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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Er schien ihr seltsam verwandelt. Die schwarzbraunen, langbewimperten Augen sprühten und funkelten.

„Ich verstehe Euch nicht“, sagte sie treuherzig.

Der Ratsherr ließ den Kopf schwer auf die Brust sinken. Bei all seiner echten und tiefen Erregung lag etwas Schauspielerisches in dieser Gebärde, eine Absichtlichkeit, die selbst der ahnungslosen Hildegard fremdartig bedünkte.

„Ja, ja“, sagte er trübselig, „Ihr kennt mich noch nicht. Weder mich, noch mein Schicksal. Ach, was gäb’ ich darum, Euch endlich einmal dies Schicksal erzählen zu dürfen! Wahrheitsgetreu, nicht so wie es die Bosheit der Neidlinge und Verleumder entstellt“.

Der Weg hatte sich einige Ellen weit von dem Flußlauf entfernt. Rechts im Dickicht lag ein gefällter Eichenstamm.

„Ich bin doch etwas ermüdet,“ fuhr der Tuchkrämer fort. „So es Euch recht ist, ruh’n wir uns hier ein paar Minuten lang aus. Wir kommen ja immer noch reichlich vor Dunkel heim.

„Wenn Ihr meint …“

„Ich wär’ Euch zu Dank verpflichtet. Das böse Fieber nimmt auch den Rüstigsten mit. Und heut’ ist mein erster Ausgang.“

Sie setzten sich.

„Ja, vielteure Freundin,“ hub Lotefend an, „ich muß Euch von neuem betonen, wie es mir wohlthut, endlich einmal wieder Euch nahe zu sein. Ihr habt mich ja schier versterben lassen, ohne Euch um den Siechen zu kümmern.“

„Da irrt Ihr Euch nun. Mehrfach hat man zu Euch hinübergeschickt und sich erkundigt. Auch hörten wir ja von Doktor Ambrosius, daß Ihr nach kurzer Frist außer Gefahr kamt. Uebrigens hätt’ ich Eurer liebwerten Gemahlin gern einmal selbst aufgewartet, aber mein Vater verbot es. Ihm bangte vor der Möglichkeit einer Ansteckung. Ihr wißt ja, wie zärtlich er für sein Kind sorgt!“

„Das bedachte ich nicht. Euer verehrungswürdiger Vater hat recht, wenn er ein solches Kleinod hütet wie seinen Augapfel. Hätt’ ich das Glück, eine Tochter wie Euch zu besitzen oder gar solch’ ein Eheweib, ich wäre genau so.

Schweigend blickte er eine Zeit lang zu Boden, während die staunende Hildegard mit dem halbdürren Laub eines heruntergebrochenen Astes spielte. Dann plötzlich fuhr er mit unheimlich raunender Stimme fort.

„Wie Ihr mich seht, Hildegard, bin ich der trostloseste Mensch unter der Sonne.“

„Sprecht Ihr im Ernste?“

„Wie sonst? Warum fragt Ihr?“

„Nun, bis jetzt hatte ich just den entgegengesetzten Eindruck. Ich sagt’ Euch ja schon vorhin, allezeit fand ich Euch fröhlich und aufgeräumt.“

„Ja, bei Euch, im Haus Eures Herrn Vaters oder sonst in Gesellschaft. Das hindert nicht, daß ich daheim in meinen vier Pfählen tiefunglücklich bin. Teure Hildegard! Ihr seid jung wie ein Maitag, und die Welt steht Euch offen. Ihr ahnt nicht, was das heißen will, ein ödes, verfehltes Leben.“

„Aber ich bitte Euch! Ihr, Ihr hättet Euer Leben verfehlt? Der reichste und angesehenste Kramer von Glaustädt, dem alles auf Erden vollauf nach Wunsch gediehen, der einflußreiche, geachtete Ratsherr …“

„Das Aeußere thut’s nicht allein. Ich gleiche dem Vogel im vergoldeten Käfig. Die innere Qual übersteigt jede Beschreibung.“

Hildegard fühlte sich merkwürdig beklommen. Der Ton, in dem dieser Mann sprach, schien mit voller Naturgewalt aus der Tiefe eines todwunden Herzens zu quellen. Und dennoch, wenn sie erwog, wie daseinsfreudig und kernhaft er sonst gewesen ….

„Aber was fehlt Euch denn?“ platzte sie endlich heraus.

„Selbstverschuldetes Elend!“ sagte er leise. „Habt Ihr das nie gemerkt, trotz aller Mühe, die ich mir gab, es geheim zu halten? Freilich, Ihr seid erst neunzehnjährig und ahnt noch nichts vom Jammer der Menschheit. Glaubt mir, es ist die Hölle auf Erden, einem Weib anzugehören das man nicht liebt!“

„Ich begreife Euch nicht. Eure Ehe mit Frau Mechthildis wäre nicht glücklich? Aber bis jetzt hörte ich immer das Gegenteil. Und weshalb, ich bitt’ Euch, erzählt Ihr das alles mir, einer Jungfrau, die noch so wenig erfahren ist?“

„Weil ich zu Euch ein unbegrenztes Vertrauen habe. Weil ich … Aber nun laßt mich zuvor erklären, wie es denn möglich war, daß ich mich dieser Frau anvermählte …“

„Muß ich das hören?“

„Ja, teuerste Hildegard! Gönnt mir’s – das wird mir das Herz erleichtern. Und ich hoffe, Ihr werdet mich nicht verurteilen.“

„Nun denn, sprecht! Aber ich weiß wirklich nicht..“

„Laßt nur – und hört! Es ist ja mit zwei Worten gesagt. Die Sache kam so. Ich war ein blutjunger und blutarmer Bursche, der ganz allein in der Welt stand und gar nicht wußte, was Liebe ist – weder Kindes- und Elternliebe, noch gar die andere, höhere … Aber ehrgeizig bin ich gewesen bis zur Verrücktheit und von wahnwitziger Gier nach Reichtum und Macht erfüllt. Als Knabe hatt’ ich gedarbt und gehungert und war von abscheulichen Menschen grausam geknechtet worden. Da entsteht so was! Nun kam ich ins Haus des reichen Tuchkramers Löhnert als ein schlecht besoldeter Buchhalter. Mechthildis war seine einzige Tochter – etwas älter als ich, aber nicht unangenehm, auch nicht häßlich von Antlitz. Nach kurzer Frist merkte ich, was sich da anspann. Und das hab’ ich dann aufgegriffen und rüstig zu Ende geführt. Mechthildis that einen heiligen Schwur, lieber zu sterben als von mir abzulassen. Da sagte der Vater denn Ja. Geliebt aber hab’ ich sie keine Sekunde! Mich lockte die Freiheit, die Selbständigkeit, die Aussicht, emporzukommen. Ich wußte noch nicht, daß der Mensch nicht vom Brote allein lebt. Und wenn mir’s dann später zuweilen öde und leer war, da hab’ ich die Pein gewaltsam zurückgedrängt, mir’s eingeschärft, daß ich zur Klage kein Recht hätte. Gold und Güter hab’ ich gesammelt, der reichste Großhändler auf weit hinaus bin ich geworden und Ratsherr dazu mit Wissenschaften hab’ ich mich abgegeben, den Erdball studiert und im qualmenden Laboratorium den Stein der Weisen gesucht – alles umsonst! Mein glänzendes Heim, die Pracht meiner Blumen, der Duft meiner Edelweine blieb ebenso wirkungslos wie der Reiz einer bunten Geselligkeit. Es mangelt eben das Eine, was erst das Leben zum Leben macht!“

„Armer Freund!“ sprach Hildegard mitleidig, als er geendet hatte. „Es mag ja sein, daß niemand zur Liebe sich zwingen kann. Aber schrecklich ist’s für die arme Frau, wenn sie nun einsieht, daß ihr das Höchste versagt blieb. Und sie muß es doch fühlen …

„Zweifellos. Mechthildis weiß seit geraumer Zeit, daß zwischen ihr und mir keinerlei innere Gemeinschaft ist. Wir leben so schlecht und recht nebeneinander her wie zwei wohlwollende Hausgenossen, die aufeinander höfliche Rücksicht nehmen. Und Mechthildis entbehrt nichts. Die Liebe, die einst so stark in ihr war, ist rasch verflogen an ihre Stelle trat eine brünstige Frömmigkeit. Mechthildis betet zu allen Tagesstunden, sie versäumt keine Predigt, sie übt sich in guten Werken bei jeder Gelegenheit. Nun gründet sie gar ein Spital für Kinder und eine Heimstätte für einsame alternde Jungfrauen. Ich aber, ich verschmachte, Hildegard! Je älter ich werde, um so freudloser grinst mich der Widersinn dieser unlieben Existenz an. Und ich will nun ein Ende machen!“

„Wie das?“ frug Hildegard.

„Der richtige Weg wird sich schon finden. Unsere Landgrafschaft kennt nicht die Gesetze des Katholicismus. Auch eine langjährige Ehe kann hier gelöst werden. Man muß die Sache nur klug anfangen.

„Um Himmels willen, was denkt Ihr? Sofern mir recht ist, Herr Lotefend, steht Ihr doch fast vor der Silbernen Hochzeit?“

„In drittehalb Jahren wäre das fällig, ja! Aber ich schwör’ Euch, daß ich der traurigen Feier noch rechtzeitig aus dem Weg gehe. So oder anders, Hildegard! Endlich einmal will ich mein Glück suchen.“

„Wenn Ihr Euch nur nicht täuscht! Die lange Gewohnheit ist ja wohl auch ein Band, das zwei Menschen zusammenschmiedet. Dergleichen zerreißt man nicht straflos. Ihr würdet Euch einsam fühlen, unsäglich einsam.

„Mit Gottes Hilfe könnt’ ich schon finden, was mich der Einsamkeit überhöbe. Ein Weib, das ich wirklich gluterfüllt in mein Herz schlösse. Ein junges, wonniges, warmfühlendes Wesen. Ein Weib wie Ihr, teuerste Hildegard!“

Im Drang seiner Verliebtheit nahm er sie sehnsuchtsvoll

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 346. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_346.jpg&oldid=- (Version vom 28.11.2016)