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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

für meinen Bruder hielt, unseren Hausschlüssel gegeben, den muß ich ganz notwendig haben, der Herr muß jedenfalls hier zu Ihnen hineingegangen sein.“

„Nä, mein kutestes Fräuleinchen nä – da sind Sie irre. Wir sind hier noch auf, mein Mann ist Sie ja nämlich Schneider, und da giebt es in dieser Zeit viel zu thun. Aber zu uns ist niemand hereingekommen, das kann ich Sie ganz genau sagen!“

Mir traten die Thränen in die Augen. Was sollte ich beginnen, wenn der Mensch sich vielleicht irgendwo im Hause versteckt hatte? Gräßliche Bilder tauchten in meiner Phantasie auf.

„Es wohnt Sie aber unterm Dach noch ein junger Maler, der ist heute auf der Maskerade gewesen. Ich weiß es, mein Mann hat ihm was geändert an seinem Anzug. Der wird es wohl gewesen sein, Fräuleinchen.

„O ja gewiß, der ist es – aber da kann ich doch nicht fragen,“ fügte ich kleinlaut hinzu.

„Nein, Fräulein, da haben Sie recht, das können Sie nicht. Doch mein Mann wird Sie schon so freundlich sein. August!“ rief sie in die Wohnung hinein, und sofort erschien ein schmächtiges, erstauntes und höfliches Schneiderlein, den Fingerhut am Finger, die Nadel noch in der Hand.

Ueber die Sachlage verständigt, erklärte er sich sofort bereit, die Anfrage für mich zu übernehmen. Die kleine runde Frau und ich folgten ihm in vorsichtiger Entfernung, als er die Treppe zum Hängeboden, denn dort befand sich die Kammer des Malers, hinaufstieg.

Oben klopfte er.

„Was giebt’s denn?“ hörten wir eine schlaftrunkene Stimme.

„Hören Sie, mein Kutester, haben Sie sich vielleicht eben von einer jungen Dame die Hausthür aufschließen lassen?“

„Gott, – ja!“ sagte die Stimme, „ich wußte mir wahrhaftig nicht zu helfen. Meinen Schlüssel hatte ich vergessen, und das Fräulein war so überaus gütig, mir ihren aus dem Fenster zuzuwerfen, als ich mich unten räusperte, um irgendwen herbeizulocken. Er war wohl nicht gerade für mich bestimmt, aber ich mußte doch nun einmal hinein!“

„Jawohl, das ist Sie ja ganz schön,“ sagte der Schneider, „aber das Fräulein hat den Schlüssel nicht wieder bekommen. Reichen Sie mir den gefälligst ’mal heraus!

„Was? Schlüssel nicht wieder bekommen?“- In dem Ton spricht nur tief gekränkte Unschuld. „Aber ich habe ihn dem gnädigen Fräulein doch zu Füßen gelegt!“

Und so verhielt es sich. Als wir alle Drei bis zu unserer Thür herabschlichen und den Flur beleuchteten, da lag mein Schlüssel still und friedlich unmittelbar vor der Schwelle. Der Ritter hatte, als er seine galante tiefe Verbeugung machte, ihn dorthin gelegt.

Nun, jedenfalls hatte ich ihn wieder. Ich dankte den freundlichen Hausgenossen bestens für ihren Beistand und drückte meinen Schlüssel ans Herz. Dann eilte ich vor allen Dingen an das Fenster, öffnete es und guckte hinaus, ob Friedel etwa unten stände, denn es war inzwischen zwei Uhr geworden.

Richtig, da stand er, sich wütend räuspernd und ungeduldig in der Kälte von einem Fuß auf den andern tretend. „Bist du es, Friedel?“ „Ja, natürlich!“ „Wirklich?“ „Ja doch!“

„Bist du es auch ganz gewiß?“ „Ja, wer sollte denn wohl sonst so dumm sein, hier unten zu stehen bei der Kälte? So wirf doch den Schlüssel herunter! Meinst du, mich friert nicht?“

„Nein,“ sagte ich, das Fenster zumachend, „ich komme selbst.“ Und hinunter schlich ich wieder meine zwei Treppen und schloß selber auf. Diesmal hatte ich den echten Fritz erwischt.

„Zieh doch die Schuhe aus, Friedel!“

„Dummes Zeug!“ sagte mein Bruder großartig, schlich aber trotzdem so leise wie er nur konnte. Gottlob, er konnte noch leise schleichen, er war sicher auf den Füßen, trotz der späten Stunde!

„Warum ließest du mich eigentlich so lange warten?“ fragte er oben verdrießlich.

„Nein, du, erst komme ich mit meiner Frage. Warum ließest du mich so lange warten?

„Ach, das kam so, du weißt ja, meine Uhr! das Ding geht so schauderhaft nach.“ – „Gute Nacht!“ sagte Friedel, nahm mir meine Lampe, welche ich für mich angezündet hatte, aus der Hand und verschwand in sein Schlafgemach.

Am nächsten Morgen zeigte es sich, daß Mutter das ganze nächtliche Abenteuer gesund und fest verschlafen hatte. Ich fühlte dafür in meinem Gemüt eine aufrichtige Dankbarkeit. Als ich aber mittags aus der Gewerbeschule kam und eben den Tisch deckte, schellte es an der Thür. Mutter, die in der Küche war, ging hin und öffnete.

„Ich wollte mir erlauben, den Damen meine Aufwartung zu machen und mich wegen der nächtlichen Störung, die ich gestern verursacht habe, noch einmal zu entschuldigen“ sagte eine junge männliche Stimme.

„Nächtliche Störung?“ fragte Mutter befremdet, „bitte –“ sie zögerte – „bitte, treten Sie doch näher! Nächtliche Störung, sagten Sie? Aber davon weiß ich ja gar nichts! – Milly!“ Ich kam herbei, verlegen, rot bis an das heute schön ordentlich frisierte Haar, und wenn Wünsche irgend welchen Erfolg hätten, so hätte der ritterliche Jüngling in diesem Augenblick irgendwo sein müssen, wo scharfe Gewürze wachsen. Uebrigens war er bei Tage und ohne die scheußliche Ritterrüstung ein recht hübscher Mensch, reichlich lang allerdings, aber doch recht hübsch, es ließ sich nicht leugnen.

„Nächtliche Störung? wiederholte Mutter, nachdem der junge Maler seinen Namen genannt hatte. „Bitte, nehmen Sie doch Platz, Herr Baumann, das müssen Sie mir noch näher erklären!

Und nun kam alles heraus. Ich übergehe das zunächst folgende – genug, es kam alles ans Tageslicht, und der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 127. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_127.jpg&oldid=- (Version vom 5.7.2023)