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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

„So fasse Dich doch! Die Gefahr ist ja vorüber, das Boot kommt zurück und Dein Kind ist gerettet. Hast Du es denn nicht gesehen, wie Ehrwald sich ihm nachwarf in die Flut?“

Zenaide blickte sie noch immer an, als redete Elsa in einer fremden Sprache.

„Mein Kind?“ wiederholte sie mechanisch. „Percy? Wo ist er?“

„Er war ja in dem sinkenden Boote, mit seinem Vater! Hast Du denn das nicht gewußt? Mein Gott, Zenaide, was wolltest Du denn hier am Strande?“

Zenaide gab keine Antwort, aber sie fing allmählich an, zu begreifen. Percy war auf dem See gewesen in dem Sturme und in derselben Stunde, wo sie sich den Wellen zum Opfer hinwerfen wollte, hatte man ihnen ihr Kind entrissen. Das durchzuckte sie wie eine furchtbare Mahnung und brach die starre tote Ruhe, die ihr ganzes Wesen gefangen hielt. Sie fuhr empor und wandte sich mit einem Aufschrei dem Boote zu, das dort herankam.

Das kleine Fahrzeug hatte wacker ausgehalten, wenn auch sein Segel zerfetzt am Maste hing. Es hatte jetzt, wo der Wind ihm entgegenstand, schwere Mühe, vorwärts zu kommen, doch jetzt waren es drei Männer, die sich in die Arbeit teilten. Man mußte die beiden Frauen am Strande bemerkt haben; es war noch zu weit, um einen Ruf hinüberzuschicken, aber Ehrwald stand aufrecht im Boote und hielt mit beiden Armen den kleinen Percy empor, um ihn der Mutter zu zeigen.

Noch eine bange Viertelstunde verging, dann wurde den Nahenden vom Ufer ein Tau entgegengeworfen, Reinhart fing es auf und befestigte es an dem Boote, das nun rasch ans Land gezogen wurde. Sonneck saß am Steuer, auf seinem Antlitz lag eine stolze, freudige Genugthuung: die letzte Stunde hatte ihm gezeigt, daß es mit seiner Kraft doch nicht so ganz zu Ende war, sie hatte diesmal noch völlig Stich gehalten. Es war keine Kleinigkeit, das Schiff zu führen bei solcher Fahrt, jetzt brachte er es glücklich zurück und dort am Strande stand sein junges Weib und harrte seiner.

Da auf einmal erlosch der freudige Ausdruck in seinen Zügen und seine Hand glitt langsam von dem Steuer nieder. Er sah es deutlich, Elsas Augen suchten nicht ihn, sondern einen anderen, der hochaufgerichtet im Boote stand. Ihm galt der leuchtende Strahl des Glückes, der aus ihren Augen hervorbrach, ihm die Bewegung, mit der sie den Landenden entgegenstürzen wollte, um dann plötzlich wie gefesselt stehen zu bleiben, und auch sein Blick flog zu ihr hinüber, mit einem stummen und doch so leidenschaftlichen Gruße. Es war ja nur eine Sekunde, in der die Blicke der beiden sich suchten und fanden, aber sie verriet alles.

Reinhart stieg zuerst aus, mit dem kleinen Percy im Arm; er hatte ihn den Wogen entrissen, er legte ihn auch jetzt in die Arme der Mutter.

„Ich war Ihnen ein Leben schuldig, Zenaide hier ist es!“ sagte er leise. „Hier ist Ihr Kind!“

Der Knabe war noch halb betäubt vor Schreck und Todesangst. Er war so lange da draußen umhergeschleudert worden zwischen Leben und Tod; er hatte den Vater und Hartley vor seinen Augen versinken sehen, während er selbst, an das Boot geklammert, noch einige Minuten lang oben blieb; dann hatte ihn auch die Flut verschlungen und er war erst wieder in dem anderen Schiffe erwacht. Nun ging es wieder durch Sturm und Wogendrang und die schwer arbeitenden Männer hatten nicht viel Zeit, das Kind zu trösten und zu beschwichtigen, das zitternd zwischen ihnen am Boden kauerte. Auch jetzt noch floß das Wasser aus seinen Kleidern, das schwarze Haar fiel in nassen Strähnen über sein totenbleiches Gesichtchen und seine großen dunklen Augen irrten verstört umher. Erst als die Arme der Mutter den Knaben umschlangen, als er ihre heißen Küsse auf seinen eiskalten Lippen und Wangen fühlte, erst da schien es ihm zum Bewußtsein zu kommen, daß er in Sicherheit sei. Er umklammerte krampfhaft ihren Hals, schmiegte sich fest an sie, als wollte er Schutz bei ihr suchen, und rief mit einem lauten Aufweinen: „Mama! Mama!“

Ein halbunterdrückter Ausruf des Jubels brach von den Lippen Zenaidens bei dieser ersten unbewußten Regung der Zärtlichkeit; von neuem überströmte sie ihr Kind mit leidenschaftlichen Liebkosungen und richtete sich dann erst empor, um den Rettern zu danken. Da gewahrte sie Hartley, der neben Ehrwald stand, ihn allein, und da zuckte eine Ahnung der Wahrheit in ihr auf.

„Sie sind es, Mister Hartley?“ fragte sie mit stockendem Atem. „Und – und Percys Vater?“

Hartley gab keine Antwort, er sah düster zu Boden, auch Reinhart schwieg – da trat Sonneck heran. Er war sehr bleich und auf seinem Antlitz lag es wie ein schwerer Schatten, aber seine Stimme klang ruhig und fest, als er mit tiefem Ernste sagte: „Lord Marwood ist tot – Sie sind Witwe, Zenaide!“ – –




Es war Abend geworden, das Wetter hatte ausgetobt und klar und leuchtend lag der Sternenhimmel über dem See, der noch unruhig wogte, aber doch bereits in seine alten Grenzen zurückgekehrt war. In Malsburg lag das Opfer, das er gefordert hatte. Als der Sturm und damit die Gefahr vorüber war, hatte man sich aufgemacht, um die Leiche Francis Marwoods zu suchen, und sie denn auch gefunden.

Der Lord war, ebenso wie sein Freund, ein guter Schwimmer gewesen, aller Wahrscheinlichkeit nach hatte ihn bei dem plötzlichen Untergange des Bootes ein Schlag desselben oder des stürzenden Mastes getroffen und betäubt, denn er kam nicht wieder zum Vorschein, während Hartley sofort wieder auftauchte und schwimmend das andere Schiff erreichte. Ehrwald, der den kleinen Percy versinken sah, war ihm sofort nachgesprungen und hatte sich mit dem Aufgebot seiner ganzen Kraft zu dem Kinde hingearbeitet, das er denn auch glücklich erreichte und an Bord brachte.

Das Boot war trotz der augenscheinlichen Gefahr noch eine Weile kreuzend an der Unglücksstelle geblieben, um vielleicht dem Lord Marwood noch Hilfe zu bringen; aber dieser war und blieb verschwunden, man konnte nicht mehr zweifeln an seinem Untergang. Bei der Rückfahrt hatte sich die Wut des Sturmes bereits gebrochen, es war noch immer ein hartes Stück Arbeit gewesen, doch Hartley, der sich sofort erholte, half wacker mit. Die kühne Fahrt hatte wenigstens zwei Menschenleben dem Tode entrissen.

In den Zimmern, die Zenaide bewohnte, schimmerte noch Licht, sie wachte am Bett ihres Knaben, der, erschöpft von der ausgestandenen Angst, in den Armen der Mutter eingeschlafen war. Elsa befand sich bei ihr und Ehrwald war noch in Malsburg, wohin er die Leiche Marwoods geleitet hatte.

Am Rande jenes kleinen Gehölzes, das sich dicht am Ufer hinzog, stand Sonneck, der so spät noch einen Gang in das Freie unternommen hatte. Die letzten Stunden waren so unruhevoll gewesen. Die Sorge für das Kind, das fast erstarrt war in den nassen Kleidern, die Anstalten zur Auffindung des Toten und der Zustand Zenaidens, die furchtbar erschüttert war, als Lothar ihr den Bericht darüber brachte, hatten ihn nicht zum Nachdenken kommen lassen. Er hatte sie auch gefürchtet, diese erste Stunde ruhigen Nachdenkens, nun war sie da und nun hieß es, der Wahrheit ins Auge sehen.

Jener unselige Argwohn hatte ja schon seit Wochen in seinem Innern genagt und gewühlt, allein es war doch immer noch keine Gewißheit gewesen, und immer wieder flüsterte die Hoffnung, daß der sterbende Helmreich sich getäuscht habe, daß er gar nicht mehr bei klarer Besinnung gewesen sei, als er die Warnung aussprach; sie wurde ja durch nichts bestätigt. Da kam das Wiedersehen nach der überstandenen Todesgefahr und riß den Schleier von den Empfindungen der beiden. Lothar wußte es jetzt, wem die Liebe seines Weibes galt, und er wußte es nun auch, wen Reinhart liebte.

Ja, es war ein verhängnisvoller Irrtum gewesen, die eben erst erblühende Jugend an sein Alter zu fesseln, und das rächte sich schnell genug. Freilich, damals war Elsa ein ernstes stilles Mädchen gewesen, dessen wahre Natur wie in einem Bann gefangen lag; da erschien Reinhart, in seiner vollen stürmischen Lebens- und Jugendkraft, da wachte sie auf aus dem langen Traume und es war gekommen, was kommen mußte, die beiden waren ja geschaffen füreinander.

Was nun? Es lag keine einzige Regung von niedriger und gemeiner Eifersucht in der Seele des Mannes, der in dieser Stunde sein ganzes Glück begrub. Er wußte es ja, er hatte keinen Treubruch zu fürchten von dem Freunde oder von seinem Weibe. Reinhart ging fort, schon in den nächsten Tagen, und er kam nicht wieder, so lange noch ein Funke dieser Leidenschaft in ihm war, dessen war er sicher. Und Elsa blieb an seiner Seite als eine pflichtgetreue Gattin. Die beiden würden sich nie wiedersehen und stumm und tapfer das Elend eines ganzen Lebens tragen – um

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 362. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0362.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)