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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)


sieht dir ähnlich!“ rief er, und es klang etwas von der alten fröhlichen Heiterkeit hindurch.

„Du solltest überhaupt von solch dummem Zeug gar nicht reden,“ versetzte Hans Ritter. „Ich bitte dich! Mir! Einem deutschen Novellisten, der Geld wie Heu verdient! Laß mich dir lieber noch ’mal persönlich danken, daß du uns euer weißes Mädel eine Zeit lang dalässest. So lange es hier bleibt, ist das Liebste bei uns, was ich habe.“

Bardolf hielt wieder inne und erfaßte die Hand des Freundes. „Ich danke dir!“ sagte er, „das hat wohlgethan.“

Nach einer Weile fing er an, von anderem zu sprechen. Es war ein lauer, regnerischer Winter; schwarze Weihnachten; die Straßen schlammig und der Himmel sternlos, von Wolken grau verhängt. „Sieh doch“ sagte Bardolf, „wie wundervoll die Sterne leuchten! So war es an unserem Verlobungsabend.“

Ritter blickte ihn erstaunt und gerührt an.

„Ja,“ fuhr Bardolf fort, „ist es nicht seltsam, daß meine Augen diesen Glanz heute wieder auf einmal so deutlich erkennen, deutlicher als je? Sie machen mir sonst doch neuerdings wieder so viel zu schaffen. Sogar den ‚Fuhrmann‘, da vorn im ‚Großen Wagen‘ meine ich heute wieder zu sehen. Ich zeigte ihn Emilie damals, sie konnte ihn nicht erkennen, aber sie war selig, daß ich so hell und scharf sähe. – Hier unten der Schmutz und dort oben die ewige Welt voll Licht und Klarheit,“ fuhr er fort. „Es ist wunderbar!“

„Ja, es ist wunderbar,“ wiederholte Hans Ritter leise.

Dann tauchten sie in das Menschengewühl des Bahnhofs ein, und bald darauf trennten sie sich vor der Waggonthür mit festem Händedruck und vielen herzlichen Grüßen.

Acht Tage darauf, in der Frühe des Morgens traten der Hauptmann und Hans Ritter aus dem Portal der Seedorfschen „Lehranstalt.“ Plötzlich und rapid, wie es der Geheime Sanitätsrat vorausgesehen, hatte es sich vollbracht. Als Hans Ritter am Abend zuvor auf das Telegramm des Hauptmanns herbeigeeilt war, hatte der Sterbende schon kein Zeichen des Erkennens mehr für ihn gehabt; und zwölf Stunden darauf war er gänzlich entschlafen, ohne die von den behandelnden Aerzten erwarteten Krämpfe und anscheinend ganz schmerzlos. Nur noch einmal während dieses langsamen Hinüberdämmerns waren über seine Lippen menschliche Laute gekommen, ein leises, zufrieden müdes Flüstern. „Sterben – – – schön – – –“.

Die Freunde hatten bei ihm gewacht. Nun traten sie hinaus auf die kaum erst belebte, schlüpfrig feuchte Gasse, und der Hauptmann von Seedorf sagte zum Abschied: „Na nun gehen Sie in den Gasthof und legen Sie sich eine Weile, lieber Doktor, zum Frühstück werde ich Sie wecken kommen. Uebermorgen ist das Begräbnis, natürlich mit Musik, vom Kriegerverein aus, und drei Salven übers Grab! Wenigstens im Grabe hat doch auch der Bescheidenste ’mal etwas davon, daß er mit dabei war.“

Es dauerte noch einige Tage nach dem Begräbnis, bis das Notwendigste, Vormundschaftsübernahme, Ordnung und Einteilung der fahrenden Habe in „Andenken- und Versteigerungswürdiges“ und dergleichen, erledigt war. Auffallend schön geordnet waren die Briefschaften und Papiere Bardolfs. Obenauf im Schreibtisch fand sich ein geschlossener Brief an Hans Ritter. Er hat aber niemand je gesagt, was darin stand.

Und nun saß er wieder im Eisenbahnwagen und fuhr heim zu seinem Heim, und zugleich zu dem Kinde, das nun ihm allein anvertraut war, und zwischen Wachen und Schlafen war es ihm, als hörte er immerfort zu dem eintönigen Rollen und Stoßen des Zuges die Worte der alten Frau, die sie damals im Schlafe gemurmelt, als er mit ihr von der ersten Geburtstags- und Weihnachtsfeier der Kleinen heimfuhr. „Nur recht weich betten, und recht warm halten!“ (Fortsetzung folgt.)


Blätter und Blüten.

Ein Jubiläum der Polarforschung. (Zu dem Bilde S. 84) Schon vor drei Jahrhunderten drangen kühne Seefahrer in die Eiswüsten des nördlichen Polarmeeres vor, um längs der Nordküste Asiens einen Seeweg nach China zu finden. Zu diesem Zwecke wurde auch von Amsterdamer Kaufleuten im Jahre 1596 eine Spedition von zwei Schiffen ausgerüstet. Die eigentliche Seele des Unternehmens war der Obersteuermann Willem Barents, ein mutiger, in Polarreisen bereits erfahrener Mann. Die Expedition entdeckte nicht die Durchfahrt nach China, aber in der Geschichte der Polarforschung nimmt sie eine hervorragende Stellung ein, denn vor gerade dreihundert Jahren mußte ein Teil ihrer Mannschaft zum erstenmal in Polargegenden überwintern. Im Sommer des Jahres 1596 trennten sich die beiden Schiffe voneinander. Dasjenige, auf dem sich Barents befand, geriet nach Nowaja Semlja und wurde unter 76° nördlicher Breite vom Eise festgehalten. Gewaltige Eispressungen nötigten die Mannschaft, das Fahrzeug zu verlassen und den Winter auf dem Lande zuzubringen. Glücklicherweise fand man an der Küste Treibholz in Menge, aus dem ein Blockhaus errichtet wurde und das als Feuerungsmaterial verwendet werden konnte. Ein Teilnehmer der Expedition, Gerrit de Beer, hat später einen Bericht über diese Erlebnisse niedergeschrieben und eine schlichte Abbildung des Blockhauses gezeichnet, die wir im verkleinerten Maßstabe unsern Lesern vorführen. Schon im Oktober war die Kälte unerträglich. Das Feuer, das beständig auf dem Herde in der Mitte des Hauses unterhalten wurde, schien seine Kraft, zu erwärmen, eingebüßt zu haben. Die Schlafstätten bedeckten sich mit zwei Finger dickem Eise, die Strümpfe verbrannten, bevor die Füße warm wurden. Am 4. November verschwand die Sonne vollends, und es verstrichen 81 Tage völliger Nacht. Willem Barents hielt aber den Mut der Mannschaft aufrecht. Es wurden Ausflüge veranstaltet und Füchse gejagt, deren Fleisch Nahrung und deren Felle Kleidung lieferten. Auch allerlei Kurzweil wurde getrieben und am 6. Januar 1597 bei einem nur aus Mehl und Thran gebackenen Kuchen der Dreikönigsabend nach altem holländischen Brauch gefeiert. Im großen und ganzen war der Gesundheitszustand gut. Zur Stärkung nahmen die Holländer warme Bäder in einem großen, dazu eigens hergerichteten Weinfasse, das im Hause aufgestellt war.

Als der Sommer kam, traten die mutigen Seefahrer auf Booten die Rückfahrt nach dem Süden an. Sie begegneten russischen Fischern und wurden gerettet, aber von den siebzehn sahen nur zwölf die Heimat wieder und zu den Toten, die in den Eiswüsten des Nordens ihr Grab fanden, zählte auch der mutige Führer Barents.

Fast dreihundert Jahre später wurde das Haus, in dem die Holländer überwintert hatten, am 9. September 1871, vom norwegischen Kapitän Elling Carlsen wieder aufgefunden. Vieles war noch ausgezeichnet erhalten; rings um das Haus standen Tonnen und lagen Bären- und Walroßknochen in Haufen umher, als ob das Winterquartier soeben verlassen worden wäre.


Am „Kleinen Kiel.“ (Zu dem Bilde S. 69) „Der Kleine Kiel“, so heißt die durch schmale Zufahrt mit dem Kieler Hafen verbundene Wasserfläche, die seeartig sich tief in das Weichbild der Stadt hineindrängt. Jetzt der Stolz und die Zierde von Kiel, villenumgeben und gartenumblüht, mit schattigen Baumgängen eingefaßt, war dieser „kleine Hafen“ lange Zeit ihr Schmerzenskind, als er noch mit sumpfigen und schilfumrauschten Ufern in doppelt so großer Ausdehnung im Sonnenglanz dalag und an Abwässern so viel aufnahm, daß er zur Sommerszeit die fürchterlichsten Dünste aushauchte.

In neuester Zeit führt über den „Kleinen Kiel“ eine Brücke. Sie mündet nicht fern von dem einstigen Wohnsitze eines um den „Kleinen Kiel“ und noch um andere Dinge hochverdienten Mannes, des heimgegangenen Professors Thaulow, der mit rührender Sorgfalt und Liebe für die Bevölkerung des weiten Wasserspiegels mit allerlei in- und ausländischem Wassergeflügel sorgte. Zu all den stattlichen Schwänen und Gänsen und Enten und Entlein gesellt sich aber zur Zeit der Wintersnot noch eine andere Schar, das sind die wilden Möven von der See her, die hier bei ihren zahmen Vettern zu Gaste gehen möchten, und die, wenn Teiche und See zugefroren sind, gar zahm und zutraulich werden um eines Stückleins Brot willen, mit dem sie den grimmen Hunger stillen möchten - so zahm, daß sie, die ungestümen Flieger und ungebändigten Freibeuter, dem Fütternden gleich aus der Hand fressen. Es ist ein lieblich anmutiges und seltsam fesselndes Schauspiel, dies Flattern und Flügelschlagen, dies Drängen und Durcheinanderschwirren der Hunderte von kreischenden blütenweißen Möven! Kennen sie vollends Eine, die regelmäßig mit zarten Händen ihnen ihr Futter reicht, dann umschwirren sie die Mildthätige, wie einst die Tauben um Aschenbrödels Haupt flogen und flatterten. „Winterszeit – harte Zeit“ für den kleinen Mann unter dem gefiederten und ungefiederten Volk, aber „es muß doch Frühling werden!“ Da schlagen die Lindenbäume um den „Kleinen Kiel“ her wieder aus, und in den Gärten blühen Krokus und Hyazinthen, und die Schar der Möven läßt Brücke und Brackwasser und Stadt und Jungfräulein, und sie schreien einander zu vom Siege des Lichts und vom wiedereröffneten Fischfang da draußen, und in ungebändigter Freiheit und Frechheit brausen sie in weißem Geschwader über die See – „Frühling“!


Gefangene Germaninnen. (Zu dem Bilde S. 72 und 73.) Wehe den Besiegten! Grausenerregend gellt der Ruf durch den Gau Germaniens, der, inmitten stiller Berge gelegen, jahrelang der Segnungen des Friedens sich erfreut hat. Nun hat sich jäh das Schicksal gewendet. Unvermutet waren in denselben römische Legionen eingebrochen und die Schar der Krieger, die sich dem Feinde entgegenwarf, wurde trotz her tapfersten Gegenwehr von der Uebermacht aufgerieben. Auf der Walstatt liegen die Helden, und die Sieger durchziehen raubend und sengend das Land. In ihre Hände ist auch eine Schar germanischer Frauen und Jungfrauen gefallen. Man hat sie in ein halbzerstörtes Blockhaus geführt und hier sollen sie warten, bis über ihr Schicksal entschieden

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 83. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_083.jpg&oldid=- (Version vom 3.7.2023)