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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

fertig zu kaufen wäre, im Hause zugeschnitten und genäht werden müsse – die ersten Hüllen, mit denen ein kleines Menschenkind bekleidet werden soll, mit eignen Händen ihm zu bereiten ist ein so beseligendes Geschäft, daß man nicht darauf verzichten möchte, und würden einem auch die spitzenbesetzten Hemdchen und Häubchen, wie eine Prinzessin sie erhält, ins Haus gebracht.

Schade, daß ich Dir nicht das Fach in meinem Schrank zeigen kann, in welchem der Trousseau dieses kleinen Fräuleins aufgestapelt liegt!

Denn, daß es ein Mägdlein sein wird, steht mir fest, so sehr mich Hellmuth mit meinem Glauben an allerlei Vorzeichen neckt, die unter uns Frauen nun einmal für untrüglich gelten. Unter uns gesagt, ich gebe gar nichts auf diese Ammenweisheit. Der brennende Wunsch, das Wesen, das mir das Leben verdanken soll, glücklicher aufwachsen zu lassen, als es mir beschieden war, hat mich in meinem Glauben bestärkt. Ich würde in Verlegenheit sein, einem Sohn gegenüber, da ich stets die Mütter beneidet habe – Dich z. B. – die so viel Latein und Griechisch gelernt haben, daß sie ihren Knaben durch die ersten Schuljahre hindurchhelfen können. Ein Mädchen aber davor zu bewahren, daß es nicht in ähnliche Not gerät wie ihre Mutter, dazu fühle ich mich berufen und befähigt.

Vorausgesetzt, daß es nicht ein Gehirnchen mit auf die Welt bringt wie so viele seines Geschlechts, denen die Fähigkeit zu ernsterem Erfassen des Lebens versagt ist. Diejenigen weisen Männer, die darin das unterscheidende Kennzeichen des Weibes sehen, vergessen nur, daß auch die überwiegende Zahl der Knaben für alles höhere Streben verdorben ist und nur mit Not und Mühe zu den Berufsarten herangezüchtet wird, die das Studium auf einer Universität voraussetzen.

Wenn aber mein kleines Mädchen einen hellen Kopf hat und die Sehnsucht, ihn nicht bloß mit dem üblichen Frauenzimmertrödel vollzustopfen, soll es, nachdem es die Volksschule durchgemacht hat, eine bessere Schule besuchen, als es seiner Mutter vergönnt war. Denn ich zweifle nicht daran, daß bis dahin auch in allen größeren Städten Bayerns Mädchengymnasien gegründet sein werden, wie sie in allen Kulturländern, ja auch in solchen, die man sonst nicht dazu zu rechnen pflegt, wie Rußland und Spanien, bereits bestehen. Du weißt, ich bin eine Preußin, aber in dem engeren Vaterlande meines lieben Mannes lange genug heimisch, um es mir zu Gemüte zu ziehen, daß Bayern in diesem Punkt hinter den übrigen Staaten des Deutschen Reiches zurücksteht, ja sogar hinter Oesterreich, wo die kirchliche Partei, die, wie es heißt, bei uns der höheren Frauenbildung abgeneigt ist, doch auch mächtig genug wäre, um die humanistische Mädchenerziehung nicht zu dulden, falls sie darin eine Gefahr für unser Seelenheil erblickte. Und doch hat neulich – Du hast es vielleicht auch in einer englischen Zeitung gelesen – der Unterrichtsminister in Wien bei Gelegenheit der Doktorpromotion einer Dame sich in den wärmsten Worten über das Frauenstudium ausgesprochen.

Das aber ist Dir vielleicht entgangen, daß man seit Jahr und Tag in München an der Gründung eines Mädchengymnasiums arbeitet. Ein Verein hat sich gebildet, schon vor drei Jahren, dem eine große Anzahl von Frauen und Männern angehört. Woran es liegt, daß seine Bemühungen noch immer nicht zum Ziele geführt haben, ist rätselhaft. Doch trotz wiederholter wohl motivierter Eingaben ist die Konzession der Staatsregierung nicht zu erlangen gewesen. Daß der Widerstand von der allerhöchsten Stelle ausgehe, ist undenkbar. Wo eine Prinzessin des königlichen Hauses Mitglied der Akademie der Wissenschaften ist, muß man doch auch in den höchsten Kreisen von der Fähigkeit des weiblichen Geschlechts zu ernsten Studien überzeugt sein. Du kennst auch gewiß die historischen Werke der geistvollen Lady Blenner-Hassett, die in München geboren ist, die Tochter bayrischer Eltern. Sollte nicht auch dies glänzende Beispiel einer Frau, die von den bedeutendsten Gelehrten als ebenbürtig betrachtet wird, das veraltete Vorurteil endlich zu beschämen imstande sein?

Nein, Mary, ich glaube daran, „daß das Gute wachse, wirke, fromme,
und daß der Sieg der Wahrheit endlich komme!“

Wenn mein Kind in die Backfischjahre eingetreten sein wird, wird es nicht nach Berlin, Karlsruhe, Leipzig, Breslau, Wien oder gar nach Zürich oder Florenz reisen müssen, um seine klassischen Studien zu beginnen – auf die – große! – Gefahr hin, wenn es seine Abgangsprüfung bestanden hat, sich dann doch keinem wissenschaftlichen Beruf zu widmen, sondern einem lieben Manne eine kluge und nicht ganz unwissende Hausfrau zu werden. Ich hoffe sogar, daß ich nicht nötig haben werde, sie nach München zu schicken, da sie es in unserer Stadt näher haben wird. Die Bewegung nach diesem Ziele hin ist eine zu allgemeine, zu berechtigte, als daß sie nicht auch von denen endlich anerkannt und gefördert werden sollte, die bisher die Augen verschlossen haben gegen den Widersinn, die Mädchen aufs Haus beschränken zu wollen, ohne einer jeden ein Haus bieten zu können, von unserem Geschlecht zu verlangen, daß wir uns redlich ernähren und unsere Steuern zahlen, gleich den männlichen Staatsbürgern, während man von den mancherlei Mitteln und Wegen, dies zu erreichen, uns nur die niederen, mechanischen offen läßt, zu denen die höher Begabten unter uns verdorben sind. Denn wenn meine Tochter ihrer Mutter nachschlägt, wird sie schwerlich für eine zwölfstündige Arbeit an der Nähmaschine oder dem Telegraphen, geschweige denn zur Fabrikarbeiterin die nötige Befähigung besitzen und auch für die doppelte Buchführung keinen Beruf in sich spüren.

Genug für diesmal. Das Schreiben greift mich doch an. Mein nächster Brief soll Dir, hoff' ich, eine frohe Botschaft bringen.

Es umarmt Dich von Herzen Deine glückliche und doch bange

Martha.     


N. S. Du hast nach Dimitri gefragt, ob er nichts mehr von sich habe hören lassen. Kurze Zeit nach seiner Trennung von uns kam ein Brief von ihm an meinen Mann, mit einem Wechsel auf eine sehr hohe Geldsumme. Dabei lag seine Visitenkarte „mit dem Ausdruck des innigsten unauslöschlichsten Dankes“. Hellmuth sandte den Wechsel sofort zurück, von einem Freunde und halben Kollegen lasse er sich seinen ärztlichen Rat nicht honorieren.

Vor einem halben Jahr endlich lasen wir in der Zeitung, der hochbegabte russische junge Gelehrte Dr. Dimitri v. L. sei im Duell mit einem Grafen W. von einer Kugel tödlich getroffen worden und am anderen Tage gestorben. Anlaß zu dem beklagenswerten Zweikampf sei die Rivalität um die Gunst einer Dame vom Ballett gewesen.

Was ich bei dieser Nachricht empfand – – – –

Zweite Nachschrift (nicht von weiblicher Hand) vierundzwanzig Stunden später.

Die Geburt eines gesunden Mädchens zeigen hocherfreut an

Dr. Hellmuth Born     
Martha Born geb. Körting.     

Da Martha darauf besteht, daß ihre geliebte Mary nicht wie alle anderen Freunde und Bekannten diese Neuigkeit durch ein gedrucktes Blatt erfahren dürfen, müssen Sie sich, verehrte Frau, eine Nachschrift des glücklichen Gatten und Vaters gefallen lassen, und zwar auf dem letzten freien Raum des obigen Briefes, den die Schreiberin nicht mehr ausfüllen konnte, da die Nähe ihrer schweren Stunde sich plötzlich ankündigte.

Ich füge nur noch hinzu, daß Mutter und Kind sich den Umständen nach wohlbefinden. Das kleine Fräulein ist ein kräftiges und doch zierliches Geschöpfchen, das hoffentlich es nicht bedauern wird, sich in diese Welt gewagt zu haben, obwohl es gleich beim Eintritt in dieselbe sich der Verleumdung preisgegeben sieht. Sämtliche weibliche Hausgenossen nämlich erklären einstimmig, das kleine Wesen sei dem Vater „wie aus dem Gesicht geschnitten“, während dieser das gute Zutrauen zu ihm hat, es werde so gescheit sein an Leib und Seele der Mutter nachzuarten.

Mit herzlichsten Grüßen dieser lieben Frau

Ihr sehr ergebener     
H. B.     
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 818. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_818.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)