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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Bertha las die Adresse.

„An den hochmögenden und hochgelahrten
Herrn Doctor utriusque juris Adam Xylander,
Beisitzer am hochlöblichen und gestrengen Malefikantengericht zu Glaustädt.“

„Eine seltsame Handschrift,“ meinte sie nachdenklich. „Fast wie gemalt.“

Da ging die Schlafzimmerthür. Adam Xylander mußte das Schwatzen des Laufmädchens gehört haben, obgleich das Kind seine Stimme sorglich gedämpft hatte. Er ließ sich den Brief aushändigen, während die Störerin rasch davoneilte.

Der Mann las. Sein Antlitz verfärbte sich.

„Um Gott, Oheim, was giebt’s?“

Er streckte abwehrend die rechte Hand aus.

„Nichts, nichts! Laß mich! Nein, geh’! Ich muß noch in dieser Minute … Gieb mir den Stock und die Mütze! Und ein besseres Obergewand! Aber so geh’ doch!“

Als sich Bertha entfernt hatte, schlug er sich mit der Hand flach vor die Stirn.

„Wer das geahnt hätte!“ murmelte er wie geistesabwesend. „Ueberall greift die verwerfliche Pest um sich! Straff’ deine Muskeln, heil’ge Gerechtigkeit, oder das Volk ist verloren.“

Er las noch einmal den Brief mit starrer Aufmerksamkeit durch, so daß er in seinem Eifer nicht wahrnahm, wie Bertha ihm jetzt das Verlangte hereintrug und fürsorglich auf den Tisch legte.

Das Schreiben lautete:

„Hochwürdiger, hochgelahrter Herr Richter und Beisitzer!

Dem Verfasser dieser bescheidenen Zeilen ist es zu Ohren gekommen, wie Euer Hochgelehrter während der letzten Wochen von allerlei Weh und Gebrechen heimgesucht worden, Insonderheit von qualvollem Herzdruck, langdauernder Schlaflosigkeit und – wenn so der Schlummer Euch doch einmal überkam – von schreckhaften, widerwärtigen Traumgeschichten. Bei der großen Verderbtheit aller sterblichen Kreatur und der wachsenden Gier, um eitler irdischer Vorteile willen einen Pakt mit dem Bösen zu schließen, ihm gleich einen Gotte zu huldigen und sich die Gunst des Ewigverfluchten dadurch zu sichern, daß man unter den Mitmenschen Uebles und Schändliches auflistet, ist Euch, hochgelahrtester Herr, wohl schon selbst der Gedanke gekommen, es möchte etwa bei diesen obgemeldeten Zuständen teuflische Zaubereien und höllische Tücke im Spiel sein. Wäre ja auch kein Wunder, so sich die Hexen und argen Zauberer mit ihrer Bosheit und ihrem tückischen Haß fürnehmlich auf Eure erlauchte Person stürzten sintemalen Ihr so dem Satanas und seinem Spielgesind ein absonderlich starker Dorn im Auge seid. Auch mögt Ihr schon manchmal geforscht haben, wo denn der Urheber oder die Urheberin solcher abscheulichen Unthat zu finden sei.

Ich, der Briefschreiber – der ich aus achtbaren Gründen ungenannt bleiben will, zumal das hochlöbliche Malefikantengericht ja auch ohnedies die Wahrhaftigkeit meiner Aussage prüfen kann – ich also habe durch allerlei Zufall, dessen Erzählung hier unterbleiben mag, Kunde davon bekommen, wer Euch auf diese boshaftige Art zum Siechthum verholfen hat. Die Verbrecherin ist eine junge Person, die leiblich den begnadeten Engeln des Herrn gleicht, aber vielleicht gerade um deswillen von Beelzebub zum Rüstzeug erwählt worden ist. Lest und staunt! Sie heißt Hildegard Leuthold und ist das einzige Kind des Euch dem Ruf nach sicherlich wohlbekannten Wittenberger Magisters Franz Engelbert Leuthold, der übrigens von der Unseligkeit seiner Tochter nicht das Geringste ahnt. Am Kreuzweg zwischen der alten Haardt und der Grossachbrücke hab’ ich sie selbst beobachtet, wie sie bei Nacht und Nebel allerlei zauberischen Unfug trieb und dabei unter allerhand gräßlichen Formeln Euren Namen hervorstieß.

Um die Stunde kam ich verspätet von Lynndorf und rastete wegmüd’ hinter dem Nußgebüsch. So vernahm ich jegliche Silbe.

Auch den Sohn eines Waldhüters hat die Leuthold behext und mit schmerzhafter Krankheit geschlagen. Sie erteilte dem Knaben Unterricht und war ihm auch anfangs wohlgesinnt, bis ihr der Satan befahl, zur Probe ihrer Ergebenheit dem Liebling ein Leids zu thun. Ihr werdet das unschwer ans Licht bringen. Der Knabe heißt Florian Püttner und wohnt am Klausweg. Viele Tage hindurch lag der Behexte siech und redete irre, und der Hals brannte ihm wie von höllischem Feuer.

Desgleichen ist mir bekannt geworden, daß Hildegard Leuthold – fragt nur die Hexen und Zauberer, die Ihr im Stockhaus habt – die letzte Walpurgisnacht auf dem Herforder Steinhügel den großen teuflische Sabbath in der bekannten schmachvollen Art festlich begangen, die teuflischen Sakramente empfangen und sich durch einen furchtbaren Eidschwur in Beelzebubs linke Hand siebenfältig verpflichtet hat, in der Glaustädter Gemarkung so viel Unheil zu üben, als sie mit Satans Hilfe irgend imstande sei. Die Leuthold vielleicht vor allen übrigen Hexen trägt Schuld daran, daß neuerdings die Gärten des Grossachufers an so verheerendem Raupenfraß leiden, daß in der Gusecker Flur die Obstblüten fast gar nicht angesetzt haben und daß letzthin so furchtbare Hagelschauer über den Klottheimer Gau zogen.

Ich hielt es für meine Gewissenspflicht, ebensosehr um der geschädigten Menschheit willen wie auch mit Rücksicht auf das bedrohte Seelenheil der Verführten, Euch, hochgelahrtester Herr, diese Thatsachen mitzuteilen. Gewiß kommt ihr nach reiflicher Ueberlegung zu dem Entschluß, die Landverderberin schleunigst in Haft zu nehmen, damit ihre Schuld gesühnt werde, der Fiskus aber, der für uns alle zu sorgen hat, ihr mütterliches Vermögen von Gottes und Rechts wegen einziehen. So wird doch wenigstens ein kleiner Teil des freventlich angerichteten Schadens vergütet.

Darf ich, zum Dank für diese notgedrungene Anzeige, noch eine Bitte äußern, so wär es die folgende: Habt die Geneigtheit, Sorge dafür zu tragen, daß die Festnahme der malefica nicht im Hause ihres hochachtbaren und würdigen Vaters geschehe! Hildegard Leuthold macht in den Vormittagsstunden oft genug Einkäufe bei den Handwerksmeistern und Händlern. Es ginge wohl an, sie bei solcher Gelegenheit unauffällig und ohne Starren des Volkes hinweg zu leiten. Und ferner gönnt Ihr nach der Verhaftung etliche Tage Zeit, bußfertig zu werden und ihre Sünde freiwillig und ohne Tortur einzugestehen. Der dies schreibt, hat ein so mitleidiges Herz, daß er selbst einer schweren Verbrecherin zwecklos keinerlei Qual zufügen möchte.

     Eurer Güte vertrauend …“

Und nun kam an Stelle der Unterschrift ein verschnörkelter unkenntlicher Buchstabe, der ebensogut K bedeuten konnte wie B und R.

Der Malefikantenrichter hielt sich nicht lang’ damit auf, das Rätsel des undeutlichen Buchstabens zu lösen. Der richtige Anfangsbuchstabe war es ja unzweifelhaft doch nicht. Und wenn selbst – was lag dem fanatischen Hexenverfolger daran, wer ihm diese Enthüllungen übermittelte? Genug, daß sie ihm hier so bestimmt vorlagen. Sein Antlitz glühte, sein krampfhaft zugekniffener Mund kaute und zuckte. Adam Xylander zweifelte keine Sekunde lang an der Wahrhaftigkeit dieses verlogenen Schriftstücks, das allerdings mit großer Geschicklichkeit die Verhältnisse ausnutzte.

Alles schien nun erklärt, was der unglückliche Mann während der letzten Wochen an widrigen Zuständen durchgemacht hatte; die Angst, die Beklemmungen, das wühlende Herzweh, die unheimlichen Stimmen, die ihm von Zeit zu Zeit wie aus dem Jenseits durch die erschreckte Seele tönten. Nicht die Wedekindin rief ihn beim Namen, sondern die höllische Feindin Hildegard Leuthold, die vor allen übrigen Unholdinnen vom Satan gedungen war, ihn langsam zu Tode zu quälen. Da! War das nicht jetzt wieder ein höhnisches Raunen und Murmeln, als ob die boshafte Hexe ihn schmähe? Unverkennbar klang das wie eine Mädchenstimme, hell und jugendlich, so gedämpft sie auch hörbar wurde.

(Fortsetzung folgt.)
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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 455. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_455.jpg&oldid=- (Version vom 10.12.2016)