Seite:Die Gartenlaube (1897) 787.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

dem Hut gegrüßt hatte, ging er mit großen Schritten davon, hinter den Männern her.

Gertrud lächelte bitter, so lange sie ihn mit den Augen verfolgte. „Na, und Sie?“ fragte sie dann, den Kopf auf die Seite wendend.

Fritz stand auf, ohne zu antworten.

„Wohin?“ fragte sie.

„Fliehen nicht!“ erwiderte er mit einem sonderbaren Lächeln. „Vor dem Berg da nicht!“

„Sie haben keine Furcht?“

„Nein. – Im Gegenteil.“

Er murmelte das nur und brach ab.

„Sie glauben, es ist keine Gefahr? – Wenn wir hier nun aber wirklich zu Grunde gingen – alle miteinander –“

„Das wär’ es ja, was ich mir wünschte, mein Fräulein,“ fiel er ihr ins Wort, wieder mit so einem sonderbaren, ernsthaften Lächeln. „Ich mit Ihnen …“

„Warum?“ fragte sie, da sie plötzlich etwas durchflog, und sah ihn mit großen Augen an.

Ihr erregtes, holdes Gesicht, ihr Blick riß ihn hin. „Warum? – Weil es für mich die einzige Möglichkeit wäre, mit Ihnen vereint zu werden, und weil ich – –“

Mit einer zornigen Bewegung, aber wie gegen sich selbst unterbrach er sich. „Adieu!“ stieß er nur noch heraus. Nach einer Art von Verbeugung ging er. Plötzlich war er fort. Hinter den Oelbäumen und den Mandarinen sah sie ihn verschwinden.

„O Gott!“ dachte sie, regungslos auf ihrem Platz. Was hat er? Was will er? – „Mit Ihnen vereint zu werden“ … „Und weil ich“ – – Was wollt’ er noch sagen? – Mit den schwermütigen Augen sah er, wie durch mich hindurch – daß mir bange wurde … Und nun will er fort! fiel ihr auf einmal aufs Herz. – Sie stand auf. Sie mochte nicht mehr denken. Ihr war so wirr und wunderlich zu Mut, wie noch nie im Leben und sie hatte doch schon viel erlebt! Sie fühlte nur – ach, nicht ungern – daß ihr etwas Schweres, Trauriges, Süßes auf der Seele lag. So stand sie noch da, wer weiß wie lange …

29.

Schilcher ging durch den Speisesaal, wo die Whistbrüder aus der Heimat sich eben setzten, um auf Rutenbergs Verlangen einen kleinen Imbiß zu nehmen. Ihm fiel ein, daß er seine Serviette noch in der Tasche hatte; er zog sie heraus, winkte damit dem Pepino, dem jungen, krausköpfigen Kellner, und legte sie auf den Tisch. In diesem Augenblick hörte er draußen, im kleinen Garten bei dem Hause, Herrn van Wyttenbachs Stimme nach Pasquale rufen. Es wiederholte sich bald, mehrmals. Es klang so verlangend, so aufgeregt, daß eine spitzbübische Heiterkeit über Schilcher kam, die ihn schüttelte. Na, na! dachte er. Am Ende hat Rutenberg recht, und es hat genügend gewirkt! Es hört sich so an, als wollte der Adonis seine langen Beine unter die Arme nehmen!

„Pasquale!“ rief der Jüngling wieder. In Schilcher ging etwas vor, als hätte der Ruf ihm gegolten und einen Gedanken in ihm geweckt, einen Gedanken, den er in aller Eile beguckte; er gefiel ihm, er schien ihm gut. Heimlich, während die andern mit dem Kellner verhandelten, schlüpfte er aus der Thür, ins Vorzimmer, wo er beim Eintreten Pasquale gesehen hatte. Da stand auch der schwarzbärtige Schelm noch, wohl auf Gäste wartend, die er zu Meerfahrten bereden konnte. „Pasquale!“ sagte Schilcher mit vorsichtig schwacher Stimme und nahm seinen Vertrauten am Arm.

Eccomi!“ entgegnete Pasquale. Schilcher führte ihn sacht in eine Ecke, vom Gartenfenster hinweg.

„Ich hab' eben Herrn van Wyttenbach – den Seekranken mein’ ich – nach Ihnen rufen hören –“

Jetzt rief Arthur wieder. „Ja, ja!“ sagte der Schiffer. „Ich hör’ ihn. Ruft meinen Namen. Erlauben Excellenza, ich will zu ihm gehn.“

„Gehn Sie etwas später, Pasquale! Und thun Sie als mein Amigo das, was ich Ihnen sage, ich drücke Ihnen dafür nachher einen harten Dank in die Hand!“ – Pasquale lächelte, nickte. – „Wenn dieser junge Seefahrer, wie ich vermute, mit Ihnen davongehn will, Sie als Führer nehmen – diesmal nicht aufs Wasser, sondern in die Berge – so führen Sie ihn gefälligst an der tiefen Schlucht entlang, dann, bei der nächsten Biegung, nach links – und zwischen diesen verwünschten hohen Gartenmauern, wo kein vernünftiger Mensch weiß, wohin er kommt, führen Sie ihn im Bogen zurück, bis Sie wieder hier sind!“

Pasquale stutzte, seine schwarzen Augen fragten: geht das? darf ich das?

„Es ist Ihr Schade nicht,“ antwortete Schilcher trocken auf diese Frage. „Und sein Schade auch nicht, edler Mann, seien Sie ganz ruhig. Ein paar lustige Spaßvögel, che fanno una buria, haben ihm eingeredet, der Vesuv wird ausbrechen und Sorrent verschütten, er wird aber nicht ausbrechen – und Sie werden den Spaß nicht verderben, denk' ich, Sie durchtriebener Spitzbube!

Der Italiener lachte mit dem ganzen Gesicht.

„Pasquale! Wo sind Sie? Wo sind Sie?“ rief es draußen wieder.

„Sie haben verstanden?“ raunte Schilcher.

Pasquale nickte. „Excellenza kennt mich. – Für Excellenza alles, verlassen Sie sich auf mich!“

Schilcher schob ihn gegen die Thür; er ging hinaus. Als er in den Hausgarten kam, sah er Arthur unter einem Orangenbaum stehn, einen Mantel über den Arm geworfen, es war wenig Farbe in seinem Gesicht. „In des Teufels Namen,“ fuhr Arthur ihn an, „wo haben Sie sich versteckt? Wenn man euch nicht braucht, zieht ihr einen fast am Arm in die Barke oder in die Kutsche, und wenn man euch haben will, starrt ihr in eurem dolce far niente blind und taub in die Luft!“

Etwas beleidigt hob Pasquale den Kopf. „Der signor tedesco ist ein wenig hart gegen uns arme Marinai. Ich bin unschuldig, Herr. Ich suchte den Padrone: warum? Weil ich den Vesuv angesehen habe, da sind böse Zeichen. Es ist zu fürchten eine große Ausbruch – mir scheint –“

Arthur faßte ihn an einem Knopf seiner Sammetjacke. „Bemerken Sie das auch schon? Sie?“

„O, da ist nicht zu spaßen,“ entgegnete der Schiffer, an dem alle Gliedmaßen lebendig wurden und jedes seiner Worte zu malen suchten, besser noch als Lugau. „Wird sich machen eine höllische Eruption – Ausbruch – hoch, hoch in die Luft – dann durch den ganzen Himmel, weit, lang – und dann – o, herunter. Wird großen Unglück machen –“

„Eben darum will ich fort! Darum ruf' ich mir ja die Kehle aus dem Halse. Sie sollen mich dahin führen, wo es am sichersten ist, auf die andern, die ,Philosophen' werde ich nicht warten! Dann nehmen wir dort Quartier – Wohnung – – und Sie holen die andern nach!“

„Hole die andern, ich verstehe. Also nach Tirmini hinaus, wenn Ihnen ist angenehm –“

„Mir ist alles angenehm, wo mir nichts geschieht. Also nach Tirmini! Fort!“

Er riß seine Brieftasche heraus, um ein paar Worte für Gertrud zu schreiben um ihr zu sagen der Undankbaren wie er die Sache in die Hand nehme, was er für sie thue. Während er hastig mit seinem Bleistift schrieb, schien Pasquale nachzudenken. Arthur blickte einmal auf und staunte über das tiefversonnene Gesicht. „Da ist noch die Frage,“ sagte der Schiffer dann, „ob Sie wollen fahren. Rate nicht, zu fahren;“ er unterstützte seine Worte wieder durch Gebärden, „denn wenn ein Stoß kommt – di terra – Erdstoß – was thut der Wagen? Fällt um. Und fällt über den Signor –“

„Fassen Sie mich nicht an,“ rief Arthur, der zusammenfuhr, „das macht mich nervös. Ihr Süditaliener habt alle eine Lebhaftigkeit –!“

„Also gut,“ sagte Pasquale, sich durch eine Bewegung entschuldigend. „Andiamo! Gehn wir!“

„Ja freilich. Vorwärts!“

Pasquale ging schon, der Schurke blieb aber noch einmal stehn: „Wenn Sie nicht wollen nach Capri, in der Barke“ – „Hole der Teufel Ihre Barke und Capri! Zu Fuß will ich gehn und nach Tirmini. Nur erst noch diesen Zettel – lettera – an den Kellner geben …“

„Bitte, das besorg' ich. Coragio. junger Herr. In einer Stunde oder nicht viel mehr sind Sie in Tirmini, und weit, weit vom Vesuv!“

(Schluß folgt.)
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 787. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_787.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)