Seite:Die Gartenlaube (1896) 0235.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

„Ihr führt mich an Stricken,“ setzte Hirthauser bei. „Traut Ihr mir nicht, warum folgt Ihr mir?“

Der andere tastete wieder an sein Messer, gleichsam als wollte er sagen: das da ist unsere Sicherheit, daß du uns nicht verraten wirst! –

Der wunderliche Zug bewegte sich immer bergan, in den Runsen, zwischen Felsblöcken und durch ineinandergeklemmtes Holzgefälle, von Windbrüchen stammend. Keiner dieser Fremdlinge hatte seinen Fuß wohl je in solches Alpengebiet gesetzt, man merkte es an ihrem unbehilflichen Vorwärtsklettern. Nur ein paar bartlose Gelbgesichter, Söhne des Kaukasus, liefen mit katzenartiger Behendigkeit bergan. Bei einer Quelle, die zwischen mosigem Gestein hervorbrach, ließ Hirthauser sich nieder, um zu trinken. Der Gaumen war ihm trocken, in seinem Herzen war eine unendliche Traurigkeit. Im vorigen Sommer war’s gewesen, als er sein sechsjähriges Söhnlein mit heraufgeführt hatte in die Oednis, damit es Gemsen sehe. An diesem Brunnen hatten sie gerastet. –

Aus Schluchten herüber rollte ein Donnern, daß der Boden bebte, und der Staub einer Lawine stieg in die Lüfte. Der Führer wurde an Stricken emporgerissen, damit er den Zug weiterleite aus diesem Ort des Verderbens. Und steilanwärts ging’s in die Hänge und Lehnen, über deren fahlen Rasen das Wasser niedersickerte von den Schneewuchten, die hoch in den Mulden lagen. Die Sonne schien warm, von mittägigen Bergen her zog ein weiches Lüftchen. Von den braunen Schallwänden nieder, die ihr zackiges Getürm in den Himmel hineinreckten, kamen große graue Vögel geflogen und umkreisten mit starr ausgespannten Flügeln, gierig nach Fraß, die schnaufenden Gestalten. Der kriegerische Haufe war schier aus Rand und Band. Die einen strauchelten und rollten niederwärts, die anderen brachen tief in den Schnee, wieder andere blieben erschöpft liegen auf dem Gerölle. Da flog oben in den hohen Karen eine finstere Wolke auf, ein Pfeifen, ein Brausen, ein erschütterndes Donnern, ein grauser Sturm fegte alles nieder, was da stand, und die Riesenlawine glitt darüber hinweg, dem Abgrunde zu. –

Etliche des feindlichen Zuges waren begraben. Die anderen, die bloß zu Boden geworfen worden, ermannten sich wieder. Viele stürzten nun auf Hirthauser los – er habe sie ins Verderben geführt! – Der Waldbachbauer soll darauf nur mit den Achseln gezuckt und kein Wort mehr gesagt haben.

Da erhob sich ein wüster Aufruhr und in vielen Sprachen, dumpf grollend, schrill schreiend, wimmernd und fluchend, verlangten sie den Tod des Verräters. Kein Verhör, kein Urteilsspruch. Ohne weiteres haben sie den Mann hinausgeschleppt zu einem Felsenkamm und ihn über die Wand gestürzt in die Tiefe. Im Fallen – so wird erzählt — soll Hirthauser in der Richtung gegen das Waldbachthal die Arme gebreitet und einen hellen Juchschrei ausgestoßen haben. – Später kam auch der im Schnee zurückgebliebene Spießbart, dem war das Geschehene nicht nach Sinn. Er umging den Felsen, kletterte hinab zur Stelle, wo der Mann auf einer Steinplatte zerschmettert lag. „Magyar hält Wort!“ knirschte er und stieß dem Leichnam das Messer in die Brust.

Mit schweren Mühen und manchem Verlust an Mannschaft sollen die fremden Rotten aus den Steinwüsten herabgekommen sein und ihren Ausweg gefunden haben. Weder um die toten Genossen haben sie sich gekümmert, noch ferner ein Verlangen gehabt, die Hochschlag-Knechthütte zu suchen. Verloren haben sie sich aus der Gegend und die Männer des Waldbachthales sind vor dem Ueberfall bewahrt geblieben.

Im Waldbachthale wird heute noch ein Lied gesungen mit der Schlußstrophe:

„Der Retter ist gelegen
Auf einem kalten Stein,
Die Engel thäten ihn tragen
Ins Himmelreich hinein.“

So lebt der Held fort im Herzen des Volkes, wo sein Andenken manche Opferfreudigkeit schon entzündet hat und noch entzünden wird. – Kann man denn nicht auch von diesem Märtyrer sagen: er ist auferstanden und wandelt unter Palmen?




Kinderleben bei den Japanern.

Von Ernst v. Hesse-Wartegg.
Mit Illustrationen von Fritz Bergen.

Dem europäischen Besucher Japans muß das ganze ferne schöne Inselreich wie ein einziger großer Kindergarten vorkommen. Alles scheint sich dort um die liebe kleine herzige Welt zu drehen. Die Häuser sind so klein und nett und zierlich, die Gerätschaften darin erinnern an Spielzeuge, die Gärtchen rings herum mit ihren kurios beschnittenen und verkrümmten Bäumchen, ihren winzigen Rasenflächen, Wassertümpeln, Miniaturbrücken und Tempelchen sehen aus, als wären sie für Puppen und nicht für Menschen geschaffen worden. In Japan sind eben auch die Erwachsenen in vielen Beziehungen Kinder. Man kann dort wohl sagen, wo die Kindheit anfängt, aber nicht, wo sie aufhört. Es ist das reine Kinderparadies.

Kinder bilden die einzige Sehnsucht des neuvermählten Ehepaars und, sind sie einmal vorhanden, dessen größten Stolz, ja dessen wichtigsten Besitz. Der Vater arbeitet nicht bis zu seinem Greisenalter, um die Kinder zu ernähren. Die Kinder sind es, die den Vater ernähren. Ist sein Haar grau geworden, so pflegt er sich von seinen Geschäften zurückzuziehen und überläßt die weitere Sorge, ja überhaupt seine ganze Habe, seinem ältesten Sohne. Er selbst verbringt den Rest seines Lebens in Ruhe und Behaglichkeit. Japanische Eltern blicken nicht mit Sorge in die Zukunft, denn sie wissen und können in allen Fällen darauf zählen, daß das Uebermaß von Liebe und Zärtlichkeit, welches sie ihren Kindern zuteil werden lassen, von diesen reichlich vergolten wird, daß sie bis zu ihrem Tode von ihren Nachkommen gepflegt, geliebt und geachtet werden. Der größte Segen der Japaner ist der Kindersegen.

Die Ankunft eines Kindchens wird mit Freude begrüßt, besonders wenn der neue Ankömmling auf Erden männlichen Geschlechtes ist; denn nur ein Sohn kann Namen und Besitz der Familie erben. Sofort werden Verwandte und nähere Freunde durch eigene Boten von dem großen Ereignis in Kenntnis gesetzt, und bald darauf stellt sich ein Strom von Besuchern in dem glücklichen Hause ein, um die Eltern zu beglückwünschen und das junge Wesen in Augenschein zu nehmen. Freude auf allen Gesichtern, nur nicht bei dem kleinen Balg, der von Hand zu Hand gereicht wird und dem die Welt in den ersten Wochen seines Daseins recht unbehaglich vorkommen mag. Die Geschenke, die er erhält, kann er ja nicht nach ihrem Werte schätzen, und Geschenke erhält er in Hülle und Fülle. Bald sind es Kleidungsstücke oder Stoffe verschiedener Art, bald Spielzeug oder Lebensmittel, hauptsächlich Eier. Alle Geschenke sind niedlich in Papier verpackt und mit rotem Bindfaden zusammengebunden. An diesem hängt, in einem winzigen Paketchen aus rotem Papier, ein Stückchen Fisch, Noski genannt, der bei den abergläubischen Japanern als glückbringend gilt.

Am siebenten Tage nach der Geburt des Kindes wird ihm von seinem Vater oder einem Freunde der Familie ein Name gegeben, gewöhnlich der Vatername, etwas verändert, oder der Name eines Vorfahren. Ist das Kind ein Mädchen, so wird es nach irgend einer hübschen Naturerscheinung benannt, wie Frühling, Sonnenschein oder Gold, Apfelblüte, Chrysanthemum, Lilie etc.

Der neue Ankömmling und sein Name wird in dem Verwaltungsamte des Distriktes registriert, darauf folgt ein Festmahl von Reis mit roten Bohnen und die „Taufe“ ist vollzogen. Ein wichtiger Akt an diesem Tage ist auch das Rasieren des Kindesschädels. Das zarte flaumige Kopfhaar verfällt dem Rasiermesser mit Ausnahme eines kleinen Schöpfchens am Scheitel. Je nach der Laune

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 235. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0235.jpg&oldid=- (Version vom 14.11.2020)