Seite:Die Gartenlaube (1897) 122.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

und sehnlichst erwartete Hoffnungen zertrümmerte in Bezug auf Heinz und seine Schwester! Es war, als sollte der Stern der Behaglichkeit und Sorglosigkeit nie über den Kerkows aufgehen. Und wie sich das abspielte, mit immer neuen unerwarteten Wendungen! Wenn man sich nur wenigstens aussprechen könnte; aber mit Heinz war gar nicht zu reden und Hede sollte nichts erfahren, das war sein dringender Wunsch gewesen. Und wenn man seinen Wunsch nicht respektierte, so gab es kleine Scenen mit ihm, und vor diesen hatte Frau von Gruber Furcht. Er sagte zwar nicht viel, aber das Wenige waren Worte, so kantig und scharf, daß sie wie Dolchstöße in das Gewissen fuhren.

Sie seufzte, klingelte und ließ sich vom Diener Schreibmappe und Tintenfaß bringen, dann sich emporsetzend, schrieb sie auf dem Tischchen, das neben ihrer Chaiselongue stand, an ihre wärmste Freundin, eine Frau von Schliefen, die als behäbige Großmama im erste Stock ihres schönen Schlosses in Schlesien saß und keine weiteren Sorgen kannte als die, welche ihr die Enkelkinder mit Scharlach oder Masern, oder mit ihrer Wildheit drunten in der Wohnung des Sohnes bereitete.

„Vergönne mir, liebe Klementine,“ begann sie, „daß ich wieder einmal mein Herz vor Dir ausschütte. Wenn in Deinen Sonnenschein ’mal ein wenig Schatten fällt, so ist’s fremder Schatten, der Dich nicht frieren macht, Dir höchstens das Leben ein wenig interessanter erscheinen läßt, schon deshalb, weil Du an unseren Widerwärtigkeiten die Größe Deines Glückes ermessen kannst.

Ich schrieb Dir ausführlich damals die ganze Begebenheit mit dem Heinz Kerkow, daß er sich verlobt habe mit Toni Ribbeneck, die einen recht netten Geldsack vom alten Dietz Ribbeneck, der ehemals auf Karlitzke in Pommern saß, geerbt hatte, und auch, daß der Junge hier den Duodezposten eines Hofmarschalls an unserm Duodezhöfchen bekam. Na, Passion ist’s ja leider von ihm nicht gewesen, aber, lieber Gott, bei den Verhältnissen, in denen er steckte, war die Toni der Strohhalm, nach dem er griff und greifen mußte. Was für Aerger und Mühe ich meinerseits, ehe es soweit war, hatte, um Beides zu machen, die Braut und den Hofmarschall, na, Du weißt’s ja aus meinem Briefe!

Was geschieht nun? – Wenn Du es in einem Buche läsest, würdest Du rufen: Unmöglich! Unwahrscheinlich! Und doch ist alles, was nun folgt, nackte Wirklichkeit! – Also, er hat sich in seine neue Thätigkeit eingearbeitet, die Hochzeit ist bestimmt, Durchlaucht sehr gnädig, sehr liberal, erteilt vier Wochen Urlaub für die Hochzeitsreise, ich erbiete mich natürlich zur Stellvertreterin für Toni, und am dritten Feiertag soll die Hochzeit sein, d. h. nun in acht Tagen! – Doch, was geschieht vor vier Tagen? Hede Kerkow, die jüngste Schwester von Heinz, soll abends ankommen, er hatte auf ihrer Anwesenheit bestanden, und da das junge Ehepaar beabsichtigte, am Hochzeitstage abzureisen, lud er sie schon zeitig ein, um noch mit ihr zusammen zu sein. Durchlaucht hatte gnädigst erlaubt, daß sie hier Gast sei während der Zeit. – Mir war schon aufgefallen, daß Toni sich, sobald auf die Verwandtschaft von Heinz die Rede kam, sehr absprechend und still verhielt, unter uns – liebenswürdig ist sie nun einmal nicht! – – Um Mittag dieses Tages trifft sich das Brautpaar, wie immer, in meinem Salon. Ich sehe schon Heinz an, daß ihm irgend etwas geschehen sein muß, er ist blaß, und die gleichmäßige Ruhe, die er sich angewöhnt hat, scheint ihm völlig abhanden gekommen. Ich denke also, er hat Aerger gehabt mit den Beamten – kommt ja alle Tage vor, und leicht ist es nicht für einen Offizier wie er, wenn er plötzlich Haushaltungssorgen hat, denn weiter ist’s ja doch im Grunde nichts, aber er erwidert nichts auf meine Frage als: ‚Ich habe ein paar unangenehme Nachrichten bekommen, die eine über Hedes Befinden von unserm alten Hausarzt, die andere – über die spreche ich später mit Toni allein’.

Toni nun hat ein bemerkenswertes Talent, Unangenehmes nicht zu hören. Sie fängt also auch gleich von ihrem Teppich an zu reden, den ihr die Herzogin kürzlich schenkte, einem echten Smyrna. Heinz kommt wieder auf den Brief des Arztes und sagt, sehr freundlich neben Toni Platz nehmend. ‚Hede macht mir Sorge, ich möchte sie bei uns behalten, Toni, ich kann sie dem einsamen kummervollen Leben nicht länger aussetzen Sie ruiniert sich mit ihrem Unterrichtgeben, sie bekommt fünfundsiebzig Pfennig für die Stunde; sie reibt sich auf, um das tägliche Brot zusammenzubringen.’

Toni verfärbte sich vom Blassen bis zum Dunkelroten, rollte ihre Gürtelschleife zwischen den Fingern und antwortete:

‚Du kannst ihr ja lieber einen Geldzuschuß monatlich schicken.’

‚Damit ist ihr nicht gedient,’ sagte er noch ganz ruhig, ‚sie muß besser essen, sie kann sich kein Mädchen halten, und die Zeit, für sich Speisen zu bereiten, fehlt ihr.’

‚Warum speist sie nicht in einem Gasthaus?’

‚Nun, ich sehe, du willst nicht darauf eingehen,’ sagte er, aber ich kann dir diesmal nicht helfen, ich bestehe darauf, für ein Jahr wenigstens. Ich bitte dich, Toni, es ist die letzte Verwandte, die ich habe, denn meine irre Schwester – die –’

‚Warum muß es denn gleich sein?’ stieß sie hervor.

‚Weil’s just nötig ist!’ erwiderte er.

Ich will eben vermitteln, weil ich das Gewitter in ihr schon aufsteigen sehe, da sagt sie. ‚Nimm’s nicht übel, Heinz, der Gedanke, mein erstes Ehejahr zu Dreien verleben zu müssen, ist mir im höchsten Grade unsympathisch – ich bitte dich, davon abzusehen. Ich werde ihr einen so reichlichen Zuschuß geben, daß sie sich ein Mädchen halten kann und essen, wonach es sie gelüstet, aber –’

Er sah sie an mit einem Blick, Klementine – mir stockte das Herzblut, so zornig, so verächtlich war er. ‚Ich bedaure, auf meinem Willen beharren zu müssen,’ erklärte er eisig, ‚das Essen allein macht’s nicht, sie bedarf freundlichen Zuspruchs, Liebe, anderer Verhältnisse, anderer Luft – sie hat niemand weiter als mich und – –’

‚Und ich bestehe auf meinem Willen!’ ruft sie, ,ich heirate dich und nicht deine Familie!’ Und die ganze kreideweiße Person zittert vor innerer Erregung. Im übrigen, wenn dir deine Schwester lieber ist als ich – du brauchst nur zu wählen, sie oder mich.’

Eine Weile ist’s ganz ruhig. Ich bin halb ohnmächtig, natürlich, suche nach passenden Worten, aber obgleich ich sonst so leicht meine Fassung nicht verliere, fällt mir nichts ein, und als ich endlich den Mund öffne um zu sprechen, kommt Heinz mir zuvor und sagt ‚Vor diese Wahl gestellt – natürlich dich!’ Das klingt aber so höhnisch und wird mit so zuckendem Gesicht gesprochen, von einer so tiefen Verbeugung begleitet, daß, wie er bereits hinausgegangen ist, wir beide noch dastehen und uns verständnislos ansehen.

Sie macht endlich eine große Weinscene, redet davon, daß er sie nicht liebe, und steigert sich in einen wahren Paroxysmus von gekränkter Tugend und Unschuld hinein. Da bringt ein Lakai einen Brief von Heinz an mich, und als ich öffne, liegt darin eine Karte von ihm und ein großer Brief, an ihn adressiert. Auf der Karte schreibt er. ‚Liebe Tante, beifolgende Nachricht erhielt ich heute früh und wollte sie vorhin so schonend als möglich meiner Braut mitteilen. Ich bitte Dich nun, sie von dem Inhalt des Schreibens in Kenntnis zu setzen auf eine Weise, die sie nicht allzu sehr erschreckt, ich bin nach dem Vorhergegangenen nicht in der Lage, es genügend ruhig zu thun. Heinz.’

Ich lese und kann einen Ausruf des Schreckens nicht unterdrücken, Toni erkennt die Handschrift ihres Onkels, des Bruders ihrer Mutter, den sie mit der Verwaltung ihres ererbten Vermögens beauftragt hat, liest und bricht in Schreikrämpfe aus. – Denke Dir, Klementine, der alte Esel – pardon – hat das ganze Vermögen in Börsenpapieren angelegt und am neunzehnten November bei dem großen Krach ging, bis auf einen kleinen Teil, alles, aber auch alles verloren! – Der unglückliche Junge!

Ja, zu machen ist nichts und an ein Zurücktreten unter solchen Umständen ist auch nicht zu denken. Ich bin überzeugt, hätte er, als Toni ihn vor die Wahl stellte mich oder deine Schwester!, diese Hiobspost noch nicht gehabt, er würde rabiat genug gewesen sein, zu sagen ‚meine Schwester!’ So löste sich die Sache in einer leidenschaftlichen Abbittescene ihrerseits auf, die er stillschweigend duldete. Ueber den Verlust hat er kein Wort geäußert, aber er geht mit sorgenvoller Miene umher. Du kannst verstehen, was es für ihn heißt, ein armes Mädchen zu heiraten. – Sie hat ihm zwar pro forma ihr Wort zurückgeben wollen, doch hat er es selbstverständlich nicht angenommen. Se. Hoheit,

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_122.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2016)