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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Glaustädt übergesiedelt ist, bin ich – ohne Ruhmredigkeit – wohl der beste und verwandteste Freund des Magisters. Was ich jetzt hier zur Ausführung bringe, das hätte ich ja unter allen Umständen gethan, auch wenn der Vater selbst für sein Kind hätte einstehen können. Nun aber liegt Herr Leuthold seit dem gestrigen Tag am Gehirnfieber ohne Bewußtsein danieder. Jetzt halt’ ich es doppelt für meine Pflicht …“

„Ihr macht mich neugierig.“

„Die Sache ist einfach genug. Natürlich, das Gesetz kennt kein Erbarmen. Die Schuld muß gesühnt werden. Nur möchte ich darauf hinwirken, daß die Beschuldigte nicht über das Maß des Notwendigen hinaus leidet. Ich möchte ihr, wenn es anginge, die Tortur ersparen. Und das glaub’ ich erreichen zu können. Seit ich bei Doktor Xylander war, bin ich ja leider Gottes von ihrer Schuld nahezu überzeugt. Ein offenes und rückhaltsloses Geständnis wird diese Schuld zwar nicht austilgen, aber doch wohl die Folter unnötig machen. Ich habe nun auf das Gemüt dieses Mädchens einen so starken, zwingenden Einfluß, daß ich mich dreist unterfange, ihren störrischen Sinn zu beugen und sie ehestens zur Vernunft und zur Buße zu bringen. Erlaubt mir also, daß ich allein oder doch höchstens im Beisein des Kerkermeisters mit der Verhafteten spreche. Diese Vergünstigung läuft ja den Zwecken des Tribunals durchaus nicht zuwider. Im Gegenteil. Und zum Dank dafür bin ich bereit, hier eine namhafte Summe zu hinterlegen, die Euer Hochgelahrten für irgend ein gutes Werk – vielleicht zur Entschädigung schuldlos torquierter und späterhin freigesprochener Häftlinge – aufwenden wollen.“

Die Stirn des Blutrichters hatte sich flüchtig umwölkt. Es kam ihm doch etwas unverhofft, daß es ein Glaustädter Bürger und Ratsherr wagte, ihn auf so wenig verhüllte Art zu bestechen. Die Phrase von der Entschädigung Schuldloser klang fast wie Hohn, dieweil sich ein Freispruch vor dem Glaustädter Malefikantengericht bisher nicht ereignet hatte. – Als aber Henrich Lotefend gute Frankfurter und Leipziger Wechsel herauszog, deren Betrag ein kleines Vermögen darstellte, löste sich diese kurze Beklemmung in vollste Genugthuung auf.

„Gut!“ sagte Herr Balthasar Noß mit erkünstelter Förmlichkeit. „Euer Verlangen hat nichts, was dem Gesetz widerstrebte. Wenn sich die Inkulpatin schuldig bekennt und alle Fragen reumütig beantwortet, dann waltet für uns allerdings kein Grund ob, zur Torquierung zu schreiten. Und daß Ihr, der Tochter eines verehrten Freundes, die Qual ersparen wollt, ist nur menschlich, edel und christlich. Wieviel Zeit gedenkt Ihr aufwenden zu müssen, um das verstockte Geschöpf mürbe zu machen? Nach den Mitteilungen Doktor Xylanders ist ihm noch keine begegnet, die so schroff und so hochfahrend alles geleugnet hätte wie diese Hildegard Leuthold.“

„Dem strengen Tone des Inquirenten mag sie wohl Trotz entgegengesetzt haben. Mir aber, dem treuen bewährten Freund, vor dem sie nie ein Geheimnis hatte, mir, des bin ich gewiß, widerstrebt sie nicht lange. Wenn Ihr mir zwei, drei Stunden vergönnt … Vielleicht an verschiedenen Tagen … Denn, wie das Sprichwort sagt: der Baum fällt nicht sofort auf den ersten Hieb.“

„Schön! Das soll Euch gewährt sein. Geduldet Euch einen kurzen Moment!“

Er nahm die beträchtlichen Wechsel vom Tisch und ging mit behäbiger Würde ins Nebenzimmer. Nach zwei Minuten kam er zurück und brachte dem Tuchkramer ein rot untersiegeltes Blatt.

„Hier“, sprach er, „da habt Ihr den Einlaß. Den braucht Ihr nur vorzuzeigen, dann öffnet sich Euch das ganze Stockhaus.“

„Auch heute noch?“ frug Henrich Lotefend.

„Zu jeder Zeit, bei Tag und bei Nacht.“

„Ich dank’ Euch, Herr Zentgraf! Gott soll’s wissen, wie mir das Schicksal des unglücklichen Magisters zu Herzen geht! Und das jungrosige Fräulein selbst …! Ein Jammer, daß sich der böse Feind so liebliche Opfer kürt!“

„Freilich, freilich!“ murmelte Balthasar Noß. „Er treibt’s nachgerade zum Schopfausraufen. Jetzt aber – genug! Und trinkt hier noch einen Schluck von dem Ingelheimer! Was hilft es, wenn sich der Mensch in Gram verzehrt? Das Leben ist kurz, und alles Geseufze ändert die Welt nicht!“

„Das sagt Ihr wohl!“ nickte Herr Lotefend. „Wenn man nur immer den Gram und die Sorge so abschütteln könnte!“

Er machte ein tief schwermutsvolles Gesicht.

„Wann hattet Ihr vor, die Beschuldigte aufzusuchen?“ fragte der Blutrichter.

„Eigentlich ohne Verzug. Aber nun fühl’ ich mich, offen gesagt, etwas zu angegriffen. Das kommt jetzt nach. Und dazu noch die Angst, Ihr könntet mich abschlägig bescheiden! So was drückt auf die Nerven. Ich denke, zuvor mach’ ich erst einen kurzen Erholungsgang. Die frische Luft soll mir aufhelfen! Gott, o Gott, was man nicht alles erlebt!

„Ja, ja, die Zeiten sind ernst! Ach, und glaubt mir, Herr Lotefend: keiner steht so mitten darin wie unsereins! Meint Ihr, es wäre für mich ein Leichtes, Tag für Tag in den Schrecknissen des Daseins zu wühlen? ‚Die Obrigkeit trägt das Schwert nicht umsonst!‘ – heißt’s in der Schrift. Dies Wörtlein ‚umsonst‘ hat für mich einen gar eigenartigen Sinn. Leider Gottes geschieht es ja in der That nicht umsonst! Ich verliere dabei mein Bestes: die glückliche Frohnatur und das Vertrauen auf den endgültigen Sieg des Guten. Ich bin ein schwer geprüfter, innerlich kraftloser Mensch, Herr Lotefend, was man auch sonst über mich reden mag! Und seht Ihr, daß ich Euch jetzt in der Sache der Leuthold gefällig sein konnte, ohne doch meine Pflicht zu verletzen, das labt mich und thut mir wohl wie ein Sonnenblick nach langwierigem Unwetter.“

„Elender Heuchler!“ dachte der Tuchkramer. Er selbst, Henrich Lotefend, heuchelte freilich auch, aber er spielte doch nur Komödie um seiner Liebe willen. Mit Balthasar Noß verglichen, kam er sich, trotz seiner selbstsüchtigen Grausamkeit gegen Hildegard, rein, würdig und edel vor.

Nach kurzer Frist nahm Lotefend Abschied. Als seine Schritte verhallt waren, begab sich der Blutrichter nochmals in das Nebengemach, wo er die Frankfurter und Leipziger Wechsel beiseite gelegt hatte. Er zog an dem eisenbeschlagenen Wandschrank die Schublade auf, nahm die bedeutungsvollen Papierstreifen langsam heraus, hielt sie gegen das Licht, prüfte und las, und nickte dann hochbefriedigt.

„Wenn er kein Ratsherr wäre!“ murmelte er mit teuflischem Lächeln.

Der Gedanke zuckte ihm durchs Gehirn, wie höchst ergiebig es sein müßte, diesen steinreichen Herrn Lotefend vor die Schranken des Tribunals zu fordern. Aber der Mann war ein Ratsherr! Allzu straff wollte denn doch selbst Balthasar Noß den Bogen seiner Malefikantenverfolgung nicht spannen!

(Fortsetzung folgt.)


Die Schlacht bei Worringen.

(Zu dem Bilde S. 504 und 505.)

Hell funkelten die Sterne in der Nacht vom 4. auf den 5. Juni 1288 über der niederrheinischen Ebene, wo auf der Fühlinger und Worringer Heide – zwischen Köln und Neuß – zwei Heere einander gegenüber lagen, um in der Morgenfrühe loszuschlagen. Beide Teile blieben die Nacht unter den Waffen. Sie waren einander so nahe, daß man die Geräusche des einen Lagers deutlich in dem andern hören konnte –

„Daß die gestellten Posten fast vernahmen
Der gegenseit’gen Wacht geheimes Flüstern.
Die Feu’r entsprechen Feuern und es sieht
Durch ihre bleichen Flammen ein Geschwader
Des andern bräunlich überfärbt’ Gesicht.
Roß droht dem Roß, ihr stolzes Wiehern dringt
Ins dumpfe Ohr der Nacht; und von den Zelten,
Den Rittern helfend, geben Waffenschmiede,
Die Rüstung nietend mit geschäft’gem Hammer
Der Vorbereitung grauenvollen Ton.“

Die Lage der beiden Heerhaufen war ähnlich wie die der Engländer und Franzosen in der Nacht vor der Schlacht von Azincourt (25. Oktober 1415), die uns Shakespeare in den vorstehenden Versen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 507. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_507.jpg&oldid=- (Version vom 8.7.2023)