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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

ich denn wieder in der schrecklichsten Ungewißheit es versuchen mit Dir zu verkehren. Wie hast Du entschieden? oder hast Du noch nicht entschieden? Oh, dann laß Dich noch einmal beschwören bei Allem, was uns beide angeht, bei bösen und guten Erinnerungen, laß die Entscheidung so ausfallen, daß wir nicht getrennt werden. – Du siehst, ich habe Wort gehalten und Dir sogleich mein eigen Verderben gemeldet, Dich zur Richterin gemacht, nun sei auch gnädig und laß Dich durch die Betrachtung der Umstände rühren. Bedenke, daß bei allem Eigensüchtigen, das in meiner Bitte unzweifelhaft liegt, doch gewiß die Angst um Dich und Deine Zukunft einen großen Theil an meinem Flehen hat. –

Ich fahre heute den 27sten Abends fort. Ich komme vom Turnplatz, auf welchem ich heute zum erstenmale begonnen habe. Ich bin nicht müde; aber mir ist so weh, so krank zu Sinn, als stände mir ein großes Unglück bevor; es scheint sich Alles zu vereinen, um mich herabzudrücken und dabei soll ich heitere Polterabendgedichte schaffen! Du lieber Gott! ich bin nicht im Stande mit einem gleichgültigen Menschen ein gleichgültiges Gespräch zu führen … Ich fühle es, hier stehe ich an einem Hauptwendepunct meines Geschicks und die Entscheidung steht bei Dir; ich sehe Alles schwarz, vielleicht täusche ich mich und der Morgen läßt es mir schon in anderem Lichte erscheinen; mir ist als wenn Du entscheiden solltest, ob ich ferner einsam, von Keinem geliebt, von Vielen verkannt, kalt und herzlos, ohne besondere Sorge durch die Welt wandern sollte, um zuletzt mit der ReUe um ein verlorenes Leben aus dem LebeN zu gehen, oder ob ich mein Leben in Sorge und Bedrängniß hinbringen soll, getröstet von der Liebe, gehalten durch Vertrauen zu den Menschen, getragen durch Vertrauen auf Gott, um endlich eine ersehnte Ruhe zu finden. Ich will erwarten, wie Du entscheidest, ich will annehmen, was Du bestimmst, und gewiß ohne Murren, ohne später in meinem Herzen Dir lügnerische, selbsttäuschende Vorwürfe zu machen …

Ich habe geschlafen, habe heute morgen schon 3 Stunden gegeben, mein Sinn ist nicht klarer, mein Herz ist nicht gefaßter geworden. Ich scheue mich, mich zu erkundigen, ob ich am Sonntage aufgeboten bin, ich weiß nicht, ob dies Aufgebot mit einem großen öffentlichen Schimpf endigt oder nicht; sollte dies erste der Fall sein, bleibe ich nicht hier, ich gehe, sobald als möglich, fort von hier. Aber wohin? Mecklenburg habe ich in Folge dieser Aussichten verlassen und Preußen zum Vaterlande gewählt und in demselben kenne ich fast keine Stadt als Treptow; es wird dann wohl nicht leicht sein fortzukommen. – Aber was sind alle diese kleinen Unbequemlichkeiten gegen das Gefühl, Dich unendlich leidend zu wissen, ohne helfen zu können, Dich leidend zu wissen und mich selbst als den Urheber Deines Leidens zu wissen. Wie soll ich jemals Ruhe finden, etwas zu beginnen, zu betreiben, wie soll ich, wieder in die Welt gestoßen, den Fehler besiegen, der Dich von mir gerissen? Ich weiß es nicht, wie dies werden soll …

Liebe, liebe Luise, Du kannst nicht glauben, was ich von Dir halte, Du kannst nicht glauben, wie mir’s um’s Herz ist, ach! und ich kann’s gar nicht glauben, daß Du mich aufgiebst, ich kann garnicht den Gedanken fassen, wie mir dann sein wird! Ich bitte und flehe, wenn es in Deine Macht gegeben, laß mich nicht, vertraue auf mich, daß Deine Gegenwart und die Häuslichkeit alles anders machen werden, daß es besser mit mir geworden ist und daß es ganz besser werden wird!

Nun kann ich nicht mehr bitten, der Vorrath von Worten ist erschöpft und nur meine Seele mag noch ferner in Angst und Zagen zu Gott beten, daß er Dir den Weg zeige, der für Dich der Beste ist.

Lebe wohl, lebe wohl, sei so gesund, als Du es kannst und verklage mich nicht zu sehr in Deinem Herzen.

Auf immer und ewig
Dein F. Reuter. 

Treptow d. 28sten May 1851.“


Wie Wolken und Sonnenschein, wenn sie mit gleicher Stärke um die Herrschaft kämpfen, lösen in diesen Briefen Verzweiflung und Hoffnung einander ab, ja oft treten diese Gegensätze so unvermittelt nebeneinander, wie wenn bei solchem Naturvorgang in noch sich ergießenden Regen die Sonne ihre Strahlen schickt. Und die Hoffnung siegt. Während die realen Pflichten und Sorgen den vielbeschäftigten Bräutigam, der die Einrichtung des neuen Heims selbst zu besorgen hat, ablenken von seinen dunklen Furchtgedanken, lichtet sich die Zukunft vor seinem Blick, wächst die Zuversicht, daß der langjährige Kampf um den Besitz der Geliebten nicht sieglos enden kann. Aber er hat auch einen treuen, beredten Anwalt im Herzen der Braut – das Bild seines innersten Wesens, das dort sich in dieser langen Zeit so tief eingeprägt hat, daß es nun durch nichts mehr getrübt werden kann, das Bild seines urgesunden, warmherzigen, tüchtigen, ehrlichen, rührigen, von hohen Idealen getragenen, von tröstlichem Herzenshumor durchleuchteten Wesens, wie sie es kennengelernt hatte in all den Prüfungen, die ihre Liebe seither gemeinsam bestanden! Und sie vergiebt ihm, läßt sich nicht zurückschrecken und wagt’s mit ihm, beseligt von dem Glauben, daß in der sicheren Hut der Ehe und ihrer Liebe der Geliebte nun zur vollen Entfaltung seiner Kräfte gelangen wird, daß der von ihr so wacker „gejätete Acker seines Herzens“ nun bereit ist, die reiche Saat, die in ihm ruht, zu „tausendfältiger Frucht“ zu bringen. Sie kennt seine poetischen Pläne und Entwürfe, welche weit über die Gelegenheitsgedichte hinauslagen, die ihm die Liebe zu ihr oder das Verlangen nach Julklappversen und Polterabendscherzen bei Freunden und Fremden seither eingegeben; sie glaubt an seinen Dichterberuf und hat das Zutrauen, ihm ein Heim schaffen zu können, in dessen Schutz und Schirm er zur Ausführung dieser ernstgemeinten poetischen Arbeiten gelangen werde.

Der letzte Brief, den Reuter an seine Luise als Braut richtete, ist unmittelbar vor seiner Abreise nach Roggensdorf und mitten im Trubel der letzten Besorgungen für den neuen Haushalt – auch ein Mädchen hatte er zu mieten – geschrieben. So klingt der Dank für Luisens liebreiches Vergeben – übrigens kleinlaut genug – zwischen den geschäftlichen Mitteilungen und dem Ausbruch der Vorfreude hindurch auf das Wiedersehen, die endliche Vereinigung für immer.


 „Liebe Luise.
Diesen Brief schreibe ich sehr rasch und durch die Nothwendigkeit dazu gezwungen. Heute Dienstag d. 3ten Juni über 8 Tage also am 10t d. M. denke ich von hier abzureisen, ich muß also die verlangten Verzeichnisse, so wie das Attest Deiner Ortsobrigkeit spätestens bis dahin haben, um es hier einreichen zu können, d. h. ich muß es am 2. Festtage haben; ich bitte Dich nun dies ja und ja nicht zu versäumen, sonst giebt es Verwirrung über Verwirrung. Heute erwartete ich mit Bestimmtheit einen Brief von Dir; er ist ja doch nicht gekommen und so mag derselbe denn wohl morgen eintreffen. Vergiß nichts von Deinen Sachen bis zum Schuhzeug herunter, sonst sind Unannehmlichkeiten die Folge. Der Küchenschrank, der Tisch und die Bank in der Küche sind bestellt; Madame Peters sagte auch von Böttchergeschirr. Ach, wenn doch diese Geschichten erst in Ordnung wären! ich weiß mich schlecht mit solchen Dingen zu behaben. Zu Pfingsten wird Kardorff und Ernst Peters mit Frau in Thalberg erwartet und mit dieser Gelegenheit denke ich nach Stav. zu reisen. – Morgen will ich mich in Th. nach Rieke Dühn erkundigen. Mein Dienstmädchen ist krank und ich kann nichts besorgt erhalten, dazu habe ich mehr Stunden, als sonst, weil ich die später ausfallenden zum Theil vorweg gebe und dann soll ich die verdammten Polterabendgedichte machen und mir fehlt die Ruhe und die Gedanken dazu. –

Wie geht es Dir, meine liebe, liebe Luise, bist Du noch sehr traurig, oder hast Du neuen Muth gefaßt? Laß es gut sein, es wird Dir nie leid werden, daß Du so lieb und gut gewesen bist, mir wird dies ewig vor Augen stehen, so wie es in mein Herz mit unauslöschlichen Zeichen gegraben ist. Ich bin nur bekümmert, daß ich noch keinen Brief habe, ich fürchte grade nichts Uebles; aber mir gehts wie den Uebelthätern, die durch jedes Ungewöhnliche in Furcht versetzt werden, sei sie auch nur eine unbestimmte. –

Mir fällt ein, daß die Antwort auf diesen Brief mich am Ende nicht mehr hier treffen könnte, solltest Du dies voraus sehen, so addressire dieselbe nach Stav., ich kann von dort noch manches besorgen. Den Proclamationsschein werde ich am letzten Festtage ausgestellt erhalten, wie Maskow mir sagt.

Heute über 14 Tage, meine süße Luise, heute über 14 Tage ist der Tag, an welchem wir endlich verbunden werden; wie unendlich ersehnt ist für mich dies Ziel, wie glücklich bin ich in dem Gedanken, daß Du mein wirst und daß ich Dir gehören soll. Glaube nicht, daß es bei mir die Freude allein ist, die darüber in meinem Herzen laut geworden ist, auch der Ernst und der feste Vorsatz, Dir alle Deine Liebe reichlich zu vergelten, haben darin ihre

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 639. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0639.jpg&oldid=- (Version vom 9.2.2023)