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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

hatte, umsichtig wie immer, von Hannas Zimmer aus durch das Haustelephon in der Küche die Zubereitung der Wärmflasche bestellt und sie schon im Aufzug vorgefunden, als er aus dem Anrichteraum, wo er den beiden Mädchen Anweisungen gegeben hatte, in den oberen Stock zurückgekehrt war.

„Die Herrschaften essen?“ fragte Hanna ihn leise, nachdem er seinen Herrn besorgt hatte.

„Die Herrschaften essen und sind sehr munter. Auf halb Fünf haben Frau Bankdirektor den Wagen bestellt, um Besorgungen zu machen. Auf Sechs den Thee. Wegen dem Theater lassen Frau Bankdirektor fragen, ob die gnädige Frau – –“

„Selbstverständlich bleibe ich zu Hause. Ich lasse die Herrschaften bitten, sich heute gar nicht um mich zu kümmern. Vielleicht ist der Herr morgen wieder gesund.“

Ein dumpfer Laut des Kranken rief sie an sein Bett.

„Quatsche nicht so endlos. Schick’ den Kerl raus.“

„Er ist schon fort“ beruhigte Hanna mit einem Wink nach dem Diener, der im nächsten Augenblick die Thür von draußen schloß.

„Das fehlte gerade noch, daß du dich amüsieren gingest, während ich hier krank liege,“ fuhr Ludwig fort. Er hatte die Augen geöffnet, in dem ungewohnt bleichen Gesicht glühten sie tiefer als sonst. Böse sah er sie an.

„Eben, das find' ich auch,“ entgegnete Hanna ruhig, mit einem leichten Lächeln. „Selmas Anfrage ist ziemlich naiv.“

„Naiv!“ er ruckte ungeduldig mit dem Kopf. „Ich hätte nur nicht dabei gewesen sein sollen als sie anfragen ließ – – rutsch, hättest du dich gedrückt, aber schleunigst, auf französisch. Kenn’ euch doch, ihr Weiber, vergnügungssüchtige.“

„Reg’ dich nicht auf, Ludwig,“ bat Hanna, sich über ihn beugend.

„Ich rege mich nicht auf. Du regst mich auf.“

„So soll ich dich lieber allein lassen?“

„Nein, hier bleibst du und widersprichst mir nicht in einem fort. – Setz’ dich, steh’ nicht so über mir wie eine Gewitterwolke, das ängstigt mich. Nicht da auf den Stuhl, da kann ich dich nicht ordentlich sehen. Hierher, auf den Bettrand.“

Mit unklarer, wankender Stimme hatte er immer schneller gesprochen. Jetzt drückte er das Gesicht wieder in die Kissen. „Verfluchte Welt!“ stöhnte er.

Der Frost schien überstanden zu sein, das schüttelnde Zittern wenigstens ließ nach, hörte endlich ganz auf. Eine Weile blieb es still im Zimmer, bis auf die tiefen, lauten Atemzüge des Kranken.

„Wie fühlst du dich?“ fragte Hanna ängstlich nach dieser langen Pause, mit einem Blick in sein Gesicht, das unruhig, gequält aussah, bleich, aber nicht mehr von der ersten, grünlichen Blässe.

„Scheußlich. Gemein Zerschlagen. Als wenn ich vom Kirchturm heruntergefallen wäre und mir alle Glieder gebrochen hätte.“

„Aber das Frieren ist doch vorbei?“

„Natürlich ist es vorbei. Das siehst du doch. Warm wird mir jetzt. Geradezu heiß. Nimm das glühende Scheusal da heraus, man verbrennt sich ja daran. Vor die Thür damit, ich will es nicht mehr im Zimmer haben, es glüht mich von da drüben her noch an! Setz’ dich wieder. Sachte! Wenn das Bett sich rührt, spür’ ich es in allen Gelenken. Was drückt mich da im Rücken? Teufel, ich kann ja kaum die Arme heben. Deine verdammte Pelzdecke ist es. Einen förmlichen dicken Klumpen hast du da hingestopft. Ungeschickt!“

„Wart’, wart’, ich mach' es besser; lieg' still, ich schiebe sie dir ganz sacht darunter. So?“

„Nichts! Nimm sie ganz weg, sie ist zu schwer, sie liegt mir ja wie ein Berg auf der Brust. Ueberhaupt Pelz, dies Gefühl auf der Haut! Brand!“

Als Meinhardt kam, war das Fieber schon sehr stark. Das Thermometer zeigte 39 und 8. Die Untersuchung dauerte nicht lange.

„Influenza, und zwar gehörig,“ sagte der alte Herr nachdem er sich mit Hanna in das anstoßende Zimmer zurückgezogen hatte. „Gliederweh und Kopfschmerz werden noch zunehmen. Wir wollen ihm Antipyrin geben.“

„Er klagt doch auch über Schmerzen in der Brust“

„Was er so nennt, ist vorläufig nur die starke Empfindlichkeit am Schwertfortsatz, eines der entscheidenden Merkmale der Influenza. Auch das wird das Antipyrin hoffentlich mildern. Leider darf ich die Dosis seiner dummen Herzgeschichte wegen nicht so kräftig geben, wie ich möchte.“

„Er leidet sehr, nicht wahr? Hören Sie, wie er stöhnt!“

„Er leidet, ja und ganz tüchtig. Stöhnen thun wir Männer nun zwar bald, eher als ihr zarten Frauen. Aber immerhin – die Influenza ist wirklich ein niederträchtiger Tückebold, packt an allen Enden zugleich an.“

„Ist Ludwigs Zustand gefährlich, Doktor? „Für den Augenblick nicht. Aber freilich auch nicht gleichgültig. Sehr quälend und unangenehm ist er jedenfalls. Das starke Fieber und die dazugehörigen Teufeleien werfen sich auf so eine Kraftnatur mit besonderer Vehemenz. Für die nächsten Tage wappnen Sie sich nur mit Geduld, meine liebe, gnädige Frau.“

„An meiner Geduld soll es schon nicht fehlen. Wenn ich nur nicht auch gleichzeitig noch das ganze Haus voll Besuch hätte. Vor acht Tagen erst sind sie gekommen – unsere Breslauer – und sechs Wochen ungefähr wollten sie bleiben.“

„Das ist fatal. Sie müssen sie hinausgraulen!“

„Wie kann ich das?“

„Einfach. Sie erzählen ihnen, daß Ihr Mann Influenza hat – und Sie werden sehen, wie geschwind die Leutchen Fersengeld geben.“

„Das bezweifle ich. Die Schwester wird den Bruder pflegen helfen wollen. Sie hat zwar erst gespottet, daß er sich anstelle, aber wenn sie hört, daß es ernst ist –“

„Macht sie sich mit Kind und Kegel aus dem Staube, verlassen Sie sich darauf.“

„Nicht so fest, lieber Doktor. Selma hat den Bruder gern, wenn sie sich auch oft streiten, das liegt so in der Natur der Thomasse. Ich werde noch Not haben, meinen Platz zu behaupten.“

„Warten wir es nur ab. – Ich komme abends natürlich noch heran. Jetzt haben wir – wieviel? – gleich Sechs. Um Sieben Temperatur messen, ja? Antipyrin also vorläufig ein Gramm. Machen Sie ihm kalte Kompressen auf die Stirn. Verträgt er einen Eisbeutel – geben Sie ihn ihm. Hat er Durst – leichte Citronenlimonade. Essen wird er nicht wollen. Nun sag' ich ihm Adieu, er möchte es übelnehmen, wenn ich hinten herum davonginge.“

Meinhardts Prophezeiung traf pünktlich ein.

„Influenza?“ rief Frau Selma erschrocken, als Hanna mit dieser Botschaft das Plaudergeschwirr am Theetisch unterbrach. Das junge Volk – es waren noch zwei Freundinnen da – flog auf wie ein Schwarm Tauben.

„Schlimm?“ fragte die Mama, indem sie sich gleichfalls erhob.

„Schlimm genug, denn er hat böse Schmerzen, der Arme, und sehr hohes Fieber.“

„Und du kommst direkt von ihm? Hierher? Aber Hanna!“

„Ja, wie denn sonst? Ich gehe auch gleich wieder hinaus. Ich wollte euch nur selber sagen, wie es steht.

„Aber Hanna! Wie kannst du uns alle so der Gefahr der Ansteckung aussetzen! Das ist wirklich nicht sehr rücksichtsvoll. Und nach einem Blick in Hannas Augen, die mit unbehaglicher Hellsichtigkeit auf ihr ruhten, fügte sie hastig hinzu. „Mir, als Familienmutter, darfst du diese Besorgnis nicht übelnehmen –“

„Die Influenza soll hier gerade jetzt recht bösartig auftreten, mischte sich Männe in das Gespräch.

„Hat es den Onkel arg erwischt?“ fragte Evchen vom andern Ende des Zimmers her.

„Es ist ein sehr heftiger Anfall.“

Langsam ging Hanna der Thür zu, durch die sie hereingekommen war. Und nach ihrer Schwägerin zurückgewendet. „Ludwig hat nach dir gefragt, aber ich halte es für besser, wenn du dich ganz fern von ihm hältst.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 790. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_790.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2017)