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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

 Breithorn. Th[]ß Matterhorn. Dent blanche.

Schwärzegletscher.       Breithorngletscher. 
Aussicht vom Gornergrat auf das Matterhorn und seine Nachbarn.

unter den Eisstürzen und Schuttbergen des Gornergletschers liegen. Wild, düster und schwermütig ist die Schlucht. Die grauen Wellen stürzen wild und tobend kopfüber, bäumen sich gegen die Galerien empor, gurgeln und stäuben, und in strömenden Thränen rieselt von den zerspülten Wänden der aufgewirbelte Wasserstaub in den Wildstrom zurück. Treppab, treppauf und reichlich in den Ecken herum schreitet man im Halbdunkel auf schmalen hängenden Stegen (vgl. Abbildung S. 459.), unter denen es stöhnt und dröhnt. Hoch an den Rändern der Schlucht beugen sich Arven und Lärchen mit niedergedrückten Aesten und langen Bärten, die im Luftzug schwanken, über das dämmernde Geheimnis. Ein Seufzen, ein Raunen geht durch die Felsen, als ob verlorene Stimmen uns warnen möchten weiter zu gehen, als ob wir gleich an das dunkle Thor kommen müßten, hinter dem Heulen und Zähneklappern wohnt.

Plötzlich aber jubeln flammende Alpenrosen von der Höhe in den Abgrund, sie gucken in hängenden Büschen so lieb, so leichtsinnig in den Abgrund, daß man ihnen zurufen möchte: „Zurück, Kinderchen!“ Und durch das geöffnete Thor, durch einen Regenbogen, den der Wasserstaub darüber spannt, schaut der sonnenbeleuchtete blauschillernde Gletscher wie ein verzaubertes Stück Welt in die Düsternis.

Auf einer steilen Stiege klimmen wir am rechten Ufer der Visp empor und kehren durch Wald und Wiesen, die in entzückender Blumenpracht strahlen, nach Zermatt zurück.

Nun aber an einem frischen, strahlenden Alpenmorgen auf den Gornergrat, den berühmten Luginsland von Zermatt! Mit seinen 3136 Metern ist er so hoch wie der Urirotstock, der Titlis und manche andere Schneeberge der mittleren Schweiz, allein er ist bis an seine Spitze mit Grün bekleidet und auf sanftem Weg ist seine Besteigung nichts weiter als ein angenehmer Spaziergang (vgl. Abbildung S. 459) Machen wir es uns noch bequemer, reiten wir auf einem der Maultiere, deren oft fünfzig oder hundert, eines die Nüstern am Schweif des andern, sich folgen, den Berg empor! Das ist in einer so lebenslustigen Gesellschaft, wie die, die sich in Zermatt trifft, gar fröhlich und gewährt unterwegs eine Menge drolliger und ergötzlicher Scenen.

Der Lärchenwald schlägt seine Bogen über uns, ein herrlicher alter Wald, der abgelöst wird durch Arvenforste. Man muß sie bewundern, die kraftvollen gedrungenen malerischen Cedern des Hochgebirgs, die ihre Aeste zu wuchtigen Schirmen bauschen, ja eine fast wehmütige Teilnahme widmet man diesen Bäumen. Sie sterben in den Alpen aus, ihre Früchte, die süßen Zirbelnüsse, die sonst ein Leckerbissen für die Jugend der Bergdörfer waren, werden nicht mehr reif und keimen nicht mehr. Zermatt kennt sie nur noch der Sage nach.

An lichten Waldstellen und auf den Matten arbeiten die Zermatter Frauen. Während die Männer mit den Fremden über die Gletscher spazieren, besorgen sie die schwersten Geschäfte. Sie fällen die dicken Lärchen, sie schlitteln das Holz ins Thal, sie zimmern die „Wässerwasserfuhren“, sie mähen das Heu und das Wildheu an den Bergwänden und werfen die Bündel, die sie davon gesammelt haben, über die Felsabsätze ins Thal.

Auf Zickzackwegen reiten wir durch den Wald empor, er lichtet sich, zwischen den Bäumen, deren Kronen der Sturm und der Blitz zersplittert haben, schimmert auf der ersten Terrasse des Berges der Gasthof „Riffelalp“. Grenzenlos tief, doch in scharfer Sonnenbeleuchtung sehen wir unter uns Zermatt in seiner Bergspalte, und in fleckenloser Reinheit ist hinter den Vorbergen der Kranz der Schneegipfel aufgetaucht, ein drängendes Heer, das uns entgegenzukommen scheint, um das kleine Stück grüner Landschaft zu vernichten, das uns geblieben ist.

Der Wald ist unter uns, wir reiten durch einen funkelnden Teppich von Alpenblumen durch einen Farbenjubel zarter Blüten, der Auge und Sinn berauscht, am Gasthof „Riffelberg“ vorbei geht der Ritt, der Blumenfrühling erlischt neben uns, die Winde werden zudringlich und über Felsplatten, wo nur noch die Flechten spinnen, erreichen wir den Grat.

Da stehen wir nun mitten im Kreis der erhabensten Berge des Schweizerlandes. Wie ragen diese Gipfel still und feierlich in den blauen Himmel, wie reden sie von Zeit und Ewigkeit!

Ausgang für jede Betrachtung des weiten Kranzes ist das Matterhorn, das splitternackte Ungeheuer, mit dem man in Zermatt nie fertig wird. Ob sich hundert Schneeberge neben es stellen, es bleibt der Goliath unter den Däumlingen. In der Blöße seines Felsens, der kein grünes Gräschen, aber auch kaum eine klebende Schneeflocke duldet, sagt es trauernd. „Siehst du, wie arm ich bin“ und mit einem dämonischen Lächeln setzt es hinzu. „Und wie schön!“

Zwischen Matterhorn und Breithorn liegt ein breiter, blendend weißer Schneekamm, aus dem nur einige niedrige Berge ragen. Das sind die sagenumwobenen Schneefelder des Theoduls, die sich an der Stelle eines großen Dorfes dahindehnen sollen. Ueber den Theodulpaß zogen in alten Zeiten die Zermatter, um plündernd in die Städte des Piemonts einzufallen und die „Lychenbretter“, helle Felsen, die aus der weiten Schneewüste schimmern, sollen den Ort

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 460. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_460.jpg&oldid=- (Version vom 10.1.2022)