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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

ihre Hand, und als er fühlte, daß auch sie leise zitterte, sagte er weich:

„Hast du Angst vor mir, mein kleines Mädchen?“

Sie antwortete nicht.

„Mußt auch nicht,“ fuhr er treuherzig fort, „ich bin dir so gut, so sehr gut; es thut mir weh, wenn du dich fern von mir hältst. Fasse ein wenig Vertrauen zu mir, Aenneken, willst doch mein guter Engel werden – hast mich doch lieb?“ Er hatte ihren Kopf an seine Brust gepreßt, seine große Hand drückte ihren Scheitel wie ein Riesengewicht.

Sie konnte nicht antworten, sie wußte weiter nichts zu thun, als es still zu dulden.

„Siehst du, Kind,“ fuhr er leise fort, „es ist mir ja selbst ein Wunder, daß du Ja! gesagt hast. Ich bin nicht verblendet über mich, ich bin aus kleinen Verhältnissen herausgekommen, habe hart gearbeitet in meiner Jugend, scherwenzeln und glatte Worte machen habe ich nicht gelernt. – Schön bin ich auch nicht, und drei Kinder hängen an mir – das einzige, womit ich dich gewinnen könnte, ist ein Herz voll Liebe und Treue für dich, Kind, und daß du dies herausgefunden hast, das ist mir eben so wunderbar, wo ich es doch immer versteckt habe vor dir, denn ich meinte, du seiest zu gut für mich! – – Oder ist es Mitleid gewesen, Aenne, mit mir und meinen Kindern? Sag' 'mal ehrlich, Aenne, habe den Mut – Ja? War’s Mitleid? Ich nehme es dir nicht übel – ich wollte dich schon längst fragen.

Sie schüttelte leise den Kopf.

„Nein?“ forschte er und es klang wie Jubel und er bog sich hinunter und küßte sie. „Wenn du jetzt ‚Ja!‘ gesagt hättest, Aenne, wenn du – er war aufgesprungen und ging im Zimmer umher, dann setzte er sich wieder neben sie und hob sie auf seine Kniee, als sei sie ein Kind – „Weißt du, was ich geworden wär', wenn du Ja! gesagt hättest? – Nein, Aenne, ich lasse dich nicht fort, bleib' ruhig – weißt du es? – Ein einsamer Mann wäre ich wieder geworden, denn ich hätte dich freigegeben in der nämlichen Minute! Komm, Mädel, du sollst es wissen, warum! Nicht um meinetwillen – dein Mitleid wäre für mich immer noch ein großes Glück – um deinetwillen, Aenne, denn – – und nun sage ich dir etwas, das außer dir kein Mensch weiß, vielleicht auch verstehst du es gar nicht, denn um das ganze Elend zu begreifen, muß man die Erfahrung hinter sich haben.“

Sie war aufgesprungen, sie wollte ausrufen „Ich will dein Geheimnis nicht, denn ich liebe dich ja nicht!“ aber er zog sie wieder auf sein Knie, und dann sagte er langsam wie mit gebrochener Stimme. „Ich habe meine erste Frau nicht geliebt! – Aenne, weißt du, was das heißt? Nein, das weißt du nicht – Gott mag's jedem ersparen, denn wenn's eine Hölle giebt auf Erden, ist es dies!“

„Eine Hölle auf Erden“ hatte er gesagt. Sie machte sich heftig los und stand auf; er ließ sie, es war, als sei er in alten schweren Gram versunken, so still saß er da und starrte vor sich hin. Und sie war zum Fenster geflüchtet und ihre Blicke hingen an einem Licht, das schimmerte im Erkerbau des Schlosses, drei Treppen hoch. – – Ihr war zu Mut, als müßte sie ersticken vor Angst und hinter ihr redete jetzt der Mann aus dem Dunkel, als spräche er mit sich selber:

„Und wenn man die so ansieht, mit der man zusammen geschmiedet ist, mit Ketten, die tausendmal drückender sind als eiserne, wenn man bei allem, was sie thut, denken muß, wie ist das nun wieder dumm und ungeschickt! Wenn man an dem ganzen unseligen Geschöpf nur Tadelnswertes findet, wenn es gar nichts recht machen kann wenn einem schon die Fingerspitzen kribbeln, tritt sie nur ins Zimmer, wenn man das Antlitz, von dem man wünscht, es nie gesehen zu haben, jeden Mittag bei Tische sich gegenüber erblickt, wenn man der Elenden fluchen möchte für jeden Dienst, den sie einem leisten muß, wenn man aufwacht des Morgens und ihr Gesicht ist das erste, das einen ansieht, vorwurfsvoll und bittend, und man fühlt statt Mitleid – Zorn in sich! Wenn man froh ist, sobald die Hausthür hinter uns zuschlägt – wenn – –“

Er stand auf, kam herüber zu ihr und zog sie zärtlich an sich. „Ach, du hast viel zu thun, Aenne, du mußt alles wieder gut machen, was schwere lange Jahre mir angethan haben!“

„Aber weshalb – –?“ stieß sie hervor.

„Weshalb ich sie nahm, Kind? Ach, Aenne, wie soll ich dir das sagen, wie kommt das zuweilen? Der eine thut es aus Gedankenlosigkeit, der andere in der Laune einer unseligen Stunde, der dritte aus Trotz. Verstehe mich um Gotteswillen nicht falsch, es liegt mir nichts ferner, als die Mutter meiner Kinder noch im Grabe zu tadeln. Sie war des Oberförsters Nichte, droben in Brotterode, war älter als ich – ich jung, ehrgeizig und arm. Ich kannte keine andere und sie wollte mich, sie liebte mich, sie stellte sich mir in den Weg, wo immer ich ging, und die Leute, die redeten von einer guten Partie, von einer braven häuslichen Frau, von Einleben auch ohne Liebe und sagten, daß die leidenschaftslosen Ehen die glücklichsten wären! – – Dummes Zeug! Es geht nicht ohne Liebe, ohne Leidenschaft – sag’ ich!“ rief er heftig. „Nein! Oder – es sind Menschen ohne Herz, Puppen, die am Draht tanzen, Tiere sind’s! Und darum, Aenne, wenn ich vergehen sollt’ um dich – ohne deine Liebe ertrüg’ ich’s nicht – um deinetwillen! Und nun schweigen wir von meiner Johanna sie ruht aus von vielen Enttäuschungen, ist auch wohl nicht glücklich gewesen mit mir, obwohl ich glaube, sie wußte nicht, was sie entbehrte. Ich habe es ihr wenig gezeigt, wie es um mich stand. Aber, siehst du, Aenne, gerad' in dem stillen gleichgültigen Nebeneinander, in dem unterdrückten Schmerz – da liegt das Elend!“

Und wieder zog er sie an sich. „Aenne“, sagte er leise und innig. Und ihr war es, als drehte sich alles um sie in rasendem Wirbel, sie fühlte nichts als ihre eigene ungeheure Schuld diesem Manne gegenüber, wenn sie jetzt schwieg – und sie konnte nicht reden! Sie hatte Liebe verleugnen können, Liebe heucheln diesem gegenüber – nie!

„Ich muß dir etwas sagen“, rief sie, angstvoll sich an ihn schmiegend, „ich muß –“ Und dann brach sie in ein leidenschaftliches thränenloses Schluchzen aus und blieb dennoch stumm.

In diesem Augenblicke wurde die Thür geöffnet und Lampenschimmer fiel herein. Frau Rat und Fräulein Stübken sahen nur noch, daß der Oberförster seine Braut im Arme hielt, ihr Weinen war jäh vorüber.

„Wir müssen wohl heim,“ sagte die Mutter freundlich, während Fräulein Stübken, die die Lampe auf den Tisch gestellt hatte, das Zimmer verließ. „Einen Augenblick setze ich mich noch; natürlich, lieber Hermann, ist’s Zeit, ich will Ihnen die Ruhe nicht nehmen. Dies ist auch ein nettes Zimmer,“ fuhr sie fort, Aenne Zeit lassend, sich zu sammeln, ohne im mindesten Neugier zu verraten „und das da ist wohl Ihre liebe selige Frau?“ erkundigte sie sich leise und deutete auf ein Bild über dem Schreibtisch, eine Photographie in schwarzem runden Holzrahmen.

Er schüttelte verneinend den Kopf. „Nein, das ist ein früh verstorbener Bruder von mir, der Theologie studierte.“

„In Ihrem Zimmer kein Bild der Verstorbenen?“ stotterte Frau Rat. „I Spaß, da ist’s ja!“ Und nun erhob sie sich und schritt zu dem Tischchen hinüber, auf welchem eine Wasserflasche stand, ein Leuchter und Zündhölzchen. Aber als sie die Lorgnette nahm, um es zu betrachten, war es nur ein schon gedruckter Spruch:

Selig das Haus, das in Liebe gebaut!

und darunter:

1. Korinther 13. Aber die Liebe ist die größte unter ihnen.

„Ein schöner Spruch, nicht wahr?“ rief er heiter. „Ich denke, er soll so recht extra für uns erdacht sein, und behaglich wollen wir es uns machen in dem alten Bau! Sie haben freie Hand, liebe Mutter, können schalten und walten wie Sie wollen, denn ich werde selten daheim sein in der nächsten Zeit. Wenn der Herzog kommt, so ist – –“

„Kommt Hoheit?“ unterbrach die Rätin neugierig, „ich meinte, er wolle in diesem Jahr Breitenfels nicht beehren?“

„Uebermorgen ist er da.“

„Mit großem Gefolge?“

„Nur Jagdgäste, die Herzogin ist nach dem Süden gereist.“

„Ohne Theater?“

„Ei bewahre! Das hielte Hoheit nicht aus. Diesmal ist’s das Opernpersonal, das er mitbringt. Da soll mein kleiner Schatz ordentlich Musik hören, mein Sitz steht dir immer zur Verfügung. Woher ich das weiß? Ich erfuhr das alles aus

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_075.jpg&oldid=- (Version vom 2.3.2019)