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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

hatte dem Kutscher die nötigen Weisungen gegeben und wollte eben nach der Bahn zurückkehren, als er unvermutet angeredet wurde.

„Nun, Herr Doktor Walter, Sie haben leider Arbeit bekommen bei dem heutigen Vergnügen. Es ist wohl Herr von Bernried, der dort nach der Stadt fährt? Die Sache scheint bei alledem noch verhältnismäßig gut abgelaufen zu sein. Der Unfall ist nicht ernst, wie es heißt.“

„Er scheint im Gegenteil sehr ernst, Herr Sonneck,“ sagte der Arzt, der sich rasch umgewandt hatte, und seine Miene bestätigte nur zu sehr die Worte. „Wir haben einstweilen einen Notverband angelegt, die eingehende Untersuchung werde ich erst im deutschen Hospital vornehmen, wohin Herr von Bernried jetzt gebracht wird.“

„Nach dem Hospital?“ wiederholte Sonneck betroffen. „Können Sie ihn nicht in seiner Wohnung behandeln?“

„Nein, er hat überhaupt keine eigene Wohnung mehr seit dem Tode seiner Frau, nur ein paar Zimmer im Hotel. Da kann von einer ordentlichen Pflege nicht die Rede sein. Wenn ich nur wüßte, was aus dem Kinde, seinem kleinen Töchterchen, werden soll! Im Hotel kann sie nicht bleiben, denn es kann lange dauern, bis der Vater zurückkehrt – wenn es überhaupt geschieht!“

Sonneck, der mit gespannter Aufmerksamkeit zuhörte, schien bei den letzten Worten zu erschrecken.

„Sie fürchten doch nicht etwa einen tödlichen Ausgang?“ fragte er rasch und gepreßt. „Das wäre allerdings sehr traurig.“

„Wer weiß!“ sagte der Arzt ernst. „Vielleicht wäre es das beste für den Mann. Der Verlust seines ‚Darling‘ hat ihn ja doch ruiniert und ich glaube nicht, daß er selbst noch Freude gehabt hat an dem Leben, das er in der letzten Zeit führte. Für das Kind war es auch kein Segen, in solchen Verhältnissen und Umgebungen aufzuwachsen, obgleich der Vater es abgöttisch liebte. Ich werde jedenfalls mein möglichstes thun, ihn zu retten, aber viel Hoffnung habe ich nicht.“

Es trat eine Pause ein. Sonneck sah stumm zu Boden, endlich begann er wieder in einem Tone, durch den eine mühsam unterdrückte Bewegung zitterte: „Herr von Bernried scheint nicht besonders beliebt zu sein in Kairo. Man kümmert sich sehr wenig um ihn und seinen Unfall und spricht fast mehr von seinem ‚Darling‘ als von ihm. Man begegnete ihm ja auch nie in der eigentlichen Gesellschaft, und Herr von Osmar empfing ihn überhaupt nicht in seinem Hause.“

Der Arzt zuckte mit sehr bezeichnender Miene die Achseln.

„Das ist begreiflich, der deutsche Generalkonsul hat seine Stellung zu wahren und muß sich Persönlichkeiten fernhalten, denen doch mehr oder weniger Bedenkliches anhaftet. Bernried ist ja allerdings von altem deutschen Adel und spielt in der Sportswelt eine Rolle; Freunde hat er aber nie besessen und sein Treiben war auch nicht danach. – Doch da kommt Herr Ehrwald, er scheint Sie zu suchen. Ich will nur noch mit meinem Kollegen sprechen und fahre dann sofort nach dem Hospital hinaus.“

Der Arzt grüßte und ging. Es war in der That Ehrwald, der jetzt den Gesuchten entdeckt hatte und rasch näher kam. Sonneck fuhr mit der Hand über die Stirn, als wollte er irgend eine quälende Erinnerung fortscheuchen, dann ging er dem jungen Manne entgegen und bot ihm die Hand.

„Kann man endlich Deiner habhaft werden, Du Held des Tages,“ sagte er. „Ich konnte Dir vorhin nur aus der Ferne zuwinken, so umdrängt warst Du von allen Seiten. Meinen Glückwunsch, Reinhart! Du hast ja glänzend gesiegt!“

„Habe ich es gut gemacht?“ fragte Reinhart mit aufleuchtenden Augen.

„Beinahe zu gut, denn ich fürchte, man wird Dich gründlich verderben mit all der Bewunderung und den Schmeicheleien. Aber warum hast Du denn mit aller Welt Komödie gespielt und Dich für einen höchst mittelmäßigen Reiter ausgegeben, um heute erst zu zeigen, was Du kannst?“

„Weil es mir Spaß machte,“ versetzte Ehrwald. „Was war das für eine Verwunderung und für ein Achselzucken, als es bekannt wurde, daß ich mich mit ‚Faida‘ in die Bahn wagen wollte, wo der vielbewunderte ‚Darling‘ lief! Kein Mensch ahnte, was das Tier wert war, am wenigsten der Konsul selbst, nur Fräulein von Osmar hatte unbedingtes Vertrauen.“

„Fräulein von Osmar – so?“ Sonneck streifte mit einem eigentümlich forschenden Blick das Gesicht des jungen Mannes. „Nun, vielleicht galt ihr Vertrauen ebenso sehr dem Reiter wie dem Roß.“

„Vielleicht! Jedenfalls habe ich es nicht getäuscht,“ sagte Reinhart leichthin.

Sie hatten während des Gespräches den Rückweg angetreten, blieben aber diesmal außerhalb der Schranken, mitten unter der Volksmenge. Sonneck, dessen Namen man in ganz Europa kannte als den eines der kühnsten und erfolgreichsten Afrikaforscher, schien auch hier in Kairo vielfach gekannt zu sein, denn man machte ihm überall ehrerbietig Platz.

Er war kleiner als der schlanke, hochgewachsene Ehrwald, eine mittelgroße, sehnige Gestalt. Das dunkelgebräunte Antlitz mochte in der Jugend schön gewesen sein, jetzt war es tief durchfurcht von all den Linien, die ein ganzes Leben voller Kämpfe und Gefahren, voll Anstrengungen und Entbehrungen darin eingegraben hatte. Das dunkle Haar des kaum vierzigjährigen Mannes zeigte an den Schläfen schon einen weißen Schimmer und in den tiefen grauen Augen lag ein schwermütiger Ernst, der nur selten von einem flüchtigen Lächeln verdrängt wurde.

Er sah schweigsam und zerstreut dem Wettfahren zu, das jetzt auf der Rennbahn stattfand, und plötzlich wandte er sich an seinen jungen Gefährten mit der Frage: „Weißt Du, daß der Sturz des Herrn von Bernried ein sehr schwerer gewesen ist?“

Ehrwald sah betroffen auf. „Nein, ich hörte das Gegenteil! Man sagte, daß seine Verletzungen nicht bedenklich sind.“

„So sagte man: aber Doktor Walter, den ich soeben sprach, scheint die Sache sehr ernst zu nehmen. Wir wollen morgen zu ihm gehen und uns erkundigen, wie es steht. – Uebrigens, Reinhart, es war nicht nötig, daß Du das letzte Hindernis in dieser tollkühnen Weise nahmst, anstatt einfach darüber hinwegzusetzen. Der Luftsprung hätte Dir den Hals kosten können und der armen ‚Faida‘ dazu. Solche Kunststücke gehören in den Cirkus, für die Rennbahn passen sie nicht.“

„Ich habe es auch im Cirkus gelernt,“ sagte Reinhart lachend.

Sonneck stutzte und sah ihn befremdet an.

Wo hast Du das gelernt?“

„Im Cirkus, bei den Kunstreitern. Ich bin ja fast ein Jahr lang mit ihnen herumgezogen.“

„So? Und das erfahre ich erst heute?“

„Sie fragten mich ja nicht und ich hatte bisher noch keine Veranlassung, davon zu sprechen. Ein Geheimnis wollte ich Ihnen nicht daraus machen, oder – nehmen Sie Anstoß daran?“

„Nein,“ entgegnete Sonneck ruhig. „Ich schenke selten einem Menschen unbedingtes Vertrauen, geschieht es aber einmal, dann pflege ich auch nicht viel mehr zu fragen und zu forschen. Du hast mir offen bekannt, was Dich aus Deiner Heimat fortgetrieben hat, das ist mir genug, aber Du scheinst Dich doch bisweilen in etwas bedenklicher Gesellschaft umhergetrieben zu haben. Ich glaube, es war Zeit, daß Du wieder in andere Kreise kamst.“

Ueber die Züge des jungen Mannes legte sich ein tiefer Schatten und seine Stimme klang in unterdrückter Bewegung, als er antwortete: „Ja, es war hohe Zeit! Man fühlt es ja selbst, wie man verwildert in solchen Umgebungen, und kann’s doch nicht ändern. Ich hatte keine Wahl, wie ich mein Brot verdienen wollte, und leben mußte ich doch. Aber wer weiß, was aus mir geworden wäre, wenn Sie mir nicht rechtzeitig die Hand gereicht und mich emporgerissen hätten! Viel Worte habe ich freilich nicht gemacht mit meinem Danke. Sie wollen es ja nicht, aber ich hoffe, ihn dereinst abtragen zu können.“

„Schon gnt,“ wehrte Sonneck ab, „Du wirst auf unserem Zuge Gelegenheit genug dazu haben. Nun weiß ich doch wenigstens, woher Dein tolles Reiten stammt! Aber diese Kunstreiterstücke verbitte ich mir ein für allemal. Ich bestreite Dir entschieden das Recht, Dir schon hier in Kairo Hals und Beine zu brechen, später geben sich solche Thorheiten von selbst. Wenn man von Gefahren aller Art umringt ist und sich sein Leben täglich erst erkämpfen muß, dann setzt man es nicht mehr so leichtsinnig aufs Spiel, um einer bloßen Eitelkeit willen.“

„Wären wir nur erst draußen!“ rief Reinhart aufflammend. „Sie ahnen nicht, wie ich mich danach sehne. Wann endlich ziehen wir hinaus?“

„Sobald ich die nötigen Leute und die nötigen Mittel zur Verfügung habe, und das kann noch wochenlang dauern. Mir macht das wahrlich kein Vergnügen, denn mit jeder Woche geht ein Teil der besten Reisezeit verloren. Aber Dir ist Kairo ja noch neu und fremd, Du mußt ja förmlich berauscht sein von all den

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0006.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)