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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Lücke, groß genug, um eine rechtschaffen drohende Faust oder eine greifende Hand hindurchzustecken. – Schweig. Arbeite. Gieb her. Behalte nichts für dich. Verlange nichts für dich. – So hatten seine Richtworte gelautet, jahraus, jahrein. Schweig! Diese schwere Kunst hatte er meisterlich gelernt. Nur daß ihm in ihrer Ausübung die helle Flamme der Seelenfreiheit allmählich zu verglimmen begann, die Flügel verkümmerten, die ihn himmelan hätten tragen können. Arbeite! Das hatte er gewollt, so lange er denken konnte. Die Arbeit war seinem Gewissen das tägliche Brot. Sie wäre es ihm gewesen und geblieben, auch wenn sie nicht Ernährerin geheißen hätte. Verlange nichts für dich! – Jahrelang hatte er dieses kalte Pflichtgebot stumpfsinnig ertragen. An dem Friedhof seiner jung gestorbenen Träume vorüber war er dem Wegweiser in das Land der Herzenseinsamkeit gefolgt, hatte sich nicht mehr umgesehen. Erst in dieser letzten Zeit war der Hunger nach Glück, nach eigenem, still gehegtem, sonnenwarmem Hausglück wieder so wild geworden, daß er die Zähne zusammenbeißen mußte, um still zu bleiben. Den wühlenden, nagenden Schmerz der Entbehrung ganz zu verhehlen war ihm dennoch nicht gelungen, wie er wohl einsehen mußte. Aber sich darüber auszuklagen, jammernd um die kümmerlichen Brosamen des Mitleids zu betteln war er nicht gesonnen, noch weniger, von anderm Mund sein stummes Leid beim Namen gerufen zu hören.

Mit sprühenden Augen, deren Feuer dem überraschten Freunde ganz unerwartete, ungekannte Gluten zeigte, sah er Günther an.

„Ich bin sehr böse auf Sie,“ sagte er nach dieser langen Pause mit verhaltener, tief grollender Stimme.

„Meinetwegen! Mach’ mir gar nichts draus, erwiderte der arme Sünder so störrisch wie möglich. Im Grunde fühlte er sich aber schon gar nicht mehr so sicher in seiner Haut, wie er zu zeigen sich bemühte, nach Art der Lammherzigen suchte er sich selber Mut zu machen, indem er laut und heftig sprach: „Was hab’ ich denn so Schlimmes gethan?“

„Sie haben gethan – und nicht zum erstenmal, erinnern Sie sich –, was ich mir Ihnen gegenüber nie erlauben würde, so nahe wir uns auch stehen. Sie haben sich schon wieder unberufen in meine allerpersönlichsten Angelegenheiten gemischt. Jetzt sogar, indem Sie meine Schwester zu Hilfe nehmen. Das möcht’ ich mir denn doch in Zukunft dringend – hören Sie? – ganz dringend ein für allemal verbeten haben. Solange ich Ihnen nicht sage. So und so geht’s weiter, ich weiß allein nicht mehr fertig zu werden. Helfen Sie mir – – solange ich Sie also nicht rufe – bleiben Sie gütigst in Ihrem Gehege. Ich steige ja auch nicht über Ihren Zaun.

„Komische Sorte von Freundschaft,“ knurrte Günther. „Wissen 5ie, wie man so was nennt?“ schrie er Rettenbacher an, näher auf ihn zutretend. „Hochmut nennt man das!“

Arnold hob langsam die Achseln.

„Kann sein,“ sagte er mit einem bittern Lächeln. „Es giebt ja unterschiedliche Arten davon. Die meinige ist dann jedenfalls ein Kind der Notwehr. Ein fröhliches Gesicht hat er nicht.“

„Das weiß der liebe Himmel! Aber außerdem – was wollt’ ich denn noch sagen – ja, außerdem irren Sie sich, wenn Sie glauben ich hätte was dagegen, wenn Sie über meinen Zaun gestiegen kämen. Ich bin nicht so wie Sie. Wenn Sie heute sagten: Kamerad, knöpfen Sie Ihre Weste nur auf, ich seh's ja, sie ist schon ganz versengt – so würd’ ich Ihnen einfach um den Hals fallen und rufen: „Du blinder Gockel, das merkst du jetzt erst?“

Mit lebhaft aufhorchendem Gesicht sah Rettenbacher den Freund durchdringend an. Er schien eine Frage thun zu wollen. Aber Günther hatte noch das Wort und ließ es sich nicht nehmen; er war froh, daß er so schön im Gange war.

„Davon später,“ sagte er hastig, mit der vorgestreckten Hand und gespreizten, schüttelnden Fingern Arnolds Erstaunen verscheuchend. „Das kommt auch noch, läuft uns nicht weg, war eigentlich nur nicht das, was ich im Augenblick meinte – –“. Seine Worte überstürzten sich förmlich. „Thun Sie mir die Liebe und lassen Sie mich dieses einzige Mal reden, bis ich von selber aufhöre, sonst platz’ ich! Sie lächeln. Das ist ja so weit ganz gut. Ein Zeichen, daß Ihre dumme Wut verflogen ist. Aber Sie sollen auch Ihr Gesicht ruhig halten, bis ich fertig bin, sonst komm’ ich aus dem Text. Lächeln können Sie nachher. Werden schon auch noch lächeln!“

„Warten Sie, eins noch,“ unterbrach Rettenbacher, schon wieder ernsthaft, Günthers ungeduldigen Redestrom. „Was haben Sie der Grete gesagt?“

„Nichts hab’ ich ihr gesagt. Sie kamen uns ja gerade dazwischen, als ich ihr erzählen wollte.“

„Woher hat sie dann aber die Frage nach meinem sogenannten Kummer?“

„Das war ja eben der Anfang, bei dem Sie uns unterbrachen. Und Kummer hat sie nachher bloß gesagt. Ich hatte es schon bei seinem richtigen Namen genannt –“

„Sind Sie des Teufels?“ rief Arnold aufflammend… „Wer giebt Ihnen das Recht?“

„Weiß ich nicht. Hab’s mir jedenfalls genommen. Und behalt’ es auch einstweilen, wenn Sie auch Feuer speien. Hat der Kerl ein Paar Augen, Gotts Donner! Aber ich bin nun einmal drin in der Geschichte und ich muß nun auch durch – und das sag’ ich Ihnen: Wenn Sie mich nicht mehr anhören wollen, dann geh’ ich zwar zu der Thüre da hinaus, aber herein komm’ ich dann nicht mehr, darauf können Sie sich verlassen. Ueberhaupt nicht mehr! Verstanden, Sie Trotzkopf, greulicher?“

„Das entscheidet freilich,“ sagte Rettenbacher halblaut, in dem Blick, mit dem er den aufgeregten Freund ansah, lag allerlei: Noch nicht überwundener Verdruß, Erstaunen, Weichheit, Güte, und als Schleier eine Art von Lächeln.

Er warf sich in eine Sofaecke und lehnte den Kopf zurück. „Oeffnen Sie Ihre Schleuse. Ueberschwemmen Sie mich. Ich halte still.“

„Höchste Zeit“, sagte Günther, sich schnell einen Stuhl heranziehend und am Tisch, Arnold gegenüber, niedersitzend.

„Also. Zum richtigen Anfang! Was ich mir bis jetzt noch nie erlaubt habe. Sie lieben die Hanna, das steht fest.“

„Seit wann steht das fest?“ fragte Rettenbacher unter einem flüchtigen Farbenwechsel, aber in trockenem Ton, ohne den Kopf von der Lehne wegzurühren, mit dem Blick der halbgeschlossenen Augen irgendwo, „Wer hat Ihnen das erzählt?“

„Onkelchen“ – – Günther schüttelte ärgerlich den Kopf. „Ich denke, das lassen Sie. Das ist zu dumm. Ueber diesen Punkt können wir wirklich ganz ruhig zur Tagesordnung übergehen. Daß Sie das Mädel schon vor fünf Jahren geliebt haben, das wissen die Spatzen auf dem Dach.“

Arnold richtete sich nun doch hastig auf. Seine Augen brannten wieder. „Was reden Sie da?“ stieß er heraus.

„Nichts Schlimmes, beruhigen Sie sich nur. Das mit den Spatzen dürfen Sie buchstäblich nehmen. Denken Sie etwa, die auf Waseniussens Fensterbrett haben vor Zeiten mit Glasaugen in die Stube geguckt? Haben sich nicht ihren Vers gemacht? – Er lehnt sich wieder an, er ist wieder brav. Recht so. Also weiter! – Ich meinte also: Ich wußte es, und die Mutter. Eine Zeit lang dachte ich ja auch, nein, ich schwor Stein und Bein, es könnte auch dem Mädel nicht verborgen geblieben sein. Schien aber dann doch so, denn sonst hätte sie ja nicht – oder vielmehr sonst würde sie – na, lassen wir das elende Kapitel. Warum sie den Mann schließlich genommen hat, wissen wir ja, und auch, was aus dem vergeblichen Opfer geworden ist. Für eins aber möcht’ ich heute meine beiden Hände ins Feuer legen. Nämlich, daß sie ihr armes Herze gerade so hat unterkriegen müssen, wie Sie das werte Ihrige, und daß Sie nicht alleine gelitten haben. Mir scheint vielmehr, das unglückliche Ding war noch weit schlimmer dran als Sie, denn Sie haben doch keine andere Frau nehmen müssen, was? Gott sei Lob und Dank! Denn wenn jetzt Sie noch an der Kette säßen, wo Hanna wieder frei ist – –“

Rettenbacher erhob hastig abwehrend die Hand. „Hören Sie auf,“ sagte er rauh. „Wenn Sie weiter nichts können, als dasselbe Lied noch einmal singen – –“

„Ruhig! Ausreden lassen!“ unterbrach der andere, ärgerlich mit der Faust auf den Tisch klopfend. „Wissen Sie denn, was ich sagen will? Keine Spur wissen Sie davon. Dasselbe Lied. Da wär’ ich schön dumm! Nachdem Sie mich angeschnoben

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 842. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_842.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2017)