Seite:Die Gartenlaube (1895) 783.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

von den Festteilnehmern erntend. Da jauchzt alles in Lust und Freude, unbekümmert um Tag und Nacht, und der stille Mond schwebt über den gerundeten Bergkuppen und verklärt das bunte Bild der fröhlichen Naturkinder mit seinem feenhaften silbernen Glanze. – Aber seltener und seltener werden solche Feste auch auf diesen fernen Inseln; auch dort hat die weltumspannende Kultur ihren Einzug gehalten; die Wilden schmücken sich mit dem Firnis der Civilisation; legen ihre Nationaltracht ab; die Tapaklöppel erklingen seltener und seltener, alte Sitten und Bräuche geraten in Vergessenheit, der gelbe Mensch ahmt den weißen nach und wie der Schnee im Scheine der Frühlingssonne schwinden die Naturvölker dahin.


 – Jungwinter. ––

Sage, Winter, was ist das nur,
Daß du heuer so faul und träge?
Nebelverschleiert sind Wald und Flur,
Triefend die Bäume, grundlos die Wege.

Murrend am Thor steht der Buben Troß –
Wasser und Regen auf allen Seiten!
Möchten lieber auf stählernem Roß
Auf der blitzenden Eisbahn gleiten.

Raffe doch, Fauler, vom Schlaf dich auf,
Feg’ von dem Boden Morast und Pfütze,
Laß Deinen Zauberkräften den Lauf,
Schleudre vom Kopfe die Nebelmütze!

      Rüttle dich, schüttle dich, daß umher
Lustig wirbeln die schneeigen Flocken,
Schwing’ deinen blitzenden Demantspeer,
Schüttle den Reif dir von Mantel und Locken!

Blase mit mächtigem Odem durchs Land,
Wandle den Nebel zu Eiskrystallen,
Laß dein glitzerndes Schneegewand
Nieder auf Wälder und Fluren fallen!

Schmücke mit funkelndem Edelweiß
Felder und Wälder, Thäler und Hügel,
Wandle die Lachen zu blitzendem Eis,
Jeden Tümpel zum Demantspiegel!

Streu auf die Erde mit voller Hand
Reif und Perlen in leuchtendem Schimmer –
Weck’ in den Lüften, blau überspannt,
Schellengeläute und Sonnengeflimmer!

 Franz Beckert.


Sterben.

Novelle von Eva Treu.

O mein Gott – o mein Gott!“

Die junge Frau richtete sich ein wenig auf und nahm die schmalen, blassen Hände vom Gesicht. Lange hatte sie vornübergebeugt an dem Tisch gesessen, die Ellbogen aufgestützt und das Gesicht von den schlanken Fingern bedeckt, zwischen denen die Thränen hervorquollen. Nun trocknete sie langsam Augen und Wangen. Nein, sie wollte nicht mehr weinen, es nützte ja zu nichts! Freilich – wie oft schon hatte sie sich dies gesagt! Und doch überkam sie das Leid zuweilen mit so unbeschreiblicher, unsäglicher Trostlosigkeit aufs neue, daß sie vergeblich den Thränen Einhalt gebot, die doch ihr geheimes Weh nicht zu lindern vermochten.

Ja, hätte sie den Kopf in solchen Stunden an irgend eines treuen Menschen Schulter lehnen und ihm alles aussprechen können, was sie so elend machte, das hätte ihr helfen mögen. Aber das konnte sie nicht. Sie wußte niemand, der sie so angehört haben würde, wie sie es brauchte. Es giebt nicht viele Menschen, denen ein Unglücklicher sein Herz mit dem sicheren Gefühl ausschütten kann, nicht lästig zu fallen und verstanden zu werden. Und selbst dann! Welche rechte Frau möchte sich so weit demütigen, über ihre unglückliche Ehe zu Dritten, zu unbeteiligten Menschen zu sprechen, die bei aller Freundschaft doch nur dann Verständnis haben könnten, wenn ihnen die tausend kleinen Einzelheiten, deren man sich selbst nur mit Widerstreben und Bitterkeit erinnerte, dargelegt wurden, und die dann doch nur den Mann, den man einst so grenzenlos lieb gehabt hatte, aufs härteste tadeln würden? Nicht das – o nein, nicht das! Wenn sie ihm auch zürnte, Fremde sollten auf ihn keinen Stein werfen. Sie mußte es eben allein tragen, mit sich selber abmachen, wie elend sie war.

Ja, sie war elend! Sie schlug die zitternden Hände noch einmal vor das Gesicht, aber nur für einen Augenblick. Dann strich sie das weiche, wellige Blondhaar, das sie schlicht gescheitelt trug und von dem ein paar Strähnen sich losgelöst hatten, aus der Stirne, schüttelte sich ein wenig, als fröre sie, atmete tief und stand auf, die feine Gestalt wie mit einem Ruck emporrichtend.

Der letzte Lichtblick, den der kurze Novembertag zu vergeben hatte, fiel in das trauliche Wohngemach, das zwar nicht übermäßig elegant, aber doch so behaglich eingerichtet war, wie nur die Hand einer feinsinnigen Frau es versteht. Ein Hauch von vornehmer Eigenart wehte einem entgegen, wenn man diesen Raum betrat, obschon er nichts enthielt, was sich durch besondere Kostbarkeit auszeichnete. Und in das Gemach hinein paßte die Erscheinung der jungen Frau, die jetzt mit rastlosen leisen Füßen in der Dämmerung hin und her schritt. Das Gesicht, obschon blaß und verweint, war von ungewöhnlicher Anmut, die selbst von dem herben Zug nicht beeinträchtigt ward, der um die feingeschwungenen Lippen lag und den die Natur dort sicherlich nicht gewollt hatte.

Jedoch das Leben hatte nicht danach gefragt, was die Natur beabsichtigte, und jetzt hatte jener herbe Zug sicherlich ein Recht, da zu sein.

Die Ehe, die erst vor kaum drei Jahren geschlossen war und von der sie alles Glück erhofft hatte, das vom Leben gewährt werden kann, hatte ihr kaum etwas anderes gebracht als Herzeleid; wenigstens meinte sie dies jetzt, nun sie auf die Zeit zurückblickte. Wie grenzenlos, wie beneidenswert glücklich war sie sich anfangs vorgekommen. Den Mann, dem sie folgte, liebte sie von ganzer Seele, und er – ja, er hätte sie, das vermögenslose Mädchen, doch gewiß nicht erkoren, wenn er sie nicht liebgehabt hätte. Die ersten Monate des neuen Lebens erschienen ihr auch jetzt noch wie ein wunderschöner Traum.

Aber dann kam eine Zeit, wo die zarte junge Frau Rücksicht auf ihre Gesundheit zu nehmen hatte; sie mußte still und zurückgezogen leben, durfte weder Gesellschaften besuchen, noch viele Gäste bei sich sehen, und mußte sich abends früh zur Ruhe begeben. Und es hatte nicht lange gedauert, da war dem lebenslustigen Manne das Bedürfnis nach Zerstreuung gekommen und er hatte es unerträglich gefunden, nach einem Tage voll Arbeit einsam daheim hinter der Lampe zu sitzen.

Zuerst hatte sie selbst ihn gebeten, doch dann und wann auszugehen, freilich mit dem stillen Wunsche, den sie sich aber nicht eingestand, er möge es dennoch nicht thun. Aber er hatte es

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 783. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_783.jpg&oldid=- (Version vom 21.7.2023)