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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

„spannende Geschichten“ mit herzklopfendem Interesse verschlingt, ist es kein Wunder, daß selbst begabte Frauen, die anfangs ein inneres Bedürfnis zum Fabulieren fühlten, so lange sie aus ihrem eigenen Leben den Stoff zu ihren Erzählungen nehmen konnten, die Sache mit der Zeit fabrikmäßig betreiben, da sie ihre Rechnung dabei finden.[1]

Auch ich, so alltäglich mein äußeres Leben verlaufen war, hatte ja allerlei innere Kämpfe durchgemacht und fühlte mich berufen, der Welt „zu sagen, was ich leide“. Hatte ich doch auch im deutschen Aufsatz immer die beste Censur bekommen. Schreiben können wir ja fast alle, wenn wir auch nicht ordentlich lesen lernen, da zu dieser Kunst die Uebung im Denken gehört. Und so setzte ich mich eines Morgens nach einer besonders langweiligen Soiree wohlgemut hin und fing meine erste Novelle an. Keine in dem gewöhnlichen Stil, sondern eine satirisch-humoristische, von der ich nur noch so viel weiß, daß ihre Heldin ein tapferes junges Mädchen war, die ihr Lehrerinnenexamen machen wollte und einer „berückenden“, eitlen und ganz unbedeutenden Bankierstochter das Herz ihres Verlobten abtrünnig machte. Bis dann schließlich Buridans Esel, zwischen die zwei Heubündel gestellt, das größere und nahrhaftere vorzog, ohne daß der armen Verschmähten das Herz darum brach. Eine hübsche kleine Galerie von Karikaturen, zu denen meine Tänzer die Modelle geliefert hatten, bildete den Hintergrund.

Ich war sehr zufrieden mit diesem Erstling meiner litterarischen Thätigkeit und sandte das Manuskript an die Redaktion eines weitverbreiteten Journals.

In den sechs Wochen, bis der Bescheid eintraf, entwarf ich im Kopf schon den Plan einer zweiten „Lebensstudie“, wie ich meine novellistischen Exerzitien bescheidentlich nannte, und sah mich dabei in anderer Frauenlitteratur um, da man doch gut thut, sich über die „Technik“ bei bewährten Meistern zu unterrichten. Ein glücklicher Zufall führte mir zwei Bücher der Ebner-Eschenbach in die Hand, „Bozena“ und „Das Gemeindekind.“

Als ich diese beiden Meisterwerke gelesen hatte, mit heißen Wangen und in fieberhafter Weltentrücktheit, und nun an meine eigene Schreiberei dachte, war mir zu Mut, wie wenn ich mit Juwelen behangen in eine Gesellschaft getreten wäre und ein guter Freund käme auf mich zu und flüsterte mir ins Ohr: Wie können Sie sich in solchem Putz hier sehen lassen und sollten doch wissen, daß die Steine Straß und das Gold Talmi ist!

Da kam denn auch mein Opus zurück. Ich dachte, in dem begleitenden Brief werde ungefähr dasselbe stehen. Der Schreiber schien aber keine Ahnung gehabt zu haben, daß der Schmuck nicht echt war. Er lobte vielmehr Stil und Charakterzeichnung und bedauerte nur, daß „die Tendenz nicht in den Rahmen ihrer Zeitschrift passe“, bat aber um fernere Zusendungen.

Ich war froh, an der Schwelle abgewiesen zu sein, ehe ich mich öffentlich meiner Thorheit zu schämen gehabt hätte. Das Manuskript wanderte in den Ofen. Ich war für alle Zeit von dem Wahn, der Kranz des Dichters lasse sich „im Spazierengehn“ erringen, geheilt.

*  *  *
Zwei Tage später.     

Der letzte Brief ist unterbrochen worden, ich habe ihn abgeschickt, ohne ihn noch einmal durchzulesen. Weihnachten ist vor der Thür, es giebt viel zu thun für unseren Heiligabend, da ich meinem lieben Mann doch allerlei selbstverfaßte Ueberraschungen zugedacht habe (keine langwierigen Stickereien, die mir nie gelingen wollten, mein bißchen Malkunst mußte herhalten für ein kleines Frühstücksservice, da diese Morgenstunde die einzige gemeinsame ist, auf die ich sicher rechnen kann).

Und dann, wir haben noch einen Weihnachtsgast geladen, einen neugewonnenen Hausfreund, von dem ich Dir schon längst hätte erzählen sollen.

Ein junger Russe, Dimitri von L., der mit zweiundzwanzig Jahren sich in Berlin den Doktorhut aufgesetzt hat, nach so eifrigen Studien – Philosophie und Naturwissenschaften – daß seine Gesundheit schwer darunter leiden mußte.

Denk’ nur, wie seltsam sich das gefügt hat! Er war an jenem Abend, als ich meinen Mann kennenlernte, mit unter den Zuhörern und empfing gleich mir einen so tiefen Eindruck von seinem Geist und Charakter, daß er, als die Nervenkrankheit bei ihm ausbrach, zu keinem der berühmten Berliner Aerzte ging, sondern hieher reiste, meinen Mann zu konsultieren, Da er sehr reich, verwöhnt, von früh an sein eigener Herr war und an jener Willensschwäche leidet, die mehr oder weniger allen Slaven im Blute liegt, fühlte er, daß er einer strengen Zucht bedurfte, wenn er genesen sollte, und daß er niemand williger unbedingt gehorchen würde, als diesem zur Zeit noch unberühmten Distrikts- und Armenarzt in unserer bayrischen Provinzstadt.

Seit vier Monaten ist er nun hier und hat sich als der fügsamste, geduldigste Patient erwiesen, wofür denn auch der Lohn nicht ausgeblieben ist. Denn die schlimmsten Symptome seiner Neurasthenie sind schon im Schwinden begriffen, die Nervenschmerzen in den Extremitäten haben fast gänzlich aufgehört, seine Melancholie hellt sich zusehends auf, und die körperlichen Uebungen, die mein Mann ihm vorgeschrieben hat, ermüden ihn so wohlthätig, daß er auch die Enthaltung von geistiger Arbeit, die ihm anfangs eine Qual war, kaum noch dumpf empfindet.

Nun ist es rührend, mit anzusehen wie dankbar er zu seinem „Retter“ hinaufblickt. Wenn er mit ihm zusammen ist – er ist unser regelmäßiger Tischgast an den Sonntagen, und meine anfängliche Sorge, ob diesem Sybariten meine einfache Küche genügen möchte, ist längst geschwunden, er hat eine reizende Art, jedes Gericht, das „Matuschka Meta“ ihm vorsetzt, zu loben – dann erscheint sein sehr bleiches Gesicht, das mit dem langen, tiefschwarzen Bart an den slavischen Christus-Typus erinnert, so harmlos fröhlich wie das eines wohlerzogenen Knaben, der bei guten Leuten zum Essen eingeladen ist.

Kommt dann ein wissenschaftliches Thema aufs Tapet, so leuchten ihm freilich die Augen wie die eines geistvollen reifen Mannes. Aber ich brauche nur, als seine Pflegemama, den Finger aufzuheben, um ihn vor allzu angestrengtem Denken zu warnen, so wird er wieder zum heiteren jungen Menschen, der uns mit Erzählungen aus seiner Heimat und Jugend unterhält, mit unserem Kätzchen spielt und mit drolliger Schüchternheit fragt, ob er von einer Schüssel, die ihm besonders schmeckt, wohl noch zum drittenmal nehmen dürfe.

Daß er an unserer Kathi eine Eroberung gemacht hat, ist hiernach kein Wunder. Aber auch mein Mann schätzt ihn sehr, hat eine hohe Meinung von seiner philosophischen Begabung und seinen Kenntnissen in Physik und Physiologie und freut sich immer, wenn er in unser kleines „Salönchen“ eintritt und fragt, ob er zum Thee dableiben dürfe.

Mir ist er lieb geworden, schon weil er meinen Hellmuth so innig verehrt. Ich werde, wenn im Frühling seine Kur beendet ist und er nach Petersburg zurückkehrt, die Lücke sehr empfinden. Zumal er in der letzten Zeit – seit etwa sechs Wochen – sich um meine eigene Bildung ein Verdienst erwirbt, das ich ihm ewig danken werde.

Davon aber im nächsten Brief. Ich will mich nicht wieder verführen lassen, doppeltes Porto zu bezahlen und Dich Wehrlose mit sechzehn Seiten zu überrumpeln.

Du Glückliche, daß Du für drei liebe Buben den Weihnachtsbaum zu rüsten hast! Ein Mistelzweiglein mußt Du mir durchaus in Deinen nächsten Brief einlegen.

Deine Martha. 




Siebenter Brief.

Am heil. Dreikönigstag.     
Ich feiere diesen katholischen Festtag, da ich in Bayern lebe und einen Katholiken zum Mann habe – er läßt mich übrigens, so viel ich noch Protestantin bin, gewähren, da er selbst sich mit seinem Gott außer der Kirche zurechtfindet. Heute mittag aber haben wir drei (Dimitri war mit uns) die traditionelle Torte mit der Bohne gegessen, Dimitri ist Bohnenkönig geworden

  1. Nach unseren langjährigen redaktionellen Erfahrungen sind die hier gerügten litterarischen Mängel keineswegs ausschließlich den Erzählungen minder begabter Schriftstellerinnen eigentümlich, sondern man begegnet ihnen auch häufig genug in Novellen und Romanen männlicher Autoren. Die Redaktion. 
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 794. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_794.jpg&oldid=- (Version vom 9.7.2023)