Seite:Die Gartenlaube (1897) 354.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

zertreten war, welch zermalmende Enttäuschung mußte ich erleben, bis ich als gebrochener Mann eine Schreiberstelle suchte! Du lieber Gott!“ Er fiel erschöpft in die Kissen zurück … Ein Menschenwrack! Ein Gestrandeter, Verlorener!

„Ruhen Sie ein wenig! Ich warte schon, lieber Rautenbach,“ sagte der Regierungsrat erschüttert und schaute traurig hinaus zum schönen blauen Himmel, der in das Zimmer dieses Unglücklichen hereinleuchtete.

„Nein, nein!“ rief der Sekretär, sich gewaltsam zusammenraffend. „Wer weiß, wie lange ich noch Atem habe. Ich bin ja froh, wenn es zu Ende ist. Aber das Kind! Sehen Sie, eine Seele will der Mensch doch haben, die an ihn glaubt. Meine arme Frau, sie hatte mich für ein Genie gehalten – bis zuletzt, obwohl meine Bilder zurückkamen und meine Opern und Schauspiele nicht aufgeführt wurden, und obwohl sie viel Armut mit mir zu tragen hatte. ‚Der Ruhm kommt noch, Adalbert,’ sagte sie tröstend, noch auf ihrem Sterbebette. Als sie mich verlassen hatte, blieb die sechzehnjährige Tochter mein Einziges. Die Mutter hatte ihr ihre Begeisterung und Verehrung für mich vererbt. Diesen letzten Abglanz meiner alten Träume wollte ich mir nicht entschwinden lassen. Ich hütete ihn wie meinen größten Schatz. Ich behielt Hedwig immer bei mir, ließ sie mit niemand verkehren, der ihr hätte sagen können, welch armseliges Ende alle meine hohen Pläne gefunden. Wenn ich mich einschloß, um abzuschreiben – für fünfzig Pfennig den Bogen – dann meinte sie, ich arbeitete als Geheimschreiber des Königs an wichtigen Staatspapieren – und ich, ich ließ sie in dem Glauben! – Nun aber, nun muß alles für sie zusammenbrechen!“

Der Regierungsrat seufzte und schüttelte den Kopf. Er war im Grunde entsetzt über die Selbstsucht, die das Verhalten des Mannes geleitet. Damit die Tochter nicht aufhörte, ihn zu bewundern, hatte er ihr jeden Verkehr abgeschnitten, ihr jede Möglichkeit geraubt, sich im Leben zurechtzufinden. Seine Eitelkeit hatte dieses Menschenopfer gefordert.

Aber wie sollte er einen Vorwurf über die Lippen bringen vor diesem schwer Atmenden, vor diesem Bejammernswerten, den wohl nun längst bittere Reuequalen folterten!

„Ich werde mit dem Minister sprechen, Rautenbach, und ich selbst, so weit ich kann, will dafür sorgen, daß das arme Mädchen nicht zu rauh vom Leben angefaßt wird. Aber noch müssen Sie die Hoffnung auf Genesung nicht aufgeben.“

Der Kranke umklammerte die Hand des Regierungsrates. Seine großen Augen dankten. Er lag nun so bleich und müde in den Kissen, daß es Forstner bange wurde und er die Klingel zog. Gleich darauf schlüpfte die schlanke, wunderliche Mädchengestalt wieder leise herein.

Es war rührend zu sehen, wie dieses sanfte Kind, das bei seinem Empfang so ungeschickt und zaghaft gewesen, an dem Krankenbette mit vollendeter Sicherheit und Ruhe zu walten wußte.

Als der Regierungsrat sich empfahl, hatte der unglückliche Mensch sich wieder etwas erholt. Er lächelte ihm zu, mit einem bittenden, ergreifenden Blick, der sich in Forstners weiches Herz eingrub.

Acht Tage später stand in der Zeitung die Todesanzeige – „Sanft und schmerzlos verschieden.“

Diesmal machte Forstner aus eigenem Antrieb den weiten Weg in die Vorstadt. Er hatte es dem armen Toten so versprochen, sich der Tochter anzunehmen.

Das schien freilich keine leichte Aufgabe. Das verlassene unerfahrene Kind sah ja recht ärmlich und bescheiden aus in dem altmodischen schwarzen Kleid, das nach Kampfer roch, als hätte es lange im Koffer gelegen. Aber er brachte es doch nicht über die Lippen, sie geradezu zu fragen, wie sie ihr Leben einrichten wolle, und ihr eine Unterstützung anzubieten. Er hatte ein dunkles Gefühl, als wäre sie zu einem verzweifelten Entschlusse imstande, wenn ihr durch sein Anerbieten mit einem Mal ihre ganze traurige Lage enthüllt würde. Mit ihren verstörtem thränenlosen Augen, in ihrer verlegenen Hilflosigkeit erinnerte sie ihn unwillkürlich an eine Schwalbe, die sich in den letzten Tagen einmal in sein Bureau verirrt hatte. Das arme Tierchen that ihm so leid in seiner scheuen Angst, und er wußte doch nicht, wie er es retten sollte, da es so furchtsam vor ihm floh und sich die Flügel an den Wänden wund stieß, wenn er es haschen wollte.

Ratlos verließ er das trauernde Mädchen. Aber in seiner Gutmütigkeit verfiel er auf einen Ausweg. Wenn Fräulein Rautenberg sich für die Tochter eines höheren Beamten hielt, dann mußte sie erwarten, vom Staat eine Pension zu bekommen. Er konnte bei seinen einfachen Lebensgewohnheiten recht wohl allmonatlich eine Summe entbehren, die für den Lebensunterhalt des bescheidenen Mädchens hinreichen würde. Diese schickte er ihr durch den Amtsdiener, den er vorher unterrichtet, in der Form einer ihr gebührenden Pension. Auf diese Weise brauchte er den Minister, der die Beerdigungskosten bezahlt hatte und an dessen Mildthätigkeit ohnehin die vielfältigsten Ansprüche gemacht wurden, nicht weiter mit der Sache zu behelligen.

Hedwig erriet bei ihrer völligen Unerfahrenheit denn auch nicht, daß sie von dem Regierungsrat ein Almosen empfing. Sie dankte ihm nur in einer schönen kindlichen Handschrift für die Blumen, die er zum Begräbnis geschickt, für seine Teilnahme, und bat ihn, als Andenken an den Vater ein Bild, das dieser gemalt, entgegenzunehmen. Es war eine altmodische, farblose, aber fein empfundene Frühlingslandschaft, die Forstner in seinem Wohnzimmer aufhing. So oft sein Blick darauffiel, dachte er an das einsame Mädchen mit dem schmalen Nonnengesicht und frug sich mitleidig, wie sie wohl ihre Tage hinbringe und wie lange es dauern werde, bis die Welt ihr grausam ihre Illusionen zerstörte.

Seine Scheu vor Frauen hielt ihn ab, das schüchterne, verlegene Ding noch einmal aufzusuchen. Von dem Amtsdiener hörte er, sie ginge jeden Tag auf den Kirchhof, pflege das Grab des Vaters und schreibe seine Musikstücke ab. Der redselige Mann sagte kopfschüttelnd. „Die hat nun einmal keinen Menschen! Nur für einen Toten leben, das ist doch was Trauriges!“


Es war Herbst geworden. Der Regierungsrat arbeitete eines Abends zu später Stunde noch auf seinem Bureau, während die übrigen Beamten schon zu ihren Familien heimgekehrt waren oder an ihrem Stammtisch in der Kneipe beim Bier saßen. Plötzlich hörte er in den stillen Räumen des Ministeriums Rufen, Lärmen, hastiges Durcheinanderlaufen. Als er den Vorhang in die Höhe zog, sah er auf dem andern Flügel des Gebäudes eine Flammensäule emporschlagen. Rauch füllte den Hofraum, Funken wirbelten hernieder. Schon rasselten die Spritzen der Feuerwehr heran, eine neugierige Menschenmenge sammelte sich. Ohne einen Augenblick die Geistesgegenwart zu verlieren, traf er seine Anordnungen, lief selbst in die am meisten bedrohten Bureaus, schleppte große Stöße von Akten in das Zimmer des Ministers, das abseits von dem Flammenherd lag, verhandelte mit den Feuerwehrmännern und rannte treppauf, treppab im eifrigen Bestreben, zu helfen. Es war ihm dabei glühend heiß geworden, durch die offenen Thüren und Fenster aber blies ein eiskalter Wind. Ohne sich Zeit zu nehmen, in seinen Ueberzieher zu schlüpfen, rannte er in den Hof, stand hier in dem nassen Herbstwetter, um sich zu überzeugen daß dem Feuer Einhalt gethan werde, sprach mit dem Minister, der angefahren kam, mit den Beamten, die alarmiert herbeistürzten. Als er dann heimkam, fuhr ihm ein Schauder über den Rücken und er fühlte einen stechenden Schmerz in der Brust. Der Glühwein, den seine Haushälterin ihm bereitet, erhitzte ihm nur den Kopf, wärmte ihm nicht die von Frost geschüttelten Glieder.

Am andern Morgen war er so krank, daß er sofort den Arzt holen ließ, der eine Lungenentzündung konstatierte und bald nach seinem Weggang eine Pflegerin schickte.

So lange er im Fieber lag, während der schlimmsten Zeit der Krankheit, wurde er gut versorgt. Aber als es ihm besser ging und die Diakonissin fort mußte, um schwerer Leidenden beizustehen, blieb ihm nur seine Haushälterin zur Wartung. Die alte Frau meinte es gut, doch konnte sie es nicht lassen, wie eine Bombe durch die Thüre hereinzuplatzen wenn er klingelte, wenn sie bei ihm war, mit lauter Stimme zu schwatzen und mit jeder ihrer geräuschvollen Bewegungen seine reizbaren, empfindlichen Nerven zu verletzen. Er mußte zuweilen an das Mädchen denken, das lautlos wie ein guter Geist durch das Krankenzimmer des

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 354. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_354.jpg&oldid=- (Version vom 31.1.2019)