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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

weitere erstickte in Weinen, sie hatte das Tuch gegen das Gesicht gepreßt und stürzte hinaus, krachend fiel die Thür hinter ihr zu.

„Entschuldige einen Augenblick,“ bat er mit völlig verändertem Gesichtsausdruck „Ich bin gleich wieder bei dir, und folgte seiner Frau mit raschen Schritten. Nach einer Viertelstunde kam er zurück und setzte sich schweigend Hedwig gegenüber. Er sah hochrot und ärgerlich aus. „Na,“ sagte er endlich, „über Ansichten ist nicht zu streiten; die beiden Damen preisen uns glücklich, finden meine Stellung ideal, und Tante Gruber sagt, sie halte es mit dem Sprichwort: ‚Lieber auf einem Dorfe der erste, als in Rom der zweite‘. – Also, Hede, spielen wir Schloßhauptmann! Uebrigens ist’s schon spät, Kind, komm, ich werde dich hinunterbringen.“

Sie erhob sich stumm, und stumm schritten sie draußen nebeneinander hin, die Geschwister. Kein Mensch begegnete ihnen, Totenstille ringsum, und über dem Schloß stand jetzt der Vollmond und umspann es mit fahlem, bläulichem Licht. Wie ein Stück Vergangenheit lag es da, so schattenhaft, so dem Leben entrückt, und die Trauerfahne flatterte drüber wie ein düsteres Wahrzeichen. – – Und dort sollte er leben, der junge Mann mit seinem begeisterten Herzen für alles, was groß, schön, gewaltig ist in der Welt, der nützen will, streben will, etwas vollbracht haben will am Schluß seines Lebens, und der verdammt ist, all diese köstliche Jugend in einem thatenlosen greisenhaften Dasein ersticken zu müssen!

„Weinst du?“ fragte er plötzlich und legte den Arm um ihre Schulter – „weine doch nicht, Hede!“

Aber da hielt sie sich nicht länger, die Thränen drängten sich gewaltsam aus den Augen. „Ach, Heinz,“ schluchzte sie, „warum mußt du denn so unglücklich sein! Wenn wir nicht gewesen wären, wir armen, unseligen Mädchen – warum giebt Gott es nur zu, daß arme Mädchen geboren werden, warum schlägt man sie nicht gleich tot, da sie doch nur leben, um sich und andere unglücklich zu machen!“

„Na, sei so gut,“ sagte er, mühsam scherzend, „das wäre eine neue Beleuchtung der Frauenfrage. Reden wir von was anderem; nur das eine noch, du närrisches Mädel, du hast mich doch lieb – wie?“

„Ach Heinz! Heinz, du bist ja der Einzige auf der Welt –“

„Na, siehst du? Und ebenso lieb hab’ ich dich! Und nun wollen wir zusammenhalten, alte Hede – den Kopf hoch, trotz alledem und immer!“ Er schüttelte ihr die Hand, als sie vor der Hausthür angekommen waren, lange und herzlich, seine Augen schimmerten feucht. „Na, und über das Winken reden wir noch,“ sprach er weiter. „Tante Christiane wird sich wohl, wenn die Langeweile sie mürbe gemacht hat, auch noch mit deiner Stellung aussöhnen. Gute Nacht, Kind!“

Er drehte sich rasch um und schritt zurück. „Wie elastisch er den steilen Berg hinaufgeht,“ dachte sie und wischte die Thränen aus den Augen, „und der soll nun immer hier sein, bis er ein müder, verbitterter Mensch geworden!“ Und im herben Schmerz preßte sie die Handflächen gegeneinander, und so lange sie den liebsten Menschen, den Sie auf der Welt hatte, noch sehen konnte, blieb sie da stehen in der kalten Winternacht. – –

Wie seit Jahren lag sie auch an diesem Abend noch bis tief in die Nacht hinein wach und grübelte, aber das Schicksal des Bruders ließ sich nicht wenden, überall wo sie einen Ausweg wähnte, fand sie die festgefügten, starren Mauern seiner traurigen Verhältnisse.

Es weinten noch mehr Leute in dieser Nacht: in Breitenfels, die Armen, die in der Herzogin ihre Wohlthäterin verloren hatten, die regierende Herzogin, die in der verblichenen Stiefmutter ihres Gemahls eine Vertraute verlor, welche unermüdlich den lebenslustigen Sohn auf die Wege der Treue gewiesen, von denen er so gern einmal abschwenkte, die alten treuen Diener und Dienerinnen der Verblichenen, die, auf knappe Pension gesetzt, im Alter das Einschränken lernen mußten, die Beamten, die stellenlos geworden. Frau Medizinalrat May saß auf ihrem Lager und wand die Hände ineinander, es war ja gar zu hart über ihr Haus gekommen! Die Hälfte Gehalt fortan, und die Forderungen der Herren Söhne größer denn je, ihres Hauses Sonnenschein, die Aenne, in der Fremde! Anstatt des Hochzeitsfestes, des traulichen Verkehrs mit einer glücklich verheirateten jungen Tochter – spärliche Briefe, immerwährende verzehrende Angst und Sehnsucht!

Sie sah ihren Mann an, der neben ihr schlummerte. Er schien ihr sehr gealtert seit den letzten Wochen und trotzdem hieß es für ihn: doppelt arbeiten, die Praxis ausdehnen in Wind und Wetter über Land fahren, die Nächte von dem warmen Bette aus direkt in eisige Kälte und Sturm hinaus, seine Gesundheit preisgebend. Wo war denn plötzlich all jene sonnige Behaglichkeit geblieben, die ihr bescheidenes Heim so schön gemacht hatte? – Fortgezogen mit der Aenne, in das unbekannte weite Leben, das Frau Rat nur vom Hörensagen kannte, das sie grausen machte, wenn auch nur die Hälfte wahr von dem war, was man ihr davon erzählt hatte.

In ihrem Herzeleid drückte sie das thränennasse Gesicht in die Kissen und erstickte ein Schluchzen, damit ihr Mann nicht erwache, und ein heißes stummes Gebet stieg empor für ihre süße, trotzige, ach, so ferne Aenne.

(Fortsetzung folgt.)




Vor hundert Jahren.
Von Paul Lindenberg. Mit Illustrationen von Adolf Hering.

Ein prächtiger kleiner Prinz, so hatte am 22. März 1797 die Oberhofmeisterin der Kronprinzessin Luise, die brave Gräfin Voß, in ihr Tagebuch eingeschrieben und hinzugefügt. „Ueberall war große, große Freude. Gerade jenes neue Jahr hatte dem preußischen Königshofe sonst viel Trauer und Ungemach gebracht. Kurz vordem war der Bruder des Kronprinzen, der mit einer Schwester der Kronprinzessin Luise verheiratet war, gestorben, der Kronprinz selbst war ernstlich krank gewesen, so daß alle um ihn in großer Besorgnis schwebten, und mit der Gesundheit des Königs ging es immer schlechter, man konnte fast täglich auf einen Thronwechsel gefaßt sein. Aber auch politisch sah es trübe genug aus; der Staat des großen Friedrich war vielfach zerrüttet und zersetzt, die öffentlichen Kassen waren teilweise leer, die Günstlingswirtschaft in der nächsten Umgebung des Königs hatte schlimme Früchte gezeitigt, und von Westen her leuchtete gefahrdrohend das neue Meteor herüber – unaufhaltsam war Napoleon aus seiner Siegeslaufbahn vorgedrungen und hatte vor kurzem, geschickt und erfolgreich, seinen kühnen Vorstoß gegen Oesterreich unternommen.

Je drohender allerhand Wolken heraufzogen, desto hoffnungsvoller und zuversichtlicher blickte man auf die kronprinzliche Familie, die in ihrem ganzem Wesen und Auftreten der Wahl ihres Umgangs und der Einfachheit ihrer Lebensführung einen starken Gegensatz zu dem lockeren höfischen Getriebe bildete und die sich der tiefsten Sympathien aller besseren Kreise der Bevölkerung erfreute. So weckten denn auch die zweiundsiebzig Kanonenschüsse, welche vom Lustgarten her am 22. März die Geburt des zweiten Sohnes des kronprinzlichen Paares der Einwohnerschaft Berlins verkündeten, ein frohes Echo in den Herzen der Berliner und Berlinerinnen. Zwölf Tage später, am 3. April, fand in dem kronprinzlichen Palais „unter den Linden“ die Taufhandlung statt, da sammelte sich alt und jung in hellen Scharen vor dem schlichten Gebäude und brach in jubelnde Hochrufe aus, als sich der glückstrahlende Vater wiederholt an dem Fenster des im ersten Stockwerke gelegenen Audienzsaales zeigte. In letzterem hatte man unter dem Thronhimmel den Taufaltar errichtet, Hofprediger Sack, der schon den Vater des Täuflings konfirmiert, vollzog die Taufe, in welcher der kleine Prinz die Namen Friedrich Wilhelm Ludwig, mit dem Rufnamen Wilhelm, erhielt und bei welchem als Paten neben dem Königspaare die beiden greisen Brüder Friedrichs des Großen, die Prinzen Heinrich und Ferdinand, zugegen waren. Der König und die übrigen vornehmen Gäste verließen gleich nach der Feierlichkeit das Palais, der Kronprinz begab sich zu seiner Gemahlin und verbrachte den Abend bei ihr.

In ihrer Nähe war ihm ja am wohlsten, er redete sie zum Entsetzen der schon erwähnten Oberhofmeisterin mit dem traulichen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 172. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_172.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2016)