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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Uebrigens erwies sich diese Erbschaft doch nicht so bedeutend, wie man es allgemein voraussetzte. Ein großer Teil von ihr war eben schon bei Lebzeiten nach und nach ausgeteilt worden, an arme Studenten und an dürftige fromme Glaubensgenossen, die dem Spender weder mit Worten danken noch seine Gutthat preisen durften, „denn der Dank frißt die Freude des Gebenden auf“, pflegte der Professor Isaak Bernstein zu sagen. Zu ähnlichen Zwecken bestimmte auch das Testament ansehnliche Legate, immerhin blieb noch eine ziemlich hohe Summe übrig, die ebenso wie der Weinberg dem Doktor Hans Ritter als Haupterben zufiel. Man kann durch eine Erbschaft nicht vollkommener überrascht werden, als es der Doktor Hans Ritter war. Es gab trotzdem Leute, die ihn von dieser Zeit an für einen besonders schlauen und erwerbskundigen Mann ansahen, aber es muß zur Ehre des menschlichen Geschlechts gesagt werden, daß es nur solche Leute waren, die nicht das Vergnügen hatten, den Doktor Hans Ritter näher zu kennen.

Das freundschaftliche Verhältnis zwischen Isaak Bernstein und Frau Margarete Klämmerlein hatte zweifellos auf einer hohen gegenseitigen Achtung beruht, immer aber war es nicht derart, daß man dem Tode des Professors eine besonders erschütternde Wirkung auf die alte Dame beimessen mochte. Sie war ja freilich schon seit einigen Monaten sehr schwach und fast ganz an ihr Zimmer gefesselt. Hans Ritter hatte ihr eine klösterliche Pflegerin bestellt und dafür gesorgt, daß ihr an geistlicher und leiblicher Tröstung nichts fehlte. Nun schien ihr doch die Nachricht vom Hinscheiden des Professors, der immer noch einige Jahre jünger war als sie, einen großen Stoß zu geben. Seitdem wurde sie täglich schwächer, und zwei Tage nach ihrem letzten Namenstag entschlief sie – „an Altersschwäche“. Ihr Gedächtnis, das sie während der letzten Jahre manchmal Personen und Verwandtschaftsgrade bös durcheinander wirren ließ, hatte sich zuletzt wieder geklärt, sie sah alle ihre Lieben, die Lebenden und die Toten, leibhaftig und deutlich vor sich, lispelte gute Worte zu jedem, und so schied sie in friedlich beglückter Häuslichkeit, gestärkt durch die Trostmittel ihrer Kirche und umgeben von allem, was ihr lieb war. An ihrem letzten Namenstage hatte sie noch einmal ein Stündchen besonderen Wohlbefindens gehabt und ihn auf freundliches Zureden des Arztes und des Doktors Hans Ritter damit gefeiert, daß sie die von Grete ihr zu diesem Tage zurückgestiftete Flasche Kometenwein endlich entkorken ließ. „Er wird auch sonst gar zu alt,“ meinte sie lächelnd. Ein wunderbarer Rebenduft erfüllte das Zimmer, die alte Frau winkte einen nach dem andern an ihr Lager, um mit ihm anzustoßen, und mit ganz leiser Stimme erzählte sie, wie sie auch einmal da gewesen sei, wo dieser Wein wächst. Auf der Hochzeitsreise sei es gewesen, sie hätten nur sieben Tage reisen können und sehr bescheiden, aber es seien doch die schönsten Tage gewesen, voll Sonnenschein und Rosen. Lauter Rosen und Sonnenschein!

Am Vorabende des Begräbnisses stand der Doktor Hans Ritter mit Grete am Gartenthürchen. Die Sonne ging eben unter, es war ein Flimmern und Leuchten, daß sie sich zuletzt geblendet umwenden mußten. Da hörten sie hinter sich einen freundlichen Gruß, und als sie zurückschauten, stand da neben einem stattlichen Herrn mit grauem Schnurrbart ein schlanker, schöner Jüngling, beide in Reisekleidern. Der Jüngling blickte lächelnd und verwundert auf das kleine goldlockige Mädchen, dessen fragendes Antlitz rosig vom Abglanz des Abendscheins leuchtete, und der Hauptmann von Seedorf streckte Hans Ritter die Hand hin und sagte: „Unser herzliches Beileid! Das ist nun das zweite Mal, daß wir beide uns in ernsten Tagen finden, mein lieber Doktor, aber im ganzen scheint es anders zu sein als damals. Wir sind eben angekommen, Karl hat die Anzeige in der Zeitung ganz zufällig im Gasthof gefunden. Nun sehen Sie nur, wie die beiden sich anstarren! Es ist aber auch kein Wunder, uns Alten geht es nicht besser, was ist das Mädel groß geworden! Ja, aus Kindern werden Leute!“

13.

Die gute Luise, welche jetzt als Thronerbin von Frau Margarete Klämmerlein das Scepter in Küche und Hauswesen führte, hatte während der nächsten Wochen öfter Anlaß, sich über den häuslichen Eifer des weißen Mädchens zu verwundern. Von dem eigentlichen Grunde dieses Eifers, der Grete den Aufenthalt in der Küche mitunter selbst einem Familienspaziergang vorziehen ließe, ahnte die gute Luise nichts, und Grete selbst hätte ihr ihn auch kaum deutlich machen können, denn es war nur ein dunkles Gefühl – das Gefühl der Furcht vor jener männlichen Würde, Gelehrsamkeit und Ueberlegenheit, welche der kleinen Grete zum erstenmal in ihrer ganzen Fülle an dem Unterprimaner Karl von Seedorf entgegentrat.

Der Doktor Hans Ritter war ja auch ein recht gelehrter Herr, aber wie er überhaupt unpraktisch war, so legte er eben keinen Wert darauf, mit seinem Wissen zu imponieren, ein kleines Mädchen konnte mit ihm jahrelang verkehren und vieles von ihm lernen, ohne zu merken daß es doch unverantwortlich dumm sei. Uebrigens war der Pate Hans auch ein Wesen höherer Gattung, zu dem man ohne Beschämung aufblickt, weil es eben in seiner Natur liegt, daß es „alles“ weiß. Aber ein großer Junge, der beinahe noch mehr als alles zu wissen scheint – das ist etwas Schreckliches. Nicht als ob dieser große Junge sich patzig oder renommistisch gestellt hätte! Er war überaus freundlich, wollte nicht anders als früher angeredet werden und ließ sich alles zeigen, was einem lieb war, von der größten Puppe bis zum selbstgepflanzten japanischen Hopfen, der an der Wand wächst. Nicht er renommierte, sondern die ungeheuere Bildung renommierte ohne sein Zuthun aus ihm heraus, wie der Dampf aus dem Theekessel. Wenn aber Grete so unvorsichtig war, dem überwältigenden Eindruck von so viel Weisheit schüchtern Ausdruck zu geben, so sah er sie mit einem unerträglich gütigen Lächeln an und sagte entweder. „Das wirst du später auch schon lernen“ oder „Ja, weißt du, das ist nichts für euch!“ Und er war doch nur ein großer Junge.

Grete verstand natürlich nicht, daß sie alles in allem nur eine Scene aus dem großen Kampf der Geschlechter mitspielte, aber ein dunkler und sicherer Trieb ließ sie endlich auch zu den Waffen greifen. Sie zog sich in die Küche zurück, wie in eine Burg, wo ihr das Wissen der guten Luise manche schätzbare Munition lieferte, und indem sie den Feind hinterlistig nachlockte, gelang es ihr sogar, ihm einige empfindliche Schlappen beizubringen. Der Kenner des Gebisses der Carnivoren erwies eine beschämende Unkenntnis in den Grundgesetzen des Kartoffelschälens, und als er es sich mit all seinem botanischen Latein beikommen ließ, ein Bündel Schnittlauch für Sellerie zu halten, mußte er unter dem vereintem Gelächter der weiblichen Sieger, von Wöppy verfolgt, einen fluchtartigem Rückzug antreten. –

Zur selben Stunde, wo sich in den nahrungspendenden Gebieten des Hauses die Niederlage des humanistisch gebildeten jungen Mannes vollendete, wurde auch draußen in der Bohnenlaube an seinem Schicksal gesponnen. Der Hauptmann von Seedorf und der Doktor Hans Ritter saßen beisammen, tranken Wein, hüllten sich in Rauchwolken und berieten wichtige Dinge.

„Wissen Sie, lieber Doktor,“ sagte eben der Hauptmann, „daß Ihnen mein Junge gefällt, das freut mich wirklich ganz ungemein. Es ist eine Ehre für ihn – und auch eine wie – soll ich sagen? – eine Genugthuung für mich. Denn das war ja in diesen flauen Zeiten immer meine größte Sorge, ob der Junge in seiner Ausbildung keinen Knacks bekommen würde. Sie müssen eben bedenken, was das für ein Hin und Her war, ein Wechseln der Anstalten und Lehrer, weil ich ihn doch in den Jahren nicht von mir thun wollte. Zuletzt, im vorigen Frühjahr, gab ich meinem Herzen doch einen Stoß und that den Jungen in das Pädagogium, da oben in dem merkwürdigen Nest zwischen Heide und Moor; ich kannte die Gegend noch von meinen ersten Manövern her und dachte, so lange die Versuchung noch anderswo so gut reüssiert, wagt sie sich in diese reizvolle Gegend nicht; bequemer als in meinen damaligen Verhältnissen hatte er es ja dort jedenfalls, auch war mir die Anstalt sehr empfohlen worden.

Ich arbeitete mich derweil in meinem Versicherungsfach ab, es ging hervorragend miserabel, und ich war diesmal wirklich nahe daran, den Mut zu verlieren, als mich der reine Zufall Seiner Erlaucht dem Reichsgrafen von und zu Nordeck in den Weg laufen ließ; Anno Siebzig war er als Avantageur bei den Königshusaren mit Gott für König und Vaterland ausgeritten. Damals hieß er noch Erbgraf, und es kann ja sein, daß er niemals über diesen Posten auf Wartegeld hinausgekommen wäre,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 114. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_114.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)