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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

mikroskopischer Durchschnitte läßt sich zeigen, daß bei allen Wollgeweben die Zahl der Berührungspunkte mit der Haut eine verhältnismäßig geringe ist. Gleichzeitig sind diese Gewebe, der Natur der Faser entsprechend, sehr elastisch und legen sich auch im durchnäßten Zustand der Haut nicht dicht an. Dies alles erklärt zum guten Teil, weshalb die wollenen Gewebe für Unterkleidung sich solcher Beliebtheit erfreuen.

Aber auch aus Leinen – selbstverständlich ebensogut aus Baumwolle – lassen sich Gewebe mit geringer Kontaktgröße, mit wenig Berührungspunkten an der Oberfläche herstellen, welche daher in dieser Hinsicht die Vorzüge der Wollstoffe teilen. Zwar scheint es technisch kaum möglich, die Leinenfaser dauernd in einem aufgelockerten Zustand festzuhalten und daher zu einem gleichmäßig lockeren Gewebe wie die Wolle zu verarbeiten. Aber die geringe Kontaktgröße läßt sich auf einem Umwege erreichen, indem man gitter- oder netzförmige Gewebe herstellt, mit großen, millimeterweiten Zwischenräumen zwischen den sich kreuzenden Fadensträngen. Schon die grobe Leinwand, das sogen. Bauernleinen, verhält sich übrigens in Bezug auf den Hautkontakt günstiger als das gewöhnliche glatte Leinen. Besonders geringe Kontaktgröße aber bieten solche Stoffe, die nach Art der sogenannten „Frottierstoffe“ gewebt sind, welche eigentlich die Bestimmung haben, um nach Bädern die Haut in energischer Weise nicht nur trocken zu reiben, sondern durch den mechanischen Reiz zugleich zur Reaktion anzuregen. Diese Frottierstoffe bestehen aus einer wohl meist baumwollenen, einfach glattgewebten Grundlage, auf welcher senkrecht bürstenartig abstehende dicht gedrängte starke Leinenfäden hervorragen. Denkt man sich die letzteren mit ihren Endigungen an der Hautfläche anstehend, so erhalten wir einen Stoff, der nur an verhältnismäßig wenig Punkten mit der Haut in Berührung tritt, während zwischen den bürstenartigen Leinenfäden eine große Menge von Luft eingelagert bleibt, welche die Ventilation an der Hautoberfläche erleichtert. Freilich wird man nur mit einem gewissen Schauder daran denken, daß ein solcher Frottierstoff überhaupt als Unterkleidungsstoff Verwendung finden könnte, und in der That kann es sich ja nur um Ausnahmefälle, nicht um ein normales Tragen handeln. Aber eben für solche Ausnahmefälle, nämlich für verschleppte Fälle von katarrhalischen Zuständen der Luftröhre, bei denen große Empfindlichkeit gegen Erkältungen besteht, habe ich Unterjäckchen aus derartigem, übrigens nur einseitig, nicht wie gewöhnlich doppelseitig hergestellten Leinenfrottierstoff schon manchen Personen mit Nutzen empfohlen. In solchen Fällen scheint häufig das fortgesetzte Tragen wollener Unterkleidung, anstatt zu nützen, allmählich eine Verweichlichung und noch größere Empfindlichkeit der Haut zu erzeugen, während sich dann die genannten leinenen Auskunftsmittel besser bewähren.

Die an sich so wichtige Oberflächenbeschaffenheit der Kleidungsstoffe gewinnt, wie erwähnt, noch eine besondere Bedeutung dann, wenn die Stoffe infolge von Schweißbildung durchnäßt sind. Ueberhaupt legen wir unwillkürlich bei den Unterkleidungsstoffen ein ganz besonderes Gewicht darauf, wie sich dieselben zur Schweißbildung verhalten. Fast bei aller nur etwas lebhafteren körperlichen Thätigkeit kommen wir dazu, wenigstens in geringen Mengen und wenigstens an bestimmten Hautstellen, die dazu veranlagt sind, Schweiß zu bilden. Da nun aber die wärmeschützende Funktion eines Kleiderstoffes im durchnäßten Zustand sich in ihr völliges Gegenteil verkehren kann, da ein durchnäßter Stoff, anstatt uns zu schützen, sogar die Wärmeabgabe gegenüber dem nackten Zustand noch erhöht, so kommt sehr viel darauf an, wie sich ein Stoff gerade in dieser Hinsicht verhält.

Auch hier hat nun die Erfahrung längs gewisse Vorzüge der wollenen Gewebe erwiesen, und es ist interessant, den näheren Gründen dieses günstigen Verhaltens der Wollstoffe nachzupüren. Man kann nämlich für das Maß der Schweißbildung und der von der Unterkleidung aufgesaugten Schweißmengen einen Anhaltspunkt dadurch gewinnen, daß man feststellt, wieviel Kochsalz beim Schwitzen in die Unterkleidung eingedrungen ist. Mit dem Schweiß wird ein Teil des Kochsalzes, das wir in der Nahrung aufgenommen haben. zur Wiederausscheidung gebracht, und so giebt der Kochsalzgehalt einen Maßstab für die Schweißmenge. In dieser Weise sind durch Rubners Schüler und Mitarbeiter Cramer Ermittelungen darüber angestellt worden, ob z. B. beim Tragen einer Wollsocke am einen, einer Baumwollsocke am anderen Fuße unter gleichen Bedingungen gleiche Schweißmengen produziert werden oder nicht. Da fand sich denn die auffallende Thatsache, daß wollene Bekleidungsstoffe – gleichviel, ob die Versuche bei Ruhe, mittlerer oder starker Arbeit angestellt wurden – immer um etwa 30 Prozent weniger Schweißbestandteile enthielten als baumwollene, seidene oder leinene. Das ergab sich am deutlichsten bei den Socken, aber im wesentlichen auch bei den Unterjacken.

Diese merkwürdige Erscheinung, die man zunächst gar nicht begreift – da doch unmöglich unter einer wollenen Socke überhaupt weniger Schweiß gebildet werden kann als unter einer baumwollenen oder leinenen – klärte sich auf, als Cramer die Versuche in der Weise modifizierte, daß er an dem einen Fuß eine Wollsocke und darüber eine Baumwollsocke anzog, am andern Fuß aber innen die Baumwolle und außen die Wolle trug. Bei wiederholten Versuchen stellte sich nun mit aller Sicherheit heraus, daß Baumwolle und Leinen, wenn sie unmittelbar auf der Haut getragen werden, fast den ganzen Schweiß aufsaugen und festhalten, während Wolle im Gegensatz hierzu einen großen Teil der Schweißbestandteile hindurch passieren läßt und an die überliegende äußere Schicht abgiebt.

Wir haben da also eine neue Eigenschaft der wollenen Unterkleidung, die aber offenbar mit einer längst bekannten Eigentümlichkeit der Wollstoffe zusammenhängt, mit der Eigenschaft, sich im Wasser schwer zu benetzen. Jede Hausfrau weiß aus Erfahrung, daß Wollflanell sich nur schwer mit dem Wasser befreundet, und wenn wir ein Flanellstückchen und zugleich Stückchen von Baumwoll- oder Leinenzeug auf Wasser werfen, so können wir uns jederzeit davon überzeugen, daß das erstere bei weitem länger an der Oberfläche schwimmen bleibt als letztere. Der Grund hiervon liegt nicht etwa im Fettgehalt der Wolle, denn das Gleiche zeigt sich auch bei gründlich entfetteter Wolle, sondern, wie ich nachweisen konnte, liegt die Ursache in einer besonders starken Verwandtschaft der Wollfaser zur atmosphärischen Luft, die infolgedessen so fest an den Fasern haftet, daß es dem Wasser schwer wird, dieselbe zu verdrängen und die Wolle zu benetzen.

Mir scheint dieser Zusammenhang der Dinge von Interesse, da er uns einen neuen Einblick in die Zweckmäßigkeit natürlicher Einrichtungen eröffnet. Offenbar ist die Wasserfeindlichkeit der Wollfaser, überhaupt der tierischen Fasern und damit der gesamten Pelzbekleidung der Tiere, für deren Wärmeökonomie von größter Bedeutung. Das Sprichwort von der „getauften Maus“ kennzeichnet treffend den Zustand, in welchen ein Tier bei vollständiger Durchnässung seiner Haarbekleidung gerät, als einen jammervollen. Die Wasserfeindlichkeit der Haargebilde zu erhöhen, ist die Natur in vielen Fällen schon durch Fettabsonderung bestrebt. Nachdrücklich und allgemeiner aber erreicht sie diese Aufgabe nicht durch Schaffung an sich wasserfeindlicher Stoffe, sondern indem sie den Haargebilden eine außerordentliche Anziehung für die atmosphärische Luft verlieh, womit der gleiche Zweck erfüllt werden konnte.

Kehren wir nach dieser kleinen Abschweifung zum Verhalten der Kleiderstoffe bei der Schweißbildung zurück, so begreifen wir jetzt auch die anfangs so überraschende Erscheinung der Weiterbeförderung der Schweißbestandteile durch die Wollstoffe. Ein Gewebe, das Flüssigkeiten so ungerne, so widerwillig, gleichsam nur gezwungen annimmt, weil seine Fasern mit einer fest anhaftenden Luftschicht überzogen sind, kann auf Flüssigkeiten auch nicht ansaugend und festhaltend wirken. Die eingepreßte Flüssigkeit verteilt sich daher ziemlich gleichmäßig durch den ganzen Stoff bis an dessen äußere Begrenzungsfläche, und wenn er hier von einem anderen gut aufsaugenden Stoff, von Baumwolle oder Leinen, unmittelbar bedeckt ist, so werden diese wasserliebenden Stoffe bestrebt sein, dem Wollstoff einen Teil seines Wassergehalts und damit auch der darin gelösten Schweißbestandteile zu entreißen. Damit hängt nun die bekannte Erfahrung zusammen, daß leinene Unterkleidung verhältnismäßig schnell beim Tragen verschmutzt, während wollene Unterkleidungsstoffe unter anderm auch deshalb sich so großer Beliebtheit erfreuen, weil bei ihnen selbst durch eine wochenlange Tragezeit die sicht- und riechbare Verschmutzung noch immer nicht zu einer unerträglichen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 90. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_090.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)