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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

er verkehrte, suchte und fand nun eine Erklärung dafür in der Annahme, daß er in Deutschland eine Braut besitze, und auf eine Frage, die einmal jemand darüber an ihn richtete, antwortete er kurz: „Ja.“ So ward nicht noch davon gesprochen.

Trägen Ganges, wie kaum sich weiter bewegend, schritt derweil die Zeit über Deutschland hin. Dann aber kam doch einmal ein frischerer Hauch, der sich zum belebenden Winde verstärkte – günstige Himmelszeichen verhinderten, daß er zum Sturm anwachse und ausartete. Wie alles im stetigen Kreislauf der Erdendinge, hatte auch die Herrschaft der Willkür, Selbstsucht und Lüge einmal wieder ihre Lebenskraft erschöpft und fiel fast wie von selbst haltlos zusammen. Die gepreßte Brust des deutschen Volkes hob sich, reiner werdende Luft einziehend; bessere Tage kamen auf. Und sie brachten auch den in der Fremde Zerstreuten die Möglichkeit, ungefährdet zur Heimat zurückzukehren. Halb vergessen schon lag die Zeit, in der sie sich mit Wort und Waffen gegen die damalige „Staatsordnung“ aufgelehnt hatten, und der Urteilsspruch, der drohend über ihnen geschwebt, ward offen für nichtig erklärt.

Unter denen, die von dieser Wandlung der heimatlichen Verhältnisse Gebrauch machten, befand sich auch Alban Hartlaub. Erst später that er’s als die Mehrzahl seiner Schicksalsgenossen, ihn zogen keine menschlichen Bande zurück. Aber heimlich hatte oft zwischen den in nackter Schönheit leuchtenden Felsen, den Palmen und Pinien der hellenischen Welt ihn ein Sehnen nach deutschem Waldesschatten erfaßt, und die vom Norden her kommenden Botschaften reiften langsam das Verlangen in ihm zum Entschluß, den auszuführen nichts ihm wehrte; er war zu den äußeren Mitteln gelangt, seinen geringfügigen Ansprüchen gemäß überall leben zu können. Wie stetige Geistesthätgkeit es wohl als eine Art des Lohnes einträgt, hatten die Züge des ins fünfte Jahrzehnt Eingetretenen Jugendfrische bewahrt, nur sein Haar war frühzeitig bleich geworden, umgab wie von Asche grau überflogen den schönen Kopf mit den stillen Augen.

Als ein Fremder kehrte er nach Deutschland zurück, dessen Boden nur seinem Gefühl eine Heimat war. Wo er sich niederlasse, galt ihm gleich, nur nicht in einer Stadt, sondern in stiller Naturumgebung, die vor rauhen Winden, deren er sich entwöhnt hatte, geschützt sei. Das schloß den Norden und das flache Land aus, richtete seine Gedanken auf die Gegenden am Oberrhein, den mildesten Himmelsstrich Deutschlands, und dorthin nahm er seine Richtung. Doch als er, nach Basel gelangt, vom Platz der alten Kaiserpfalz aus jenseit des Flusses die dunklen Schwarzwaldrücken sich aufwölben sah, überkam ihn ein plötzliches Verlangen; es ergriff ihn unwiderstehlich der Drang, noch einmal all’ die Wege zu gehen, die er sich als Flüchtling im Nachtdunkel über Berg und Thal gesucht. Und um eine Stunde später überschritt er jenseit Klein-Basels die deutsche Grenze. Niemand hinderte ihn – ein Wächter stand an der Zollschranke, ohne ihn zu beachten; er mußte ein spielender Knabe gewesen sein, als Albans Leben davon abgehangen, daß er von Norden her in umgekehrter Richtung an den damaligen Grenzhütern vorbeigelaufen.

Der Wanderer folgte der im Wiesenthal aufwärts führenden Straße bis Todtnau; hier hatte er vor dem Gefecht zuletzt übernachtet, nun suchte er den Schauplatz desselben aufzufinden. Dies gelang ihm nicht; die Erinnerung lag zu stark überdämmert, und Bergrücken und Wälder glichen sich zu sehr. Doch ungefähr konnte er durch Nachfragen erkunden, wo es gewesen sein müsse und von dort aus schlug er die Richtung ein, welche das Ziel seiner Flucht ihm damals angewiesen.

Nachdem er seine Wanderung mehrere Tage lang fortgesetzt hatte, konnte ihm aber kein Zweifel bleiben, daß er aus der Richtung des wirklichen Weges, den er innehalten gewollt, abgeraten und in ein Thal gekommen sei, das sein Fuß damals nicht betreten. Schmal zog es sich gegen Süden hin, von Laubwald umschlossen, mählich sich ein wenig verbreiternd und sanft niedersenkend, neben einem leise zwischen nickenden Blumen plätschernden Quellbach ging er abwärts, Thymianduft umgab ihn, von stillen Hängen aufsteigend. Aus dem bergumschlossenen Grund hoben sich ein niedriger Kirchturm mit grünem Zwiebelknauf und zerstreute Häuser, die Nachmittagssonne war schon hinter einen Felsenkamm getreten ein traulicher Abendfrieden senkte sich über das Dorf und den Wald. Alban fühlte sich angezogen, die Nacht hier zu verbringen, und ging nach kurzer Rast in dem kleinen Gasthaus nochmals ins Freie hinaus. Nun begann leise ein Dämmerlicht um alles zu weben; er wanderte ziellos umher, da auf einmal umfing ihn ein süßer Duft, der ihm keinen Zweifel über seinen Ursprung ließ und wie kein zweiter vertraut war. Durch ein Mauerpförtchen wandte er sich der Richtung zu, und eine alte, mit Blüten überdeckte Linde sah ihm entgegen, dann erkannte er, daß er auf den kleinen Dorffriedhof geraten sei, den sie zu einem Teil mit ihrem Gezweig beschattete. Um ihn hoben sich Kreuze und Steine vom Boden, die Grabhügel davor zeigten sich mit Blumen geschmückt, doch nicht mit in Gärten gezogenen, sondern, aus dem Feld und von den Halden herübergeholt, standen blaue Glockenblumen, Tausendgüldenkraut und rote Nelke darauf, da und dort umrankten wilde Rosenbüsche die Denkmäler. Eine sanft schwermütige Lieblichkeit lag über der schweigsamen Schlafstatt, an die von einer Seite der Bergwald sein Laubdach dicht heranwölbte. Doch jetzt unterbrach ein Klang die Stille, von der nahen Kirche ertönte das Abendgeläut, der Glockenschall ging ein Weilchen weich über die Gräber hin, dann verstummte er und die schweigende Ruhe kehrte zurück. Da kam Alban plötzlich die Eingebung, dies Dorf und Thal hier biete ihm den Erdenfleck, nach dem er für das, was ihm noch als Lebensabend zugemessen sei, getrachtet habe, und er brauche nicht weiter zu gehen, einen andern zu suchen. –

Das ist ihm über Nacht zum Entschluß gereift, er hat am nächsten Morgen die Ausführbarkeit geprüft und sie zu seiner völligen Befriedigung möglich gefunden. Um ein Geringes war ein Häuschen zu erwerben, das ihm genügte, ein kleiner Garten gehörte dazu. Nach der anderen Seite sah es nachbarlich hinüber auf die Linde und den Friedhof unter ihr. Dort ließ sich durch unbedeutende bauliche Veränderung eine luftig geräumige Arbeitsstube herstellen, und nach wenigen Wochen ist Alban Hartlaub mit seinen Büchern und dem geringfügigen Hausrat, dessen er bedurfte, darin eingezogen, von einer ältliche Magd, zur Führung der einfachen Wirtschaft begleitet.

Eigentümlich blickten in der stillen Weltabgeschiedenheit des Thales von den Wänden Bilder der Akropolis und hellenischer Tempelreste auf den deutschen Wald hinaus, der sein Laub braun färbte, den dann Schnee durch lange Monate bedeckte und der wieder grüne Blätter am Gezweig aufrollte. Doch zu abgeschieden ward es dem neuen Dorfangehörigen nicht, er war ein Mann der Einfachheit, der nicht nach Menschen Begehr trug. Vom Frühling bis zum Herbst erfreute ihn das Werden und Wandeln der Natur, er holte nach, was seiner Jugend nicht zu teil geworden, und erwarb sich durch Selbstunterricht aus botanischen und zoologischen Werken Kenntnis des Pflanzen-und Tierlebens, das ihn umgab. Und immer deutlicher empfand er, daß er nirgendwo eine ihn friedvoller umfangende Heimstätte zu finden vermocht hätte. Täglich ging er auch einmal auf den kleinen Kirchhof zu seinen stillen Nachbarn hinüber, mit deren fast sämtlichen Namen er von ihren Grabsteinen her vertraut ward. Ein anheimelnder Gedanke war’s ihm, sich hier einmal unter dem Vogelgesang, Sonnengeflimmer und murmelndem Laub zum ewigen Schlaf betten zu lassen.

*  *  *

So verflossen zwei Jahre und zum drittenmal begann um ihn der Frühling, auch darin hatte er seinen Aufenthaltsort richtig gewählt, daß zu ihm die rauhen Winde aus Nord und Ost nicht über die schützenden Bergwände herabdrangen. Allein jetzt brach es doch eines Nachts herein, von Süden her – ein Föhnsturm, der sich, aus der Höhe niederstoßend, mit ungeheurer Gewalt ins Thal warf. Lange Stunden tobte er, man hörte ihn die Wälder durchkrachen, erst mit dem Morgengrau erlahmte seine Kraft und der schwarz verdunkelte Himmel färbte sich wieder zu mildem Blau um. Ein Frühlingbringer war’s gewesen, doch manchem ein verderblicher; altmächtige Bäume lagen hingeschmettert, geschäftig besserten vielfach die Dörfler an übel beschädigten Dächern. Alban ging auf den Friedhof, er hatte Sorge um die Linde, doch sie stand ruhig aufrecht, nur einzelnes abgebrochenes kleines Geäst deckte den Boden. Dagegen lagen hier und dort altersmorsche Holzkreuze umgestürzt, mannigfach war der Epheu wie mit zerrenden Händen von den Gräbmälern heruntergerissen. So auch das dicht versponnene Gerank eines

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 510. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_510.jpg&oldid=- (Version vom 8.7.2023)