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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Wofür ich ihn halte? – Ach, Vater, wie fragst du nur. Für das, was er ist, für den besten, liebenswürdigsten, edelsten Menschen auf der Welt!“

„Und für den begabtesten –“

„Ja,“ sagte sie mit einem rührend ernsten Nicken. „Er kann alles, Vater. Die andern, die können dies oder das, er kann alles, Vater. – Es trieb sie von ihrem Stuhl in die Höhe: „Ach, und sein Herz –!“

„Bitte, bleib sitzen, Kind!“ unterbrach er sie. In träumerischem Gehorsam sank sie wieder hin. „Ich weiß,“ fuhr Rutenberg fort. „Er kann allerlei, so von allem etwas. Er tanzt gut, sehr gut. Er spielt Klavier. Er hat einen hübschen Tenor –“

Gertrud schüttelte den Kopf. „Bariton.

„Bariton, richtig. Er schneidet aus schwarzem Papier Silhouetten aus. Er singt Lieder in allen möglichen Sprachen.“ Er malt etwas. Er macht sogar Verse, wie ich heut’ erlebt habe –“

Sie nickte und lächelte dankbar.

„Er kleidet sich elegant,“ fuhr der Vater fort. „Er spricht so fließend wie ein Parlamentsredner, dieser junge Mensch … Du siehst, ich weiß alles. Wenn ich dir nun dennoch sage meine liebe Gertrud, schlag dir den aus dem Sinn, der ist kein Mann für dich –“

„Vater!“ rief sie ganz erschrocken und stand wieder auf.

Diesmal drückte er sie aber mit sanfter Hand auf ihren Stuhl am Spieltisch nieder. „Bitte, bleib sitzen, Kind! – Muß mich selber setzen; bei mir kommt alles nachträglich“ … So auch dieser Schreck! dachte er, sagte es aber nicht. „Sieh mich an!“ sagte er dann weich, nachdem er seinen Sessel näher gerückt hatte. „Wir haben uns ja immer gut verstanden, meine kleine Gertrud. Ein unvernünftiger, strenger Vater bin ich nie gewesen, was?“

Sie schüttelte wieder die Löckchen aber eine Unruhe, eine Bangigkeit flog über ihr Gesicht, das die Rosen auf den Wangen weggegeben hatte.

„Hab’ mich immer hineingedacht in das kleine Köpfchen, in das Mädchenherz. Na, und zuletzt wurden wir immer einig. Vater Rutenberg, der ältere, hat recht! – Also wenn ich mich nun heut’ in Ruhe fasse – du siehst, wie wunderbar ruhig ich jetzt bin – und zu meinem Mädel sage. Kind, du bist gut – bist klug – aber um zu wissen wer der Rechte ist, bist du noch zu jung, glaub’ dem erfahrenen, alten Rutenberg, der die Männer kennt, der ist nicht der Rechte! – dann wird meine liebe Gertrud –“

„Nein“ sagte sie, ebenso ruhig wie er, und stand zum drittenmal auf. Nein? „Nein“ wiederholte sie. Mit einem süßen, altklugen Lächeln setzte sie hinzu. „Verzeih', das verstehst du nicht. Lieber, guter Vater.-“

„Das versteh’ ich nicht?“

„Ach!“ seufzte sie. „du quälst mich. Ach, du weißt es nicht! – Ich hab’ ja mein Herz geprüft, lieber, guter Vater und die Stimme in meinem Herzen sagt es mir, und die lügt nicht, Vater. Ja, das ist der Mann, der für mich geschaffen ist, nie kann ich einen andern lieben als ihn, und ich werd’ ihn lieben und an ihm hängen bis an meinen Tod!“

Nun erhob sich Rutenberg auch, mit seiner Ruhe und Fassung war’s aus. Er riß den Frack vorne auf, er hatte ihn zugeknöpft; er fing wieder an, durchs Zimmer zu laufen, die verwünschten Spieltische standen ihm im Wege, gegen den dritten rannte er an, und einen Augenblick hob sich seine Faust, um ihn umzustoßen. Die ist ja wirklich toll, dachte er. Und sie macht mich toll. Ah! Da soll doch gleich –

Er war wieder bei den Spielkarten, die er vorhin ausgebreitet und dann zusammengeschoben hatte; mit einem jähzornigen Griff packte er sie und wollte sie auf die Erde werfen. Er hielt sie dann aber doch noch fest. Nein! sagte er zu sich, so toll bin ich doch noch nicht! – Dann wär’ ich ja wie das Kind, und wär’ nicht der Vater. Wenn das Schilcher gesehen hätte! Wie würd’ der mich auslachen. Wenn so ein Kind Dummheiten macht, dafür ist sie ja doch das Kind! – Rasch, nach seiner Art, hatte er wieder sein altes, freundliches, liebevolles Vatergesicht, legte noch ein gutes Lächeln hinein, da er seine Trudel so bleich und beklommen da stehen sah, und kam gemütlich langsam zu ihr zurück. „Schau,“ sagte er, sie anlächelnd. „Das Kind spricht ja wie ein Buch. Fließend, und resolut – resolut wie immer, – als Vater Rutenbergs Kind. – Wenn ich nun wär wie die andern Väter, so würd’ ich dem Kind eine Scene machen. Trotzkopf! Keckes Ding! Ich weiß es besser und ich sag’ Nein und dabei bleibt’s! Punktum! – Aber nein, so bin ich nicht. So ein Mädchenherz, und so ’ne junge Liebe, sind ’ne ernste Sache… Ich kenn’ meine Trudel ja. Die ist ja nun kein Kind mehr, dem kleinen Herzen, dem sind Flügel gewachsen – die bekannten Flügel, die uns geradeswegs in den siebenten Himmel tragen – na ja, und weil es ein edles, feines, schwärmerisches Herz ist, darum sieht es auch mit verklärten Augen in die Welt, sieht nichts als lauter Himmel um sich her, und fühlt nichts als hohe, heilige Gefühle. Und darum denkt es dann: Hab’ ich nicht recht? – Wir andern, wir alten Leute, kriechen unten auf der Erde, Gertruds Herz schwebt oben, in einem schönen, goldenen Sonnendunst; durch den sieht es einen himmlischen Adonis, einen holden, idealen, vollkommenen Jüngling sein Name ist Arthur van Wyttenbach …“

Vater Rutenberg hielt inne. Sein gutes Gesicht, seine herzliche Stimme hatten dem geängstigten Mädchen wieder Mut gemacht; sie schob sich leise heran, die liebe Gestalt lehnte sich an ihn. „Ach! Vater!“ sagte sie, mit einem Arm unbewußt über seinen Rücken streichend. „Ich seh’ ihn so, wie er ist – und ich muß ihn lieben!“

„Na ja!“ entgegnete Rutenberg lächelnd, dem ihre Hand im Rücken so wohl that, er streichelte ihr dagegen das Haar und die Stirn. „Du mußt ihn lieben das ist nun einmal so; natürlich. Also gut, der Vater giebt nach, und wir heiraten ihn! Und nun kommen wir dann so allmählich aus dem Sonnendunst und Aetherduft etwas mehr nach unten – immer etwas tiefer – bis pur ganz unten auf der alten Erde und, in der Wirklichkeit. Da wird dann aus dem idealen Jüngling Arthur van Wyttenbach ein netter, alter junger Mann, der noch manchmal abends aus schwarzem Papier Silhouetten schneidet, der gut ißt und trinkt, alles praktisch einrichtet, alles ruhig und nüchtern’ ansieht, über alles reden kann, ohne was zu sagen der sein ‚kleines Frauchen’ auslacht, weil sie noch immer so eine ‚komische Idealistin’ ist und endlich das ‚kleine Frauchen’ durch seine Suada aus der Thür hinauslangweilt … Und dann kommt sie zum Vater: Lieber guter Vater, laß uns wieder scheiden sonst sterb’ ich!“

Gertrud hatte ihren Arm von ihm sinken lassen, war zurückgetreten; die großen, hellbläulichen Augen sahen ihn wie in starrem Entsetzen an. „Vater!“ stammelte sie. „Ich bitte, scherz’ nicht so mit mir. Ich versteh’ dich nicht. Ist das – – ist das deine wirkliche Meinung von ihm?“

„Ja, mein Kind, so wahr ich lebe, das ist meine Meinung!“

„O mein Gott!“ stieß sie jetzt schwach heraus. „O mein Gott!“ – Ihre Augen wurden wie leblos, schlossen sich halb, sie drohte umzusinken. „Und ich,“ sagte sie mit fast vergehenden aber doch noch trotzender Stimme, „nie, nie, nie werd’ ich von ihm lassen …“

Damit sank sie auf einen Stuhl.

„Gertrud!“ rief Rutenberg aus und trat hinzu; er fürchtete, sie werde sogleich wie ein geknicktes Pflänzchen auf die Erde fallen. Doch als sein gesundes, starkes Mädel kam sie wieder zu sich, sie öffnete die Augen – sowie sie aber den Vater sah, schlug sie sich beide Hände vors Gesicht. Fast hätte er dasselbe gethan ihm war ganz so zu Mute. Also nie, nie, nie, dachte er, wird sie von ihm lassen von dem Bengel da, dem Süßholz, dem „Hansquast“. Meine Tochter … Heiliger, großer Gott!“ – Er war außer sich, er warf die Karten, die er in der Hand hatte, alle auf den Boden hin.

Gertrud fuhr zusammen. „Was hast du?“ sagte sie, die Hände von den Augen nehmend.

„O, nichts,“ antwortete er. „Ich werfe nur die Karten auf die Erde!“

(Fortsetzung folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 691. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_691.jpg&oldid=- (Version vom 2.12.2021)