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lastenden Schwermut. Die Thäler und Höhen der schönen Umgebung Altheidelbergs sahen ihn jetzt viel als einsamen Wanderer, düsteren Grübeleien über sein verfehltes Leben verfallen; unter dem Eindruck der fruchtbaren Landschaft reifte in ihm dabei der Entschluß, trotz der Ungunst seiner Aussichten und der Widerrede des Vaters doch noch Landwirt zu werden. Er kehrte heim, freilich nicht ohne daß es vorher zwischen der starren väterlichen Gewalt und seiner Willensschwäche zu einem schweren Konflikt gekommen wäre. Wenn auch widerstrebend, willigte jetzt der Vater in die neue Berufswahl. Fritz wurde „Strom,“ d. h. Volontär auf einem Gut; seine von ihm nachmals so köstlich geschilderte und poetisch verherrlichte „Stromtid“ begann. An Alter und Erfahrung ein Mann, war er nach Amt und Beschäftigung wieder ein Anfänger. Erst gab ihm ein Aufenthalt bei seinem Onkel Pastor in Jabel, einem gemütlichen Manne, dann die Oekonomie des Vaters Gelegenheit, sich mit der Landwirtschaft praktisch vertraut zu machen; im nächsten Jahr kam er nach Demzin, einem Gut, das zur gräflich Hahnschen Herrschaft gehörte, in der Nachbarschaft Stavenhagens. Mit dem Schwager seines Lehrherrn, Fritz Peters, der auf Thalberg bei Treptow an der Tollense Pächter war, schloß er innige Freundschaft, und nach Beendigung der Lehrzeit folgte er dessen Einladung, zu ihm zu ziehen, um sich in den angenehmen Verhältnissen auf Thalberg an der Seite dieses lebensfrohen, geistig regen, fortschrittlich gestimmten Landwirts, der sich kurz vorher verheiratet hatte, weiter für die spätere Uebernahme eines Guts auszubilden.

Unter dem frischen Anhauch dieses Lebens in der freien Natur erholte sich Reuters Wesen zu neuer Blüte. All die reichen, in der Gefangenschaft verkümmerten Gaben seines Geistes und Gemütes kamen bei der gesunden Thätigkeit auf Feld und Wiese, im Verkehr mit anregenden Persönlichkeiten, die an seiner liebenswürdigen Unterhaltsamkeit Gefallen fanden, in der Berührung mit den verschiedensten Vertretern des heimatlichen Volksschlags, die sich – zunächst ihm unbewußt – in seinem Innern zu Modellen für seine spätere humoristische Dichtung auswuchsen, zu kräftiger Entfaltung. Während er mit Fleiß den Obliegenheiten eines Fritz Triddelfitz nachging, reifte in ihm die humordurchtränkte, dem Ackerboden der Heimat entsprossene Weltweisheit seines Bräsig. Seine litterarischen Neigungen, schon in der Schule gehegt, erwachten wieder; sein immer reges poetisches Jmprovisationstalent fand in dem geselligen Leben vielfältige Gelegenheit, sich zu bewähren; aus seinen Lieblingsdichtern Scott und Dickens las er dem jungen Petersschen Ehepaar begeistert vor; seine naive Lust an humoristischem Geplauder und Anekdotenerzählen machte ihn zum Mittelpunkt der Unterhaltung in allen Freundeskreisen, in der Familie ebenso wie am Wirtstisch. „Landluft und Landbrot,“ schrieb er später im dankbaren Gedenken an diese Zeit, „und Gottes Herrlichkeit ringsherum, bloß zum Zulangen, und immer was zu thun, heut’ dies und morgen das; aber alles in der besten Regelmäßigkeit und im Einklang mit der Mutter Natur, das macht die Backen rot und den Sinn frisch, das ist ein Bad für Leib und Seele, und wenn die Knochen und Sehnen auch einmal müde werden und auf den Grund sinken wollen, die Seele schwimmt immer lustig oben! Ich segne die Landwirtschaft, sie hat mich gesund gemacht und mir frischen Mut in die Adern gegossen.“

Nur in einer Beziehung gesundete er nicht; jene tückische Krankheit, deren Auftreten sich ganz unabhängig von dem keineswegs übertriebenen Maße vollzog, in dem er unter Freunden bei heiteren Gesprächen den herzstärkenden und den Sinn fröhlich stimmenden Gaben des Bacchus zusprach, überfiel ihn wieder und wieder, wenn auch oft nur in langen Zwischenräumen. Und der grämliche Vater, der von einem „ordentlichen“ Landwirt mit Recht einen anderen Begriff hatte als dem lustigen Treiben seines Sohnes auf Thalberg entsprach, beurteilte jene Anfälle mit herber Strenge als abschreckende Symptome eines ihm nur „liederlich“ erscheinenden Lebenswandels. Er machte dem Sohne darob die bittersten Vorhaltungen und der verächtliche Ausruf „Ut em ward nix!“ wurde zum Kehrreim seiner absprechenden Aeußerungen über den „Ungeratnen“. Ja, noch mehr – als er am 22. März 1845 an der Schwelle des 70. Lebensjahrs gestorben war und der aufs tiefste erschütterte Sohn ihm pietätvoll die letzten Ehren erwiesen hatte, mußte dieser zu seinem Entsetzen und seiner tiefsten Demütigung erfahren, daß die Abneigung und die falsche Beurteilung des alten Mannes ihn auch noch übers Grab hinaus zu strafen bemüht war. In seinem letzten Willen hatte Bürgermeister Reuter, wie A. Römer berichtet, sein Vermögen auf rund 15 000 Thaler veranschlagt und unter seine drei Kinder verteilt. Der Sohn sollte das Kapital jedoch erst bekommen, wenn er vier Jahre hintereinander sich von dem „Laster der Trunksucht“ freigehalten hätte. Bis dahin sollten ihm nur die Zinsen zufließen, und auch diese sollte er zu gunsten der Schwestern verlieren, wenn er – heiraten würde. Die Schwestern, mit denen übrigens Fritz Reuter sein Leben lang auf gutem Fuß blieb, haben später auf dieses Recht verzichtet und dem Bruder auch weiter den Zinsgenuß überlassen; aber unter dem Eindruck des Testaments mußte der so Getroffene alle Pläne, die sein wieder hoffnungsfrohes Gemüt ins Blau der Zukunft gebaut hatte, als meuchlings vernichtet ansehen!

Und zu diesen Plänen gehörte die Absicht, als Pächter eines Landguts, sobald als möglich ein eigen Heim zu begründen, an dessen Herd ein geliebtes Weib walten sollte! Das Eheglück, das er an dem Freundespaar Peters auf Thalberg täglich vor Augen sah, hatte diese Sehnsuchtsträume geweckt: sein einziger Verwandter, der ihm als vertrauter Freund zur Seite stand, der Pastor Reuter in Jabel, hatte ihm oft zugeredet, dies Ziel ins Auge zu fassen, und gerade in der Zeit vor dem erneuten Schiffbruch seiner Lebenshoffnungen hatte er auch das Mädchen näher kennengelernt, dem er in seinen Träumen die Rolle der Hausfrau am eigenen Herde zuwies, die Predigerstochter Luise Kunze aus Roggensdorf bei Lübeck, die in dem Dorf Rittermannshagen als Erzieherin in der Familie des Pastors Augustin lebte. Anmutig von Gestalt und Wesen, von Natur heiter und für Humor empfänglich, der ihre braunen klugen Augen lustig aufblitzen ließ, hatte sie gleich beim ersten Begegnen einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht, der noch verstärkt wurde, als ihm Gelegenheit ward, sie als Sängerin zu bewundern. Der Wunsch „sie oder keine!“ war mächtig in ihm geworden. Und jetzt sah er sich für den Fall der Verheiratung völlig enterbt! Den Fluch, den er später in „Kein Hüsung“ in ergreifender Tragik geschildert hat: bei treuer Liebe im Herzen kein Heim – kein Hüsung – zu haben, in das die Geliebte als Gattin einziehen darf, und keines erhoffen zu können, hat damals der Dichter im eigenen Herzen erlebt! Die Qual jener Tage, in denen ihm die unveränderte Freundschaft des Petersschen Ehepaares Trost und Halt gewährte, tönt zitternd in den ersten Briefen nach, die Reuter an die im nächsten Jahre dann doch zur Braut Gewonnene schrieb.

Aber dieses erschütternde Erlebnis mit seiner Demütigung, mit seinem quälenden Stachel, wirkte, nachdem der unverwüstliche Lebensmut Reuters sich auch mit ihm abgefunden, als ein mächtiger Sporn auf all die guten Kräfte seines Wesens. Nicht nur, daß er den Kampf gegen jenes Leiden, das er selbst als Schwäche empfand, mit einer Energie aufnahm, die ebenso rührend wie bewundernswert ist, daß er als Oekonom den Pflichtenkreis, den ihm die Freundschaft auf Thalberg bot, mit größerem Ernst als je zuvor und mit vollem Einsatz seines Könnens auszufüllen bestrebt war, er begann auch, seinem litterarischen und poetischen Talente, das er bisher fast nur zum Ausschmuck geselliger Feste verwendet hatte, ernstere Beachtung zu widmen und in seinen Entwürfen, wie er trotz alledem doch noch auf einen grünen Zweig gelangen könne, als Faktor in Betracht zu ziehen. Von Liebigs geistvollen Reformideen für die Anwendung der Chemie auf die Landwirtschaft angeregt, dachte er unter Zustimmung seines Freundes Peters und anderer Gesinnungsgenossen daran, sein Wissen und Können als Schriftsteller in den Dienst derselben zu stellen. Er studierte eifrig die Werke auch anderer landwirtschaftlicher Reformer, wie Thaer, und bereitete sich vor, Mitarbeiter oder Redakteur einer landwirtschaftlichen Zeitschrift zu werden. In der Poesie fand sein Herz jetzt ein Mittel der Selbstbefreiung und Wiederaufrichtung; sein Humor, den er bis dahin litterarisch nur zu Polterabendscherzen und Julklappversen verwertet hatte, bemächtigte sich der Formen der sozialen Satire, und in seinem Geiste begannen die Gestalten seiner späteren Dichtungen – nun für ihn bewußt – ihren poetischen Werdeprozeß.

An diesem für den Dichter Reuter, den wir alle kennen und lieben, entscheidenden Aufschwung war die Liebe zu dem Mädchen seiner Wahl aufs innigste beteiligt. Sein Ehrgeiz fühlte sich herausgefordert, der Geliebten zu zeigen, daß er wahrhaftig nicht der verlorene Sohn sei, für den ihn sein Vater gehalten, und das ihn jetzt überkommende Vorgefühl der in ihm schlummernden

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 590. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0590.jpg&oldid=- (Version vom 13.11.2022)