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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Durch vieles Hin- und Herfragen brachte Frau Fuchs nun auch noch den Namen des Klopfgeistes heraus. Es war Charles Ryan, der Hausierer, den ein Schneidergeselle vor ein paar Jahren ermordet hatte und der damals eine Frau und fünf Kinder hinterließ; die Frau war ihm inzwischen in die Ewigkeit nachgefolgt. Die Fuchs vergewisserte sich nun noch, ob sie die Nachbarn holen dürfe, damit diese mit dem interessanten Fremdling auch Bekanntschaft machten. Der Geist hatte nichts dagegen. Der nächste Morgen sah nun ganz Hydesville um das Haus der Familie Fox versammelt, wo der Verkehr mit dem Jenseits eröffnet war. Auch andere Verstorbene fanden sich ein und beantworteten klopfend die vorgelegten Fragen, die merkwürdigsten Enthüllungen wurden gemacht, man seufzte und betete, doch gelang das Orakel nicht immer – natürlich, die Sache war noch zu neu.

Darüber zog nun die Familie Fox nach der Hauptstadt der Grafschaft Monroe, nach der Stadt Rochester, aber nicht ohne die befreundeten Geister mitzunehmen, welche sich vielmehr an ihre Fersen hefteten und im Möbelwagen folgten. Auch in der neuen Wohnung klopfte es aus den vier Wänden, aus dem Fußboden, von der Decke, kein Mensch wußte, wie das zuging, man konnte fragen was man wollte, ja, man konnte die Frage nur in Gedanken stellen, so erhielt man eine Antwort, und die Antwort traf, wenn sie sich kontrollieren ließ, regelmäßig den Nagel auf den Kopf. Rochester stand vor einem Wunder, einem unergründlichen Geheimnis; die besten Familien steckten die Köpfe zusammen, ein Komitee wurde ernannt, die Sache zu untersuchen, den Klopflauten auf die Spur zu kommen und das Rätsel zu lösen. Alles vergebens. Die drei Grazien mußten mit bloßen Füßen, an Armen und Beinen gefesselt, auf ein weiches Kissen treten, so daß an Bewegungen irgend welcher Art, geschweige denn an ein Pochen, gar nicht zu denken war; dennoch ging das Unwesen weiter wie eine Klappermühle. Das Klappern hörte man, aber die Mühle, die Mühle, wo steckte sie? – Das Komitee mußte gestehen, es könne den Vorgang nicht begreifen, aber ein Betrug sei ausgeschlossen. Mit den Zehen habe gewiß niemand geklopft. Das Gutachten wurde zu Protokoll genommen und in New York durch eine Flugschrift bekannt gemacht.

Inzwischen trat der spiritistische Fernsprechverkehr in eine neue Phase. Man stand bei Fuchsens um einen runden Tisch herum dieser klopfte jetzt. Wenn die rechten Personen die Hände darauf legten, durch Berührung der kleinen Finger eine Kette bildeten und in die andere Welt hinüber fragte, so hob der Tisch aus, kippte nach hinten und tippte dann wieder mit dem Fuße auf den Boden. Einmal, zweimal, dreimal tippte er, das war das Table-tipping, wie es hieß. Indem der Tisch am Ende ein eigenes Leben bekam und drehend wurde wie ein Schaf und vorwärts raste wie ein Besessener, schloß sich daran das magische Tischrücken oder das Table-turning. Was bedeutete das? – Offenbar eine andere Art zu sprechen, ein Sprachorgan, dessen sich die Seelen der Verstorbenen jetzt greifbar und sichtbarlich bedientem sie wohnten in dem Tische wie Gottheiten in einem Fetisch, waren in ihn wie Dämonen hineingefahren und regierten ihn wie ein Werkzeug. Zugleich kam der Möbeltischler Isaak Port, der den Tisch geliefert hatte, stolz auf sein Fabrikat, auf den Gedanken, dem Tische das Alphabet herzusagen und ihm ein besseres Ausdrucksmittel an die Hand zu geben. Jedesmal wenn der richtige Buchstabe drankomme, sollte der Tisch so gut sein und ein Zeichen geben und klopfen – auf diese Weise konnte er mittelbar in menschlicher Sprache reden und ganze Worte und Sätze zusammenklopfen. Das ging, welch eine herrliche Entdeckung! Damit war die Umwandlung der Klopfsprache in das Englische vollzogen! – Nur ging es, weil jedesmal das ganze Alphabet von neuem hergesagt und dann der richtige Laut ausgewählt werden mußte, ziemlich langsam.

Eine Erleichterung des etwas schwerfälligen Verfahrens und eine wahrhaft epochemachende Neuerung verdankten die „Füchse“ einem Hasen, nämlich dem Herrn Doktor Hase oder (englisch) Hare, der ihnen den Psychographen oder das Spiritoskop erfand. Das war eine Erfindung, wie die der Taschenuhren. Hare, ein Mathematiker, konstruierte eine Art Zifferblatt, auf dem die Buchstaben des Alphabets und die Ziffern von Eins bis Zehn im Halbkreise angegeben waren, im Mittelpunkte brachte er eine Welle an, die einen Zeiger trug. Nun mußte jemand da sein, der mit Geistern umzugehen verstand und Glauben hatte. Legte dieser seinen Finger auf die Stelle, so drehte sich der Zeiger und wies auf einen Buchstabe nach dem anderen hin, so daß man das Orakel nun im Nu zusammenstellen konnte wie der Telegraphenbeamte das Telegramm. Es handelte sich nur noch darum, aufzupassen und genau abzulesen, was die Geister, die in dem Finger des Sekretärs wirksam waren, gleichsam andeutungsweise schrieben; denn direkt schrieben sie noch nicht. Der Tisch war ganz beseligt.

Am Ende ließ sich aber auch noch der Psychograph beseitigen. Der Geist konnte auch gleich die Hand des Sekretärs selber nehmen und wie einen Federhalter gebrauchen, indem er die Feder oder den Bleistift anfaßte und schrieb. Das ward anfänglich so gemacht: man steckte an ein Tischchen, an die sogenannte Planchette, einen Bleistift, einer der Anwesenden mußte die Hand auf das Tischchen legen, und nun wartete man, bis die Person in die Verzückung, in den sogenannten Transitus, englisch: Trance, verfiel. Trat dieser der Hypnose ähnliche Zustand ein, so stand der Kundgebung der Geister nichts mehr entgegen; der Apparat setzte sich in Bewegung, der Bleistift begann zu schreiben, magische Figuren und Chiffren zu entwerfen, der Geist stand gleichsam wie ein Schreiblehrer hinter dem Medium und führte ihm die Hand, vermittelst der Hand das Tischchen und vermittelst des Tischchens den Bleistift. Allmählich ward dann das Tischchen ausgeschaltet und die Geister schrieben nur noch mit der Hand des Mediums, wie sie vorher geklopft hatten mit den Medien. Der letzte Fortschritt war, daß die Geister auch noch das Medium ausschalteten und höchst eigenhändig schrieben und zeichneten.

Direkte Geisterschriften erschienen zur Zeit der spiritistischen Bewegung in den Vereinigten Staaten auch in Stratford, im Hause des Dr. Phelps, wo außerdem die Messer und die Gabeln, die Tische und die Stühle wie Federn herumzufliegen pflegten, indem seine beiden Kinder berühmte Medien waren. Zu Guadalupe in der südamerikanischen Republik Uruguay erschien eine spannende, auf dem Psychographen hergestellte Novelle mit dem Titel Hannchen (Juanita). Sie war von einem Stuhl verfaßt, also einem Medium von oben her eingegeben worden. In den Vereinigten Staaten allein gab es damals an dreißigtausend Medien.

Solche Personen, deren sich die Geister zu ihren Aeußerungen bedienen, nennt man nämlich Medien, daher auch der Spiritismus in dem gelehrten Deutschland vielfach Mediumismus heißt. Ein Medium, ein gut arbeitendes Medium, ein Schreibmedium, ein Klopfmedium braucht man zur Vermittelung der spiritistischen Phänomene, nur so erstehen die mediumistischen Manifestationen neu. Der Begriff ist ebenfalls von Amerika ausgegangen, aber nachgerade üppig ins Kraut geschossen. Das Medium ist das wunderbare, sensitive Wesen, das den Verkehr mit dem Jenseits einleitet und die Geister zum Sprechen bringt. Die Fräulein Fox waren Medien gewesen, und so oft sich seitdem ein junges Ding empfänglich zeigte und als ein überirdisches, unfaßbares, luftförmiges Geschöpf entpuppte, erteilte man ihm den pompösen lateinischen Titel eines Mediums. Bekanntlich bedarf es im städtischen Telephonverkehr eines Vermittelungsamtes, mitdem die einzelnen Teilnehmer zunächst verbunden sind und in dem dann die Leitungen untereinander verbunden werden. Das Vermittelungsamt muß man anrufen, wenn man mit jemand sprechen will, das Vermittelungsamt trennt die beiden Leitungen wieder, wenn das Gespräch beendigt ist. So sollten nun auch die beiden Welten, die Lebendigen und die Toten, miteinander nur verkehren können, wenn zwischen beide ein Medium eingeschaltet ist; es stellt die Verbindung her, in ihm laufen die Drähte der Ober- und der Unterwelt zusammen, es reicht wie ein Riese mit der einen Hand in die Kette der Anwesenden mit der andern in den Ring der Unsterblichen und läßt für einen Augenblick das Jenseits hinein ins Diesseits ragen, bis es, zu guter letzt, die Leitungen wieder trennt! Man sieht in der Sache, wenn sie auch Wahnsinn hat, steckt doch Methode.

Die Unterhaltung mit den Geistern beruht auf Selbsttäuschung, die sich mitunter bis zum Irrsinn steigern kann. Und wie viel auch die Geister geklopft und geschrieben haben mögen, die ewigen Rätsel des Jenseits sind durch diese Mitteilungen für den Unbefangenen nicht im geringsten gelöst worden.


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 874. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_874.jpg&oldid=- (Version vom 9.7.2023)