnung meiner Arbeit gesetzt?“ fragte er weiter.

Und wieder sprach sie: „Ja!“

Es kam ganz freudig versichernd von ihren Lippen und in ihren Augen leuchtete es lebhaft auf. Er sollte nicht denken, daß sie empfindlich und mißtrauisch sei. Dies freudige „Ja“ erschütterte ihn.

„Magda, liebe gute Magda, mich hat noch anderes ferngehalten. In mein Leben ist ein Neues, Unerwartetes getreten – ein Rausch – ich kann Dir nicht beschreiben, wie es ward und wie es wuchs – wie es über mich kam, ungewollt und ungerufen,“ sprach er.

In ihre Augen trat der Ausdruck der Angst.

„Siehst Du,“ fuhr er fort, Wort um Wort sich abringend, „ich habe es nicht geglaubt, daß es möglich sei – daß mir mitten in die heiligen, ergebenen Empfindungen für Dich ein neues Gefühl hineinfahren könne – daß ein anderes Weib zwischen uns zu treten vermöchte.“

Magda sah ihn an, ihre Lippen öffneten sich ein wenig, sie taumelte.

Er umfaßte sie und half ihr sich in den nächsten Stuhl setzen.

Er wartete, daß sie sprechen sollte, denn ihre Lippen bewegten sich. Aber es kam kein Laut hervor. Und die großen Augen starrten ihn mit immer dem gleichen Schreckensausdruck an.

Die Sekunden rannen.

„So – so liebst Du eine andere?“ fragte Magda heiser.

„Ich weiß nicht – ist das Liebe? Ist es ein Taumel?“ Er ging auf und ab, daß von seinen hastigen Bewegungen die offenen Gasflammen ins Flackern kamen. „Mitten in dem Wonnerausch, den die Liebe dieses leidenschaftlichen jungen Geschöpfes mir giebt, habe ich die Empfindung, die Ahnung, daß es eines Tages ein Erwachen voll grauen Elends geben kann. Aber Magda – sie, die mit ihrer alle Schranken niederreißenden Liebe mein Herz gesucht hat – Gott weiß es, sie das meine, nicht ich das ihre – sie hat soviel gewagt für mich! Die Ehre gebietet mir, in diesem Falle nicht an die Zukunft, nicht an das Erwachen zu denken, sondern nur daran, daß ich ihr mein Leben anbieten muß.“

Er stand vor Magda still.

„Und deshalb, Magda, – deshalb kann ich mein Dir gegebenes Wort nicht halten und deshalb stehe ich hier und bitte Dicht verzeih’ mir, wenn Du kannst. Ich sollte sagen: verzeih’ dem Schuldigen. Aber ich will nicht lügen – mir ist nicht, als läge Schuld auf mir. Kommt das später? Oder bin ich nicht schuldig? Ich weiß nur, ich konnte nicht anders.“

Magda sah vor sich hin, ihre Wangen waren fahl.

„So ist nun alles aus – aus – aus,“ sagte sie tonlos und strich mit der Hand flach durch die Luft, als stehe da etwas, das weggewischt werden sollte.

Diese Gebärde zerriß ihm das Herz. Er kniete neben Magda nieder und umfaßte sie.

Da legte sie ihre Wange auf sein dunkles Haar und ruhte lange still dort aus.

Er fühlte, wie es an seiner Schläfe naß niederrann. Die Thränen tropften aus ihren Augen.

„Magda,“ murmelte er mit erstickter Stimme, „theure liebe Magda!“

„Ich habe Dich sehr lieb gehabt,“ sprach sie langsam.

Dann richtete sie sich auf. Er sah angstvoll in ihr verstörtes Gesicht.

„Und – Du wirst nun – eine andere heiraten,“ sagte sie. – „Bald?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 758. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_758.jpg&oldid=- (Version vom 26.7.2023)