Seite:Die Gartenlaube (1895) 789.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Nr. 47.   1895.
Die Gartenlaube.

Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Abonnements-Preis: In Wochennummern vierteljährlich 1 M. 75 Pf. In Halbheften, jährlich 28 Halbhefte, je 25 Pf. In Heften, jährlich 14 Hefte, je 50 Pf.



Die Lampe der Psyche.

Roman von Ida Boy-Ed.

 (7. Fortsetzung.)

René guckte ins Fenster des Wirtshauses. Die vielteiligen Scheiben waren von drinnen beschlagen, aber er erkannte doch, daß da noch Menschen saßen.

„Der Herr Hofkapellmeister,“ rief der Posthornwirt erschreckt. René sah ein wenig unheimlich aus: leichenblaß, leuchtende Augen, das Haar an der Stirn klebend, ohne Hut.

„Na, na,“ sagte er, „ich bin kein Gespenst, Posthornwirt. Ich bin so in Gedanken daher gelaufen und den Hut hab’ ich auch verloren. Sie müssen mir schon ein Zimmer herrichten für die Nacht und die Frau muß mich mit allem versehen, was ein anständiger Christenmensch braucht. Und aufgetischt, Posthornwirt – Wein her!“

„Frau, Frau!“ rief der Wirt zur Thür hinaus. Er hatte behende Bewegungen noch von seiner Kellnerzeit her und trug einen großkarrierten Jackettanzug. Denn die Posthornwirtin, die ihn als Witwe geheiratet hatte, nachdem er bei ihr Kellner gewesen, war stolz auf sein städtisches Ansehen und die bunten Krawatten, die er trug. Den Gästen war er wegen dieser angeflogenen, unechten Eleganz weniger angenehm.

Der Apotheker, der Holzsägemüller und der Schullehrer hatten ihre Skatkarten niedergelegt und sahen sich den späten Gast an, der wie ein Riese wirkte, als er da so in der niedrigen Wirtsstube stand, umzogen von dem Tabaksqualm, der lagenweise im Raum schwebte. Die Wirtin erschien. Sie hatte die stattliche Haube schon abgelegt, die sie tags trug, und ihre grauen Zöpfchen waren wie Spiralen um den Hinterkopf gelegt. Ihr Gesicht, das durch eine Stumpfnase und einen breitlachenden Mund sehr vergnügt wirkte und ihrem Geschäft sehr zu statten kam – denn Wirte müssen immer guter Laune scheinen – verklärte sich, als sie René sah.

„Nein, aber die Ueberraschung!“

„Wirtin, grüß Gott!“ sagte René und schüttelte ihr die Hand. „Was macht die Gretel, immer noch so hübsch und artig? Ich möchte einen Wein haben und ein bißchen ’was zu essen. Und Schreibpapier, eine ganze Menge! Wenn keins sonst im Hause ist, laßt mich ein Schreibbuch von der Gretel haben.“

„Wir haben doch Briefbogen mit Ansicht,“ sagte der Wirt.

René warf seinen Mantel ab. Er ging hin und her. Es war ihm unmöglich, zur Ruhe zu kommen.

Die Skatspieler rechneten ab und empfahlen sich.

Der Wirt versuchte mit einer Serviette die schlechte Luft zum Fenster hinauszuschlagen. Dadurch wurde René eigentlich erst auf sie aufmerksam.

„Ich könnte mich oben hinsetzen in die Schlafstube,“ sagte er.

Alles sollte flink gehen: das Feuer anheizen, die Lampe zurecht machen, das Essen und das Zimmer bereiten. Die guten Leute liefen, was sie konnten.

Inzwischen schrieb René in der Gaststube einen Brief.

Menzel und Kaiser Wilhelm II.
Nach einer Originalzeichnung von G. Schöbel.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1895, Seite 789. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_789.jpg&oldid=- (Version vom 18.4.2024)