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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)


das so einfach wäre. Ich sage Dir, Du würdest auf den fürchterlichsten Widerstand bei Großmama stoßen.“

„So bitten wir Walfried, unser Bundesgenoß zu sein.“

„Ach – das ist alles so kompliziert! Walfried weiß ja auch, daß ich wegen des dummen Geldes und aus Gott weiß was sonst noch für Rücksichten übers Jahr Gräfin Ponsdorff werden soll,“ erzählte sie in klagendem Ton.

Von all diesen Hindernissen hatte René nichts geahnt. Ihre Aufzählung, noch mehr aber, daß Lilly sie ihm gegenüber nicht gleich, nicht längst erwähnt, beleidigte seinen Stolz.

„Nun“ sagte er, „so werden wir es gegen Großmama, gegen Walfried und gegen alle Welt durchsetzen. Ich habe keine Grafenkrone und keine Million. Aber ich heiße René Flemming.“

Seine Augen flammten und sein Mund verschloß sich herb. In dieser Minute durchglühte ihn stolz das Bewußtsein seiner Begabung und ihm war, als könne er dem Mädchen da schon alles greifbar bieten, was er doch erst der Zukunft abgewinnen sollte.

„Ja,“ sprach sie und umschlang ihn fester, „Du bist ein großer Mann und ich bin fabelhaft stolz auf Dich. Aber siehst Du, so schlankweg mit der Heirat – das geht nicht so – Großmama wird sagen: einen Künstler liebt man, aber heiratet ihn nicht.“

René stieß sie zurück. Alles in ihm spannte sich an zu einer furchtbaren Aufmerksamkeit. Er bohrte seine Blicke in ihr Gesicht. Er beugte sich vor und sein Atem ging schwer.

„Und Du?“ fragte er, „und Du?“

Vor seinen Blicken gab es kein Entrinnen und kein Lügen.

„Wir können es ja im Lauf des Winters überlegen – man muß – nichts – überstürzen ..“ stammelte sie.

Und ein tiefes Rot stieg ihr ins Gesicht. Da begriff er.

Ein heiserer Laut entfuhr ihm.

Sein Antlitz ward grau und sein Mund verzerrte sich. Seine Augen waren mit so fürchterlichem Ausdruck auf sie gerichtet, daß sie zitternd einen Schritt zurückwich.

Diese Auseinandersetzung fand sie so fatal und überflüssig. Was fiel ihm denn ein? Es war doch so reizend gewesen, mit dem Bewußtsein der heimlichen Liebe lustig in den Tag hineinzuleben und alle steifleinenen Leopoldsburger innerlich auszulachen. Daß man, wenn man Lilly von Wallwitz heißt und kein Vermögen hat, nicht einen jungen Kapellmeister heiratet, der vielleicht eines Tages sehr berühmt wird, das war doch eine so grenzenlos selbstverständliche Sache, daß es nur verwunderlich blieb, wie ein so gescheiter Mann überhaupt andere Ideen fassen konnte.

Sie sah ihn an, halb furchtsam, halb neugierig. Sein Gesicht hatte sich furchtbar verändert; von Zorn entstellt sah es beinahe häßlich aus. In ihr regte sich Mitleid.

„Um Gotteswillen“ dachte sie, „der arme René hat es tragisch genommen! Er wird sich nicht vorstellen können, wie er ohne mich leben soll. Er wird jeden anderen Mann übern Haufen schießen, der sich mir naht. Oder er wird sich selbst ein Leids anthun“

Es überrann sie schaurig angenehm. Ihre Eitelkeit schwelgte in hoher Wonne. Doch zugleich erwachte in ihr die Klugheit, die zur Vorsicht mahnte. Ein so heftiger Mensch wie René, der sie offenbar so rasend liebte, konnte eine That begehen die einen Eklat hervorrief. Und das wäre ja gräßlich gewesen – wegen Großmama und wegen der Welt! Ein Ausdruck zärtlicher Nachsicht trat in ihr Gesicht. Er, dem keine Wimper zuckte und der sie immerfort beobachtete, sah diesen beinahe gnädigen Ausdruck.

„Sprich!“ rief er, „wage zu sagen, was Du dachtest.“

Der Ton empörte sie. Ein hochmütiger Trotz wachte in ihr auf und ließ sie alle Klugheit vergessen.

„Ich dachte mir, Du wüßtest das mit Ponsdorff. Und deshalb bin ich gar nicht auf die Idee gekommen, daß Du die Eitelkeit haben könntest, eine Wallwitz ….“

Sie kam nicht weiter. Er hatte ihr Handgelenk gepackt und schüttelte es, daß ihre ganze Gestalt bebte.

„Wenn Du gedacht hast, daß ich ein Schurke bin …“

Er konnte sich die Worte kaum abringen.

„Und hast mich geküßt – und hast mir gesagt, Du liebst mich – pfui, pfui!“

Er ließ sie los. Vor Entsetzen und Angst halb ohnmächtig, fiel sie in die Kniee.

„René!“ stammelte sie.

„Ich verachte Dich!“ sagte er laut und ging hinaus. –

Sie blieb einige Minuten liegen und bohrte ihre Blicke in das Teppichmuster. Dann stand sie auf, warf sich in den Lehnstuhl und dachte nach. Ihre Augen funkelten.

Ein Mensch hatte gewagt, ihr zu sagen, daß er sie verachte!

Dieser Mann, zu dem sie mit ihrer Liebe großmütig herabgestiegen war, hatte sich unterfangen, sie zu mißhandeln.

Anstatt dankbar zu sein, daß er in dem sterbenslangweiligen Leopoldsburg ein romantisches Abenteuer erleben durfte, leitete er aus demselben einen albernen kleinbürgerlichen Anspruch auf ihre Hand her.

Als ob man immer den oder die heiratete, in die man verliebt war. Das ging ja leider nicht an in dieser verzweifelten Welt! Das hätte René sich doch sagen müssen, anstatt mit seinem tragischen Benehmen ihre so amüsante Heimlichkeit ein für allemal zu beenden!

Von nun an konnte man ja in dem dummen Leopoldsburg umkommen vor Langweile.

Aber wie fein von ihm: er hatte eine große, vornehme Partie machen wollen, glaubte sie am Ende gar reich! Das hätte seiner Eitelkeit wohl gepaßt.

Sie atmete befriedigt auf. Seine Enttäuschung hierüber, das war wenigstens eine Strafe für ihn.

„Wie er mich wohl haßt von nun an,“ dachte sie, „der verzeiht keine Demütigung! Aber gedemütigt hat es ihn,“ schloß sie triumphierend.

Plötzlich zuckte ein Schreck durch ihr Herz. „Er wird sich an mir rächen,“ sagte sie sich, „er hat mich in der Hand, er hat Briefe von mir!“ Ihre Glieder bebten. Eine namenlose Angst kam über sie. Ihre Gedanken, die immer so erfinderisch waren, begannen eine förmliche Jagd nach rettenden Einfällen.

Dabei wurde ihr körperlich ganz elend. Thränen der Feigheit rannen ihr aus den Augen.

Wenn er sie verriete – sich einem Freund anvertraute – oder gar Walfried – – Großmama würde sie verstoßen, sie müßte zurück auf das armselige, väterliche Gut, Ponsdorff konnte davon hören und sich zurückziehen!

Lilly zitterte am ganzen Körper. Ihr ward sehr übel. Sie schloß die Augen.

Ja, das war es: Walfried und er durften sich nie mehr, oder nur als Feinde begegnen! Das war Rettung. Mochte er irgend einem andern sich vertrauen, oder durch kleine Blicke und Andeutungen auf hinterlistige Art ihrem Ruf schaden – o, Lilly wußte, wie das gemacht wurde – das war egal! Klatsch wird geglaubt und auch nicht geglaubt und läßt sich nicht beweisen.

Nur Walfried durfte nichts erfahren! Oder doch?! Vorbeugend, gruppiert, die Wahrheit unwahr sagen?!

Ihm einen Roman erzählen, daß sie René geliebt, daß sie mit sich gekämpft, kurz, unterlegen sei und sich dann mutvoll und groß zu der doch nötigen Entsagung durchgezwungen, daß er sie aber wegen dieser beschimpft habe – – ja, so würde es gehen.

Walfried würde ihn fordern, man würde ein paar Kugeln in die Luft schießen und die erwünschte Feindschaft war zwischen den beiden hergestellt. Und René war nachher in Leopoldsburg unmöglich.

Der Gedanke versetzte sie in einen wahren Rausch.

Die Ausführung verhieß Leben und Sensation. Nur etwas erleben, erleben! Das war ihr steter, durstiger Wunsch. Und konnte es nichts Lustiges sein, mußte es etwas Spannendes, Aufregendes, Gefährliches sein!

Wenn ein Mann wie Walfried sich plötzlich und feindselig von dem Verkehr mit René zurückzog, wenn dunkle Gerüchte entstanden, daß er irgend etwas Unschönes begangen haben müsse – – ja, dann würde er unmöglich werden und begreifen, daß man einer Lilly Wallwitz nicht sagt: ich verachte dich.

Sie baute sich ein ganzes, thörichtes Gerüst von Vorstellungen auf, dessen Fundament der Wahn war, René sei aus sich selber nichts, sondern nur infolge der gnädigen Laune der „Gesellschaft“, welche an seiner interessanten Erscheinung Gefallen gefunden, ein Modegegenstand, den eben diese Gesellschaft jeden Augenblick in das Nichts zurückfallen lassen könne.

Sie rechnete auf den Geist der Kameradschaft unter den Offizieren und glaubte zu wissen, daß, wenn einer von René abfiel, keiner mehr mit ihm verkehren würde. Und wenn erst die Offiziere ihn verfemt hatten, war es – nach Lillys Idee – aus mit einem Menschen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 775. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_775.jpg&oldid=- (Version vom 19.4.2024)