Seite:Die Gartenlaube (1897) 423.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

doch heute gebacken! Nottebohmen, langen Sie mich mal den Teller mit Weißbrot her! Da haben Sie all neun Snitten von gegessen. Was genug is, das is genug! Hier unten die Kinners wollen auch ihr Teil haben, und das is ihr Recht, wo ihr Vater das for ihnen bezahlen thut. Die Smarotzers können nich allens kriegen!“

Ich hatte noch niemals Krischane in dieser Weise mit Herrn Nottebohm sprechen hören und machte große Augen, während Jürgen mir zunickte.

„So spricht sie jetzt immer mit ihm, wenn Mama und Papa nicht zu Hause sind!“ flüsterte er mir zu. „Sie ist furchtbar böse auf ihn!“

Ja, böse mußte sie auf ihn sein. Anzügliche Redensarten, die ich nur halb oder gar nicht verstand, und Grobheiten, die jeder verstehen konnte, flogen dem armen Herrn Nottebohm nur so um die Ohren. Er nahm sie ziemlich ruhig hin und sein Appetit schien nicht darunter zu leiden, Krischane selbst aber schien sehr aufgeregt. Sie aß und trank fast gar nichts, obgleich sie sonst bei den Mahlzeiten durchaus nicht von Luft lebte. Heute aber war sie wie ein Gefäß, aus dem Gift und Galle zu gleichen Teilen heraussprudelten.

„Aber Krischane!“ sagte ich endlich. „Weshalb bist du doch so häßlich gegen Herrn Nottebohm?“

Sie sah mich finster an, während der Kandidat laut auflachte. Es war das erste Mal, daß ich ihn von Herzen lachen hörte, und es klang so nett, daß auch ich einstimmen mußte, obgleich ich nicht wußte, weshalb. Auch die andern lachten, bis auf Krischane, die plötzlich aufstand und ohne ein Wort zu sagen das Zimmer verließ. Wir kümmerten uns aber nicht darum, und da Herr Nottebohm durch sein Lachen mir gezeigt hatte, daß er wirklich gemütlich sein konnte, so quälte ich ihn so lange, bis er mir eine hübsche Geschichte aus dem Jahre 1848 erzählte, wo er als junger Student den Krieg mitgemacht hatte und beinahe in dänische Gefangenschaft geraten war. Er erzählte wirklich ganz anschaulich, etwas langsam allerdings und ziemlich umständlich, aber dafür dauerte die Geschichte auch desto länger, was doch sehr angenehm war.

Krischane sahen wir wenig in den nächsten Tagen. Sie arbeitete viel im Hause herum und war gegen uns alle so unfreundlich wie möglich. Nur als mein Abreisetag kam und ich unter vielen Thränen einen Proviantkorb packte, dessen Inhalt mich abwechselnd mit Wonne und dann wieder mit Rührung erfüllte, da erschien Krischane plötzlich mit einem Glase eingemachter Erdbeeren.

„Da! Smeiß es man nich kaput und verdirb dich auch nich den Magen an!“

„Vielen Dank, Krischane!“ rief ich erfreut. Dann aber weinte ich doch wieder und Krischane setzte sich mit untergeschlagenen Armen vor mich hin.

„Nu ja, nu ja, erst lachst du, und dann weinst du! So geht das nu zu in die Welt; das is allens veränderlich, die Smerzen und die Freuden. Bloß bei mich nich. Da is allens bloß voller Smerzen!“

Sie stöhnte tief auf und strich sich das Haar glatt, wie es ihre Gewohnheit war.

„Nich mal gelesen hat er ihm! Nich mal gelesen! Und denn sagt er, daß mein Brief zu slecht war, wo mein Vater doch ein richtigen Bauer war. Mit achtzig Tonnen Land und Kühens und Sweinens, und wenn Vater nich getrunken hätt’ und bankrott wurde, denn könnt’ ich noch ein Bauertochter sein und ein Mann mit ’n Bauerstelle haben. Von so ’n Nottebohm braucht’ ich mich noch nich zum Narren halten lassen. Denn das is Narretei, wo er sich ein Witmann nennt und man bloß ein in Gedanken is und denn ein gutes Herz haben will und doch bloß auf die Dukatens sieht! Nein, o nein, so ’n Geschichte is doch zu swer – und da soll ich noch freundlich gegen ihm sein? Oh, oh!“

Sie seufzte und murmelte noch eine lange Zeit vor sich hin, und wenn ich nicht mit mir selbst so beschäftigt gewesen wäre, dann würde ich ihr gewiß geantwortet haben. So aber war ich zu sehr von meinen eigenen Angelegenheiten hingenommen, um an die anderer Menschen zu denken. –

3.

Ein ganzes Jahr war vergangen, das ich im großelterlichen Hause auf der stillen Insel zugebracht hatte. Nun war der langersehnte Sommer wieder da und eines Tages stand ich denn von neuem zwischen den Brüdern und feierte mit allen ein fröhliches Wiedersehen. Das Elternhaus war gottlob unverändert, nur Liese, das hübsche Hausmädchen hatte einem andern mehr gutmütig als hübsch aussehenden Wesen Platz gemacht, und im Stall waren einige junge Kälber. Banko, der Stallkater war noch da, Perle sollte noch bei Friederikenruh’ bellen und Christiane Timmermann wirtschaftete nach wie vor in der Küche herum. Sie empfing mich ziemlich freundlich, die Brüder aber sagten, das Leben sei den Winter über eigentlich nicht mit ihr zu ertragen gewesen, sie wäre immer so übler Laune gewesen, daß eigentlich kein Mensch mit ihr es habe aushalten können. Mama habe ihr auch gesagt, sie müsse gehen, wenn sie nicht freundlicher werden wolle, da sei sie denn etwas besser geworden, Herrn Nottebohm aber könne sie noch immer nicht sehen und er gehe ihr auch so viel wie möglich aus dem Wege. Herr Nottebohm war nämlich auch noch da und las an freien Nachmittagen noch regelmäßig die erste Seite von dem Buche über die Landeskunde. Auch sonst war er unverändert, sagte bei Tisch nie viel, aß aber desto reichlicher und hatte dieselbe ruhige Art zu sprechen.

Es war überhaupt gemütlich, daß alles genau so war wie im vorigen Jahr. Auch die Bierkrauts kamen nach wie vor mit ihrem erbärmlichen Fuhrwerk auf den Hof gefahren und die Mutter schalt noch gerade so wie sonst. Die ältern Brüder erzählten, daß sie eine Frau für Fite suche, aber noch keine gefunden habe, da sie sehr reich sein müsse. Liese, unser früheres Hausmädchen, durfte es natürlich nicht sein, da sie erstens arm und zweitens viel zu jung war. Fite sollte eine verständige, ältere Person heiraten, die auf ihn achte, damit er nicht zu große Dummheiten mache. So hatte seine Mutter in einem vertraulichen Augenblick einmal gegen Bruder Heinrich geäußert, und ein solches Wesen war natürlich nicht so ohne weiteres zu finden.

In diesem Jahr hatte ich längere Ferien als im vorigen, aber mir waren auch etliche französische Uebersetzungen, ein Aufsatz über meine Ferienerlebnisse und andere ähnliche Unannehmlichkeiten aufgepackt worden, die ich ebenso überflüssig wie grausam fand, und die mich manchmal mit der Welt unzufrieden machten.

„Krischane, mußtest du auch in den Ferien arbeiten?“ fragte ich unsere Haushälterin eines Nachmittags, als meine Mutter mich mit dem „mittleren Ploetz“ in die Eßstube geschickt hatte, wo ich arbeiten sollte, und wo ich zu meiner Freude Krischane traf, die den Büffettschrank auswischte. Sie schüttelte kurz den Kopf.

„Wenn ich frei hatt’, denn mußt’ ich Gänse hüten!“

„Schreibst du noch manchmal Briefe an die ,Itzehoer Nachrichten’?“ fragte ich weiter.

„Nee!“ antwortete die Gefragte ebenso kurz und eine Zeit lang eifrig räumend und wischend. Nach einer Weile wendete sie sich aber plötzlich wieder zu mir.

„Was fragst du so dummes Zeug? Ich hab’ überhaupt gar nich an die ,Intzehoen’ geschrieben, bloß an die Anzeige, die da ein war und die eine ganz schandbare Lügerei gewesen is! Wie konnt’ ich in mein unschuldiges Herz denken, daß Männers so slecht sein können, wo ich bloß mein, daß Deerns falsch sind! Abers die Männers, die gar kein’ Witmänners sind, und die allens lügen und nich mal mein’ Brief lesen, weil er zu slecht is – zu slecht! Gift und Galle könnt’ ich schlucken, wenn ich an die Männers denk’!“

Sie schluchzte ordentlich ein wenig, und ich wollte ihr gerade sagen, daß die Uebersetzungen aus dem Ploetz auch die Galle aufregten, als Jürgen den Kopf in die geöffnete Thür hineinsteckte.

„Krischane, du hast einen Brief bekommen. Der einzige, der in der Posttasche war! Dabei hielt er der Haushälterin ein großes Schreiben hin, das diese nur zögernd in die Hand nahm.

„Ich ein’ Brief?“ fragte sie mißtrauisch. „Ich erwart’ mich keinen!“

„Er ist aber an dich! An die unverehelichte Christiane Timmermann! Hier steht es, und hinten ist ein Siegel vom Amtsgericht!“

Amtsgericht? Krischane ließ den Brief auf den Tisch fallen, als wenn er glühend wäre. „Ich hab’ mein Lebtag nix mit die Gerichtes zu thun gehabt! Der Brief is nich for mir! Meinst, daß ich sitzen will?“

„Aber Krischane, der Brief ist für dich. Es steht doch hier. An die unverehelichte –“

„Snicksnack!“ Sie wurde dunkelrot vor Zorn. „Was geht

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 423. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_423.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)