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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

verschlingt. Wären die Stacheln der Karpfen mit solchen Sperrvorrichtungen versehen wie die Stacheln der Stichlinge, so würde der Hecht im Karpfenteich kein sehr angenehmes Leben haben.

Die Betrachtung der Lebensverhältnisse des Stichlings weist darauf hin, wie sehr er seiner Stacheln bedarf. Freilich, der Barsch und der Hecht büßen es oft mit dem Leben, wenn sie einen Stichling verschlingen; der Lachs und Dorsch jedoch verschlingen ihn ohne Schaden. Die größte Gefahr aber droht ihm von den Müttern seiner Kinder. Stets bemüht, ihre eigenen Kinder zu verschlingen, stürmen sie vereint unablässig auf das Nest los, in dem sie der sorgsame Vater bewacht, und nur zu häufig unterliegt dieser den Folgen seiner Vielweiberei.

Um diesen vielseitigen Angriffen zu begegnen, sind aber auch die Stacheln der Stichlinge mit Gelenkvorrichtungen versehen, die einen sehr ausgiebigen Gebrauch derselben ermöglichen. Blitzartig schnell richtet ein Stichling seine Stacheln auf, wenn er gereizt wird, und stundenlang kann er sie ohne die geringste Muskelaufwendung aufrecht erhalten. Hiervon überzeugt man sich leicht, wenn man die aufgerichteten Stacheln eines getöteten Stichlings niederzulegen versucht.

Drückt man gegen die Spitze des Stachels, so gelingt es nicht, ihn niederzulegen, drückt man dagegen mit der Spitze einer Nadel genau auf einen bestimmten Punkt vorn an seinem Gelenkende, so kann man ihn ohne Schwierigkeit niederlegen. Diese überraschende Thatsache wird erst verständlich, wenn man das Gelenk des Stachels genauer betrachtet und seine Hemmvorrichtung mit denen anderer Fischarten vergleicht. Es giebt deren sehr verschiedenartige, und einige von ihnen sind so schwer zu lösen, daß ich in mehreren größeren Museen kleine Fische der Art in sehr großen Behältern fand, weil man nicht imstande gewesen war, durch Niederlegen ihrer Stacheln ihnen Eingang in Glasgefäße zu verschaffen, die ihrer Größe entsprachen.

Es gelang mir, alle vorgelegten Stacheln niederzulegen, nur an einer japanischen Fischart scheiterte meine Kunst. Ich konnte es aber dafür anatomisch nachweisen warum der Fisch allein imstande ist, mit Hilfe seiner Muskeln diesen Stachel niederzulegen.

Stichling mit Nest.

Leider kann ich hier nicht weiter auf alle diese höchst bemerkenswerten Vorrichtungen eingehen, an denen man häufig die schwierigsten mechanischen Probleme in so einfacher Weise gelöst findet, daß man anfangs oft gar nicht recht an diese Lösung glauben will. Ich muß hier schon auf eine Beschreibung derselben verzichten, weil ich nur mit Hilfe meiner künstlichen Nachbildungen dieser Gelenke und durch Vorlegung der Gelenke selbst mich verständlich machen kann.[1] Die Stacheln, an denen diese Gelenke sitzen, bilden meist den vordersten vergrößerten Strahl einer Flosse. Häufig sind die übrigen Strahlen hinter diesem vergrößerten Strahle sehr bedeutend geschwunden, ja manchmal fehlen sie vollständig, so daß der Stachel ganz vereinzelt dasteht. In solchen Fällen ist die Hemmvorrichtung am Gelenke des Stachels in besonders hohem Grade entwickelt, z. B. beim obenerwähnten Stichlinge.

Auch die knöchernen Träger eines solchen Stachels zeigen eine bedeutend größere Festigkeit als die schlanken Flossenträger. Durch Anbildung knöcherner Stützen und Streben sind Knochengerüste entstanden, an deren Material und Stützung selbst anspruchsvolle Ingenieure und Architekten wenig aussetzen würden. Dieselbe Entstehung fester Knochengerüste aus schlanken, halb verknöcherten Stäben und Planen kann man auch an den Trägern jener Stachelbildungen beobachten, die nicht aus Flossen hervorgehen, z. B. an den Stacheln der Kiemendeckel des Flughahnes (Dactylopterus volitans).

Dieser fliegende Fisch zeigt an seinen auffallend langen spitzen Stacheln Vorrichtungen, die das Aufrechterhalten derselben dem Fische erleichtern. Die Gelenkköpfe der Stacheln sind von entsprechenden knöchernen Hohlkörpern umschlossen, so daß bei den Bewegungen des Stachels Einklemmungen entstehen, wenn der Stachel nicht genau in seiner Drehebene geführt wird. Der Fisch kann die Reibungswiderstände, welche mit diesen Einklemmungen einhergehen, beliebig steigern, wenn er den Stachel feststellen will, und abschwächen zum Niederlegen des Stachels. Am getöteten Fische ist man imstande, diese Reibungswiderstände willkürlich hervorzurufen und zugleich Reibungsgeräusche zu erzeugen, die weithin hörbar sind und an das Zirpen der Heuschrecken erinnern.

Wir sehen also, daß die Gliedmaßen der Fische auch als Lautorgane dienen können. Von mehreren zuverlässigen Forschern wird sogar angegeben, daß zahlreiche Fische durch Erzeugung von Lauten sich miteinander verständigen können. Der Däne Sörensen bezeichnet diese Laute geradezu als „Signale der Fische“ untereinander. Wie der Gesang der Vögel zur Zeit ihrer Werbung lauter ertönt als sonst, so sollen auch die Fische zur Laichzeit ganz außergewöhnlich laut mit ihren Stacheln knarren. Sie prangen dann in den grellsten Farben. Der Zoologe sagt: Sie ziehen ihr „Hochzeitskleid“ an. Ich erinnere hier nur an die im Mai und Juni sehr auffallend gefärbten Männchen unserer Stichlinge, welche bei den Straßenjungen den schönen Namen „Könige der Stichlinge“ führen. Auch die Kampfsucht der Fische ist zur Laichzeit im höchsten Grade gesteigert. Wütend fahren sie mit ihren Zähnen und Stacheln aufeinander los.

Daher gilt auch von den Gliedmaßen der Fische, was ein englischer Forscher von den Insekten sagt: „Ihre Gliedmaßen zeigen Bildungen, welche ein Männchen befähigen, das andere beim Werben zu besiegen, durch seine Kraft, Kampfsucht, Zieraten oder Musik! Als Zieraten dienen den Fischen bei der Werbung nicht bloß ihre Färbungen, sondern auch gewisse fadenförmige und gelappte Anhänge der Flossen, die nach einigen Forschern bei vielen Männchen mehr ausgebildet sind als bei den Weibchen. Diese höchst seltsamen Flossenbildungen sind an unseren einheimischen Fischen kaum wahrnehmbar. Ein Blick jedoch in Brehms „Tierleben“ oder auf jene Abbildungen der Tiefsee-Fische, welche man ja häufig in volkstümlichen Werken findet, zeigen die abenteuerlichsten Formen derselben.

Die Fische können also mit ihren Flossen schwimmen, kriechen, stehen, weite Wanderungen zu Lande unternehmen, laufen, auf Bäume klettern, fliegen und dauernd sich „mit klammernden Organen“ an den verschiedensten Gegenständen halten. Sie können mit ihren todbringenden Stacheln selbst größere Feinde fernhalten. Sie können aber auch an ihren Stacheln das Strenge mit dem Zarten vereinen. Sie entlocken ihnen zarte bestrickende Laute, mit denen sie knarrend die Gunst ihrer Weibchen erwerben, denn diese fächeln ihnen sanft zu mit den fächerartigen Anhängen ihrer Flossen.

Gewiß! Nicht viele Tiere besitzen Gliedmaßen, die mit so reichen Gaben ausgestattet sind.

  1. Diese Nachbildungen sind käuflich in Handlungen für Lehrmittel zu einem geringen Preise. – Näheres über meine Forschungen siehe. „Dr. med. O. Thilo. Die Umbildungen an den Gliedmaßen der Fische.“ Leipzig, Engelmann 1896.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 595. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_595.jpg&oldid=- (Version vom 8.7.2023)