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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Die Frau schloß das Fenster, ließ die beiden ein. „Entschuldigen Sie, Frau Zellin,“ sagte der Gendarm, „ich muß Ihren Mann nur amtlich morgen melden, es wird sich alles machen. Ich gratuliere auch zum Geburtstag!“ Er sprach das mit einer gewissen plump gutmütigen Vertraulichkeit, die eher Verdacht erweckend als beruhigend wirken mußte.

„Ich danke Ihnen; bitte, kommen Sie nur herein!“

Zellin war schon in der Stube, während der Gendarm und die Frau das Vorzimmerchen durchschritten; er warf Pelz und Mütze auf den ersten besten Stuhl, wie eine bis zur Erschöpfung getragene Last, und ging in mühsam verhaltener Erschütterung auf zwei hübsche halbwüchsige Mädchen zu, die vollkommen verwirrt am Tisch unter dem Licht der Hängelampe standen, hochrot, mit großen fragenden Augen … „Annemieke mein Kind Du – Du – so sieht Dein armer Vater aus – Ditha, meine Kleine – mein Braunköpfchen …“ Er riß sie leidenschaftlich an sich, erst eine nach der andern, dann setzte er sich, jede mit einem Arm an sich gepreßt, sie küssend, den Anblick ihrer Blumengesichter trinkend. Nun ließ er sie los, stützte die Arme auf die Kniee und barg den Kopf hinein; nur aus dem Krampf, der ihn schüttelte, merkte man, daß er aufhörte, sich zu beherrschen.

Seine Frau stand neben ihm, legte ihren Arm um seinen Nacken. Der Gendarm, welcher seinen Mantel im Vorzimmer abgelegt hatte, blieb nahe der Thür – er kam sich sehr überflüssig vor und behalf sich mit seiner Amtspositur. Zellin erhob sich, den Arm der Gattin ablösend und um seine Taille ziehend, dann nahm er ihren Kopf um, preßte sie fest an sich und führte sie durch die Stube. „Nehmen Sie am Tische Platz, Möbius, ich bin gleich fertig, ich muß nur erst meine Frau wieder haben. – Mieke,“ flüsterte er mit heißer Zärtlichkeit zu ihr nieder … und dann wieder einmal: „Meine Mieke … so lange entbehrt …“ Er küßte nur ihr Haar.

Sie schritten auf und ab so. Einmal, beim Fenster, sagte er so leise, daß sie es kaum verstand: „Nur dieser Abend noch vorbei – bete, Mieke!“

„Wie lange sind Sie eigentlich fortgewesen, Herr Zellin?“ fragte der Gendarm, dem bei aller Teilnahme die Sache langweilig wurde.

Frau Zellin fühlte einen heftigen Druck von dem umschlingenden Arm, als wollte er ihr mit einer Warnung die Kehle zuschnüren.

„Ich weiß es selber kaum – eine halbe Ewigkeit, glaube ich –“

Er führte die Gattin an den Tisch vor, unter das Lampenlicht, eine aschblonde Mecklenburgerin von echtestem Typus, stattlich von frauenhafter Fülle und mit jenem Anflug von Phlegma, der vornehm läßt. Jetzt sah sie erregt, verweint und unsicher aus – sie stand vor einer Situation, die sie nicht recht faßte und die sie immer wieder unerwartet einschränkte. Er wird frei sein – kommt einen Tag früher als … da sitzt ein Gendarm … es braucht Vorsicht … was heißt das?

Zellin ließ sie los, breitete die Arme auseinander, holte tief Atem, als befreite er sich von etwas, und sagte: „Ah! … Wir wollen Geburtstag feiern, Mieke. Hast Du Wein im Keller?“

„Ja, noch von früher her.“

„Der muß gut sein. Hast Du jemand bei der Hand, in den Keller zu schicken? Aber laß niemand hier herein, wir wollen unter uns bleiben. Und etwas zu essen könnte auch nicht schaden.“

Sie nickte und ging hinaus.

„Noch ein paar Minuten Geduld, Möbius! Heute sollen Sie mal einen ordentlichen Tropfen trinken. Seien Sie gemütlich, Mann Gottes; mir ist ganz leicht jetzt – was sein muß, das muß sein. Ich mach’ mir keine Sorge mehr. Bis Zwölf ist Freiheit, dann legen Sie mir die Hand auf die Schulter. Meine Kleinen! Was treibt ihr denn? Lernt ihr denn was? Wo habt ihr Schule?“

Er saß wieder zwischen den Mädchen, jedes mit einem Arm umfassend, und sie schmiegten sich willig an ihn.

„Bei Fräulein,“ sagte die kleine Brünette zuthulich.

„Was? Ach so, ihr habt ein Fräulein. Wo ist sie denn?“

„Auf ihrer Stube.“

„Sie will Briefe schreiben,“ fügte die ältere hinzu.

„Das paßt ja –“ er sagte das für sich. „Seht ihr – und der arme Papa hat so lange nichts von euch gehabt … ist weit fort gewesen auf Reisen: wißt ihr, wo Schweden liegt?“ …

Er plauderte mit den Mädchen, erzählte ununterbrochen fort, krampfhaft gesprächig – die Hausfrau deckte, still für sich hin, nur flogen verstohlene, sorgende, fragende Blicke auf den Gatten – einmal, zweimal nahm sie seinen Kopf im Vorbeigehen, preßte ihn an sich: „Du hast Dich nicht viel verändert, Adolf,“ sagte sie, und dabei leuchtete es auf in den lichtblauen Augen. „Du auch nicht,“ nickte er. „Aber die zwei hier.“

„Soll ich das Bett für den Herrn Möbins richten?“ fragte sie, als sie mit den Weinflaschen herein kam.

„Na – wie wär’s?“

„Herr Zellin …“ betonte der Gendarm, hob wichtig die Brauen und die Schultern. O, er paßte auf den Dienst!

„Laß nur, Mieke. Das wird sich später finden. Viel Mühe macht’s ja nicht. Also jetzt …“

Er entkorkte zwei Flaschen und goß ein.

„Dein Wohl, meine tapfere Mieke, und Gott füge es noch gut mit uns beiden! Trink aus!“

„Ihre Gesundheit, Frau Zellin,“ sprach der Gendarm mit seinem tiefsten Baß. Er trank auch aus, langsam, bedächtig, während die Gatten einander umschlungen hielten und küßten. „Das ist, glaube ich, was sehr Gutes, Herr Zellin, soweit ich es verstehe,“ dehnte er schnalzend.

„Ja, das ist noch ein Fünfundsiebziger. – Nun schieß mal los: was macht die Wirtschaft, Mieke?“

Er schenkte wieder voll, während sie berichtete. Es war alles im Stande, sie hatte einen guten Inspektor. Dann kam Möbius dran. „Was machen sie denn bei Ihnen in der Stadt?“ Zellin fragte einzeln durch, was ihn interessierte, bis der Gendarm gesprächiger wurde. Er erzählte breitspurig – Zellin saß auf dem Sofa mit seiner Frau; nach dem Essen holte er Cigarren aus der Tasche; immer wieder schenkte er ein – saß zwischendurch, hielt die Gattin umfaßt, bis die aufstand, um die Kinder ins Bett zu bringen. Dann erhob auch er sich, sagte ihnen Gute Nacht. „Soll Papa nun bei euch bleiben?“ „Ja, Vadding, ich lasse Dich nicht wieder fort,“ rief die Kleine und küßte ihn stürmisch; worauf sie der Mutter nachging. „Ihr Unschuldsengel,“ sagte er resigniert hinter ihnen her. „Na, es wird ja auch werden!“

„Es wird wohl zum Aushalten sein, Herr Zellin. Was werden Sie denn kriegen? Ein paar Jahr Gefängnis. Das glauben sie Ihnen, daß sie den Menschen mit der bloßen Faust nicht gerade haben totschlagen wollen und daß es nichts weiter wie ein Unglück gewesen ist.“

„Wollen’s hoffen,“ nickte der Gutsbesitzer und goß wieder frisch ein. „Prosit – wir wollen drauf eins trinken!“

Die Gläser klangen und Zellin zog die Uhr.

„Noch anderthalb Stunden,“ sagte er und setzte das Glas nieder, „dann haben Sie mich.“

„Ja wie machen wir’s denn nun, Herr Zellin? Bis zum Zuge hier sitzen, das paßt mir nicht, ich bin doch zu müde dazu. Es kann Ihnen doch egal sein, wenn wir mit Fuhrwerk fahren, Pferde und Leute genug sind ja hier. Was meinen Sie?“

„Natürlich – wie Sie denken. Wollen mal sehen, wie es draußen aussieht.“ Er ging das Fenster öffnen, der Gendarm erhob sich vorsichtigerweise auch und trat hinter ihn. Als er den Flügel aufschlug, warf der Wind eine Flockenwolke herein, die sie überschüttete.

„Pfui Teufel,“ rief Zellin, rasch wieder schließend. „Eine nette Fahrt wird das werden, wenn’s so bleibt. Na, in anderthalb Stunden kann sich’s ja ändern. Ich wollte sagen: ich verschwöre meine Seligkeit, daß ich Ihnen nicht durchginge, wenn wir nach Zwölf ruhig uns bis zum Frühzug noch ein paar Stunden hinlegten, aber Sie glauben mir doch nicht.“

„Ich muß meine Schuldigkeit thun,“ meinte der Gendarm achselzuckend. „Es geht nicht, Herr Zellin. Mechow, der Getreidehändler, weiß, daß ich Ihnen auf den Hacken bin …“

„Ist gut,“ nickte der Gutsbesitzer zustimmend. „Sagen Sie nur nachher, wenn es soweit ist, wie Sie’s haben wollen …“

Die Hausfrau kehrte zurück.

„Ich habe doch ein Bett zurechtgemacht. Wo will denn der Herr Möbius noch hin diese Nacht? Bleiben Sie lieber hier, es ist so abscheuliches Wetter.“

„Wir werden’s abwarten, Mieke, wir haben eben darüber gesprochen. Vorläufig bleiben wir bis Zwölf auf, wenn er nachher fahren will, wecken wir einen Knecht und lassen anspannen.“

Sie sah unruhig vor sich hin, sah ihren Mann an, schüttelte leise den Kopf und setzte sich dann. Zellin regte wieder krampfhaft lebhaft, wie er früher nie gewesen, Gespräche an, erzählte dem

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 514. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0514.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2023)