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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Er stand langsam auf.

„Jetzt bin ich unliebenswürdig, während ich nur deinen Wünschen in meinem Betragen entsprochen habe.“ Und auf ihren erstaunten Blick antwortend. „Du hast ja vorhin gethan, als ob du mindestens von einem Gorilla überfallen worden wärest. – Na, ich gehe. Erhole dich in den paar Stunden.

Vielleicht bist du bis heute mittag menschlicher gegen mich gesinnt.“

Hanna war gleichfalls aufgestanden und näherte sich ihm. „Du kannst doch nicht im Ernst verstimmt sein, Ludwig?“ fragte sie etwas ängstlich.

„Ich bin überhaupt nie verstimmt. Willst du dir das gütigst merken. Ich bin der verträglichste, gleichmäßigste, sanftmütigste Mensch in Europa. Aber Weiberchenlaunen natürlich, die machen auch schließlich einen Eichenstamm nervös.“

Hanna drückte die Lippen zusammen. „Nun, so ist ja alles in Ordnung,“ sagte sie dann aber freundlich. „Weiberchenlaunen wollen wir nicht haben. Und ihm freiwillig den Mund hinhaltend, die Hände auf seinen Schultern, sagte sie heiter.

„Adieu, Gorilla!“

Er betrachtete einen Augenblick diese zartblühenden, etwas bläßlichen Lippen, es lief nun ein hellerer Schein über sein kaltgewordenes Gesicht.

„Hexe,“ murmelte er ganz leise, „entzückende Hexe!“ Mit einem Griff in ihren Nacken, in die weichen Zöpfe, drückte er sie heran und küßte sie auf den Mund, der nun tapfer stillhielt, ohne zu zucken, so angst ihm bei diesem langen Kuß auch wurde.

„Entzückende Hexe,“ wiederholte er, sie anlächelnd und ihren Kopf an seine Schulter drückend. Er faßte dann ihr Handgelenk und streifte langsam an ihrem Arm aufwärtsgleitend, den weiten Aermel zurück bis über den Ellbogen. Sie errötete, ließ ihn aber gewähren.

„Dein Arm gefällt mir,“ sagte er. „Gerade, daß er noch so schlank ist. Und wie weiß gegen meine braune Pfote. Sieh!“

„Deine ganze Tochter gefällt mir, Mama,“ sagte er, sich über die Achsel zu Frau Wasenius wendend, die zum zweitem mal aufmerksam ihren Brief zu lesen begonnen hatte. „Sie ist zwar manchmal noch ein heilloses kleines Schaf, aber ich kann sie trotzdem gut leiden. – Von wem ist denn der Liebesbrief, den du so zärtlich studierst?“

„Von Günther. Er meldet sich von seiner kleinen Ferientour zurück und fragt an, ob Hanna im August, wenn die Proben wieder anfangen, auch in Berlin ist, um mitzusingen.“

„Natürlich,“ rief Hanna lebhaft, „ich freue mich schon darauf.“

Ein zweiter Gedanke, der unmittelbar folgte, schien sie dann zu erschrecken, sie brach ab und schwieg.

„Darüber brauchen wir uns ja jetzt noch nicht zu entscheiden,“ wendete Ludwig mit unbehaglicher Miene ein. „Mir ist diese ganze Singerei – na, das findet sich. Jetzt hör’ mal zu, mein Schatz. Erstens gehen wir heute nachmittag in die Kunstausstellung. Da sind von diesem Orientmaler ein paar famose Dinger. Wie heißt er? Kuhnert. Du sollst entscheiden, ob wir uns die Elefantensache kaufen oder die Zebraherde. Ferner, sage der Köchin – merkst du wohl, wie ich mich unter deinen Pantoffel schmiege? – sage der Person, sie soll mir zu morgen früh – zu dem bewußten Beefsteak – Ravigotbutter machen, aber nach dem Rezept, das ich ihr aus Paris mitgebracht habe. Verstanden? Na gut! – Und nun komm, begleite mich noch bis zur Thür. Adieu, Mama!“

15.

Gewiß, sie hatte ihn gern. Sie war ihm wirklich zugethan. Es war so auch nicht so schwer, ihn liebzugewinnen, mit der Dankbarkeit als Bundesgenossen. Und angesichts der Güte, mit der er für die Mutter sorgte, ohne viel Wesens davon zu machen, was durften da die kleinen Trübungen, die Meinungsverschiedenheiten, deren das enge Zusammenleben in diesen Wochen schon einige gezeitigt hatte, bedeuten? Mit etwas gutem Willen von ihrer Seite waren sie ja auch leicht zu lösen gewesen! Eine und die andere Schrulle konnte man ihm wohl nachsehen, dem Wohlthäter! Nicht anders als mit dankbarer Freude durfte sie ihm entgegenkommen und an ihn denken. Am deutlichsten empfand sie das, wenn sie ihn nicht sah, wenn er für einige Stunden das Haus verlassen hatte, wenn sie sich seinen plumpen Zärtlichkeiten nicht ausgesetzt fühlte, die sie beim besten Willen nicht erwidern konnte. Die Glückseligkeit über das behagliche Leben in schöner Umgebung, das die Mutter jetzt führte, nahm sie dann jedesmal wieder ganz gefangen. Mit gerührter Freude sah sie auch stets von neuem auf die Fülle von Herrlichkeiten, mit denen seine verschwenderische Freigebigkeit sie überschüttete, betrachtete mit noch nicht überwundenem Staunen die Pracht, die sie umgab. Aus kümmerlicher Armut, die näher und näher rückende Not vor Augen, war sie plötzlich in das Zauberreich des Ueberflusses versetzt worden. Und der Beherrscher dieses Zauberreiches betete sie an. Mußte sie nicht glücklich sein? Gewiß, sie wollte ja auch. Sie hatte den besten Willen dazu. Aber sie mußte sich vor dem Alleinsein hüten! Es that ihr nicht gut! Es that ihr schweren Schaden! Denn in solchen Stunden der Einsamkeit ergossen sich über den künstlichen Frieden ihres Gemüts in breiten, schweren Wellen Orgelklänge daher, die sie wohl mahnen wollten mit ihrem Ruf. Sei getreu! – und die doch ihrer eigenen Mahnung zum Trotz das Schmerzensgesicht des verlorenen Freundes mitbrachten, wie es abschiednehmend und erbleichend in der sonndurchleuchteten Kirche vor ihr gestanden hatte.

Nein, sie durfte nicht allein sein!

Sie wollte ja auch nicht! Wie alle Tage nach der Verabschiedung von ihrem Mann eilte sie, zur Mutter zurückzukommen.

In keinem der prachtvollen Räume, die ihr in dem weitläufigen Hause zur Verfügung standen, fühlte sie sich so von Herzen gemütlich wie in den Zimmern der Mutter. Selbst in ihrem wirklich reizenden „Boudoir“ hatte sie noch keine Stunde hintereinander zugebracht. Freilich lag es im ersten Stock, entfernt von der Mutter, unerreichbar für sie, die unten wohnen mußte, um Terrasse und Garten mühelos benutzen zu können. Ihre beiden Zimmer, mit einem Schlafstübchen für Bertha daneben, waren den Gesellschaftsräumen abgewonnen worden, die, besonders jetzt, mit ihren geschlossenen Fensterläden, ihrer in Dämmer ruhenden Pracht, wie ein schlafender Ocean die lichte, warme Koralleninsel der Gemütlichkeit bespülten.

Aufatmend und schon wieder lächelnd trat Hanna aus der etwas dumpfen Kühle des grauen Salons – so genannt nach seiner stahlgrauen, mit reichen Silberornamenten geschmückten Ausstattung in das von der duftigen Sommerluft durchwärmte Terrassenzimmer, in dem das vielfältige Gezwitscher ihrer Vögel aus dem großen Käfig her sie anjubelte, in dem trotz aller wohlhäbigen Eleganz der Einrichtung mit dem dicken roten Plüschteppich, den schweren, persisch bunten Polstermöbeln, den schönen Kupferstichen an den Wänden, dem mächtigen Spiegel am Pfeiler, dort aus der Ecke her das alte Klavier, vom Fenster her ihr kleiner Schreibtisch und von der anderen Seite ihr Bücherschrank sie grüßte. Ludwig hatte dafür gestimmt, den ganzen „alten Krempel“, da ihn die Mutter ja durchaus nicht haben wollte, auf dem Speicher zu verstauen. Aber die Frauen hatten es doch durchgesetzt, daß die liebsten von ihren Sachen weiter im Gebrauch blieben, und es that ihnen nicht weh, daß der Hausherr naserümpfend die stillose und zusammengewürfelte Ausstattung dieser Wohnstube bekrittelte.

Nachdem sie ihre Vögel versorgt hatte, trat Hanna erst noch in das Schlafzimmer, in dem Bertha aufräumte, und überzeugte sich, wie alle Morgen, daß das Bett – ein herrliches, neues, bequemes Bett – ordentlich gemacht sei. Das Mädchen durfte die große Decke nicht eher überspreiten, als bis die „gnädige Frau“ Bertha schwelgte in diesem schönen, neuen Titel – gesehen hatte, daß das Leintuch faltenlos glatt gespannt liege und daß die Kissen durchgeschüttelt und vom Sonnen frisch aufgequollen seien.

Nachdem ihr dann Bertha noch einmal – sie selber durfte ja diesen Schlaf nicht mehr bewachen! – von der herrlichen Nacht berichtet hatte und daß die Frau Doktor wie ein Engel so ruhig geschlummert habe, nahm sie ihre Handarbeit und setzte sich zur Mutter hinaus.

Für die nächsten paar Stunden wieder Hanna Wasenius! Der Frühstückstisch war mittlerweile schon abgeräumt worden. Nur die Vase mit den Rosen stand noch mitten auf der bunten, gestickten Decke, mit der das Tischtuch vertauscht worden

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 616. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_616.jpg&oldid=- (Version vom 22.12.2016)