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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Mit Krischane, der Haushälterin, hatte ich überhaupt gleich eine Art Freundschaft geschlossen. Als Jürgen mich ihr vorstellte, da bemerkte sie allerdings, Deerns seien alle falsch und sie möge deswegen keine Deerns leiden, aber da sie mir zugleich zur Bekräftigung dieser Behauptung eine hübsche Geschichte von einer falschen „Mike“ erzählte, die ihr den zweiten oder den dritten Bräutigam abspenstig gemacht habe, so nahm ich ihr diese Bemerkung gar nicht übel. Ich war es gewohnt, mancherlei Klagen über das Geschlecht zu hören, dem auch ich angehörte, und hatte noch niemals daran gedacht, sie kränkend zu finden. Krischane hatte im ganzen etwas Behagliches, das mir sehr heimisch vorkam. Sie war dick und hatte so schöne rote Backen wie bei uns auf der Insel die Köchinnen. Zwar trug sie keine schwarze Sammetjacke und keinen gestreiften Rock, wie die Dienstmädchen, sondern ein himmelblaues Kleid und eine vergoldete Brosche, der Eindruck aber war doch so, als wenn ich sie schon lange gekannt hätte. Und wie ich nun neben ihr saß, während sie die Zeitung laut atmend betrachtete, da kam es mir doch vor, als sei sie mir immer vertraut gewesen.

„Gottogott,“ sagte sie das Blatt mir zuschiebend, „ich weiß doch gar nich, was es nu mit ’n Druck is. Mich deucht, die Leute, die die Zeitung machen, die geben sich da keine Mühe mehr mit. Mich wird das jetzt ordentlich schwer, die Buchstabens zu lesen, weil sie so schlecht gedruckt sind. Lies mich das mal vor aber lüg’ da nix zu!“

Ich las also, was ihr Finger mir zeigte: „Heiratsgesuch. Ein gediegener Witwer in den fünfziger Jahren sucht auf diesem nicht mehr ungewöhnlichen Wege die Bekanntschaft einer Dame, nicht unter Fünfunddreißig, zu machen! Vermögen erwünscht, jedoch nicht Hauptsache. Es wird mehr auf ein gutes Herz und auf ein häusliches Wesen gesehen. Offerten unter A. T. 35 befördert die Expedition dieses Blattes. Als ich geendet, seufzte Krischane tief und strich sich dann über die glatten, braunen Haare.

„Ach ja, ach ja, wo einmal schön! Was’n Mann, was’n guten Mann! Ja, so einen, den könnt ich mich noch gefallen lassen!“

„Wen meinst du, Krischane?“ fragte ich, aber sie stand auf und drehte mir den Rücken.

„Laß man das Fragen! Ich muß ganzen allein wissen, ob ich es thun soll, oders nich!“

Ich konnte auch die Unterhaltung nicht länger fortsetzen denn die Brüder kamen herunter zum Vesperbrot und mit ihnen der Hauslehrer, Herr Kandidat Nottebohm. Das war auch eine der neuen Bekanntschaften, die ich hatte machen müssen, aber sie war mir nicht so angenehm wie die von Krischane. Nicht, daß Herr Kandidat Nottebohm mir etwas gethan hätte, aber er war so ganz anders, als ich mir einen Kandidaten dachte. Ich hatte früher einmal einen gesehen, der war sehr jung, sehr blond, sehr lustig gewesen, und seit der Zeit stellte ich mir die Kandidaten alle so angenehm vor. Aber Herr Nottebohm war schon ein ziemlich alter Mann mit grauen Haaren und einem müden, etwas gelangweilten Gesicht. Mir schien nicht, daß er lachen oder gar Kunststücke mit Thalern und Taschentüchern machen konnte, wie ich es von den Kandidaten verlangte; aber Jürgen, der immer alles wußte, sagte auch, diese netten Kandidaten seien nach dem Jahre 1864 alle sehr schnell Pastoren geworden, weil die Dänen ihre Pfarren in Schleswig-Holstein verlassen hätten.

„Warum ist Herr Nottebohm nicht auch Pastor geworden?“ fragte ich. Ich hätte ihm gern die größte Pfarre gewünscht.

„Er ist zu oft durchs Examen gerasselt!“ erklärte mein Bruder. „Ich hab’s gehört, wie Papa es zu Mama gesagt hat, aber er sagte auch, für den Elementarunterricht wäre er ganz brauchbar. Das andere thut Papa ja doch!“

„Kann er denn nie Pastor werden?“ fragte ich entsetzt, weil es mir vorkam, als seien wir nun auf ewig mit Herrn Nottebohm verbunden, und mein Bruder zuckte die Achseln.

„Ich weiß es nicht! Aber,“ setzte er hinzu, „er ist gar nicht so schlimm. Wenn er auf seiner Stube sitzt und eine lange Pfeife raucht, dann kann er ganz gemütlich sein! Er ist früher lustig gewesen und erzählt sehr nett davon!“

Aber ich ging Herrn Nottebohm doch lieber aus dem Wege. Schon aus dem Grunde, weil einer von den Erwachsenen Angehörigen unserer Familie plötzlich geäußert hatte, ich müsse auch bei dem Kandidaten Unterricht haben, sonst würde ich doch zu wild!

Ich aber hatte mir fest vorgenommen, mir die schöne Besuchs- und Ferienzeit bei den Eltern nicht durch ganz unnötige Gelehrsamkeit zu verderben. Wenn also der Kandidat im Garten erschien, die Hände auf den Rücken gelegt, einen alten Cylinderhut auf dem Kopfe, dann verschwand ich sofort, und auch bei den Mahlzeiten bemühte ich mich immer, nicht in seiner Nähe zu sitzen. Besonders in der ersten Zeit meines Aufenthalts befolgte ich diese Taktik, als ich später merkte, daß Herr Nottebohm gar nichts von mir wollte und wahrscheinlich Gott dankte, mich nicht unterrichten zu müssen, wurde ich etwas freundlicher.

An dem Tage aber, wo ich Krischane das Heiratsgesuch vorgelesen hatte, schob ich mich schnell an das unterste Ende des Kaffeetisches und freute mich, als Herr Nottebohm sich weit von mir setzte. Er sah mich gar nicht an, sondern griff nach einem Teller mit Butterbrot, den er dicht an sich heranschob, und begann eifrig zu essen. Er war ein großer, magerer Mann und hatte einen vorzüglichen Appetit. Dabei sprach er fast gar nicht, wenn er aß, sondern blickte immer geradeaus vor sich hin, nur die Kinnbacken eifrig bewegend.

Die Unterhaltung an dem Kaffeetisch war überhaupt heute nicht sehr belebt. Die Brüder hatten noch eine Stunde bei Papa vor sich, für die sie bis jetzt nicht gelernt zu haben schienen, denn jeder von ihnen saß über einem lateinischen Buch und flüsterte halblaute Worte vor sich hin. Krischane, die für unser leibliches Wohl sorgte, war so in Gedanken versunken, daß sie uns allen die dritte Tasse Kaffee einschenkte, was sie eigentlich nicht durfte und Herr Nottebohm aß, wie gesagt, so eifrig, daß er sich um nichts anderes bekümmerte. Da war es denn eine rechte Abwechslung für mich, als ein kleiner Kastenwagen auf den Hof gerasselt kam und ich mich ans Fenster stellen konnte, um ihn zu betrachten. Es war ein sehr wenig elegantes Gefährt, und das vorgespannte Pferd, ein zottiger, hinkender Doppelpony, zeichnete sich gleichfalls nicht durch Schönheit aus. Auf dem Wagen selbst saßen eine alte Frau und ein noch junger Mann.

„Das sind Bierkrauts!“ bemerkte Jürgen, der sich neben mich gestellt hatte. „Mutter Bierkraut handelt mit geräucherten Sachen und Fite, ihr Sohn hilft ihr dabei. Sie prügelt ihn und sie soll auch hexen können!“

Nach dieser Beschreibung ging ich natürlich hinaus, um mir beide Persönlichkeiten näher zu betrachten. Krischane ging auch mit, und während sich zwischen ihr und Mutter Bierkraut eine sehr lebhafte Unterhaltung entspann, konnte ich sie sowohl als ihren Sohn so lange ansehen, wie ich wollte. Beide waren vom Wagen gestiegen und priesen ihre Ware in glühenden Lobsprüchen an, während Krischane naserümpfend die Körbe mit den geräucherten Aalen und Bücklingen betrachtete und ein vernichtendes Urteil über sie fällte.

„Die sind ja wohl alle von vorigem Jahr!“ sagte sie auf hochdeutsch. „So’n ohl Kram nehm’ ick nich!“ setzte sie dann auf plattdeutsch hinzu.

Mutter Bierkraut schrie laut auf, und dann schalten die beiden sich – auf plattdeutsch und auf hochdeutsch, und ich kann nur sagen, daß sie beide das Schimpfen verstanden. Mutter Bierkraut war eine starke, große Frau mit finstern dunklen Augen und gelblichen Gesichtszügen. Sie sah fast aus wie eine Zigeunerin und ich konnte ihr gegenüber ein Gefühl von Furcht nicht unterdrücken. Ihr Sohn Fite machte keinen so bösartigen Eindruck. Er hatte ein freundliches Gesicht und ganz nette Augen. Vor mir hatte er seine fettige Mütze abgenommen, was mich mit wohlwollenden Gefühlen für ihn erfüllte, und nun stand er vor dem Pony und fütterte ihn mit Brot.

Krischane und Mutter Bierkraut zankten sich noch, aber ihre Stimmen waren doch leiser geworden und Krischane schien einige Sachen kaufen zu wollen. Ich wollte also gerade eine Unterhaltung mit Fite beginnen, da war er plötzlich eilig in unsere Küche geschlüpft und kam erst wieder, als seine Mutter gellend nach ihm rief. Der Handel war abgeschlossen, die Alte kletterte wieder auf den Wagen und der Sohn that desgleichen. Dann noch eine unfreundliche Begrüßung und der zottige, magere Pony trottelte mit allem davon.

„Das sind aber komische Leute!“ bemerkte ich zu Krischane und diese nickte. Sie war noch immer in einer gewissen Erregung und strich sich über die glatten, dünnen Haare.

„Das kannst woll sagen, Kind! O, was is Mutter Bierkraut

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 402. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_402.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)