Seite:Die Gartenlaube (1898) 0009.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1898)


„Gelt,“ fragt sie, während er das mustert, „gelt, Anto, ich darf mich doch auf die ‚Gartenlaube‘ abonnieren? Habe dich schon immer bitten wollen; sie ist stets in unserem Hause gehalten worden. Ich werde sie schon herausschlagen, die paar Groschen.“

„Ja, ja doch, Kind – wenn du Zeit findest zum Lesen. Aber werde nur nicht so eine, die sich aufs Sofa legt mit einem Roman.“

„Ich versäume darum nichts,“ erwidert sie. „Du liest wohl nicht gern?“

„Ich – nee! jetzt nicht mehr; bloß Fachschriften. Aber ob sich da zwei kriegen, die mich in der Gotteswelt nichts angehen, das – –“

„Aber, es giebt doch auch anderes darin, zum Beispiel wissenschaftliche Artikel!“

„Na, so halte sie nur, deine ‚Gartenlaube‘, halte sie nur!“

„Schade, Anto; ich habe gedacht, an den Winterabenden würdest du mir manchmal vorlesen?“ sagt sie dann.

„Ach du lieber Gott, Christel!“ ruft er erschreckt. „Na, wollen sehen, wollen sehen; vielleicht, daß es sich macht. Aber, offen gestanden, ich finde es rationeller, wenn jeder für sich liest, wenn’s mal sein muß.“

„Ich will dich natürlich nicht quälen, Anto –“

Es kommt nie dazu. Sie bittet nicht, und er erinnert sich ihres Wunsches nicht, und mählich vergißt Christel diese Scene; erst nach Jahren muß sie plötzlich daran denken in einer schweren Stunde. Gegenwärtig ist sie so glücklich, wie sie es kaum erwartet hat, noch zu werden, und vor dem eisernen Fleiß des Mannes, vor seiner Einfachheit in der Lebensführung empfindet sie unbegrenzte Hochachtung, und diese wird endlich zur treuen Gattenliebe.

„Christel ist glücklich verheiratet,“ pflegen ihre Schwestern zu sagen, wenn sie die Frau Mohrmann besucht haben. „Die kommen vorwärts,“ heißt es bei den Gutsnachbarn, „heutzutage ist’s eine feine Kunst, wenn man es als Landmann zu etwas bringt.“

„Die Schafsköpfe,“ sagt Anton, als er es wiedererfährt, „wenn sie leben wollten nach ihrer Einnahme, könnten sie auch erübrigen. Aber das muß Sekt saufen und Vollblutpferde vor dem Wagen haben; soviel wirft’s allerdings nicht ab!“

Die Mohrmanns haben, weiß der Himmel, nach einigen Jahren schon etwas mit der Reichsbank zu schaffen, und just an dem Tage, wo vor fünf Jahren Anton seine Frau zum erstenmal gesehen, passiert sogar etwas Großartiges! Christel wird von ihren Milchsatten weg zu Pastors gerufen, in aller Morgenfrühe; dort ist alles in heller Aufregung, oben bei der Mutter versammelt.

Christel hat nur eilig ein Tuch übergeworfen, sonst ist sie in der blaugestreiften Wirtschaftsschürze, den Schlüsselbund im Gürtel, hingelaufen. „Heiliger Gott, was ist denn geschehen?“ fragt sie und denkt, ihre Mutter sei gestorben.

Rutschpartie.
Nach einer Originalzeichnung von H. Kaulbach.

Alle sprechen durcheinander; die alte Frau hat ein Schreiben in der zitternden Hand, und endlich erfährt Christel: der Onkel in Braunschweig ist tot, der alte Geizkragen, der so erbärmlich gethan; er hat dreißigtausend Thaler hinterlassen – jede Nichte erhält zehntausend!

Christel ist darüber ganz erschreckt, sie muß sich setzen.

„Seht nur die Mohrmann,“ ruft Louischen, „die sieht ganz blaß aus! Du, was meinst, Christel, was dein Alter für Augen machen wird, wenn er heimkommt vom Felde?“

„Der Anto?“ fragt sie mechanisch, und dann: „Ist’s wahr?“

„So lies doch das Schreiben vom Gericht!“ schreien sie durcheinander. „Heute abend fahren der Pastor und Louischen hin, Mohrmann muß mit – es wird den Erbinnen oder deren Ehemännern sofort ausgezahlt! Mach nur, daß du heimkommst, pack’ ihm den Koffer –“

Sie geht auch, ganz langsam, wie betäubt. Ist’s denn wirklich ein Glück? fragt sie sich. Ja, für Pastors mit den sechs Würmern – aber für uns? Ihr ganzes Eheleben ist bis jetzt ein unausgesetztes Ringen gewesen, um Geld zu gewinnen. – Wozu eigentlich? Für wen? – –

In ihren Augen funkeln plötzlich Thränen; gottlob – er vermißt ja nicht, wonach sie sich heimlich sehnt; sie sind sich ja auch zu zweit genug und sie selbst ist ihrer unzufriedenen Gedanken bis jetzt immer Herr geworden, hat sie gewaltsam verscheucht. Sie malt sich aus, was er sagen wird, wenn die Christel, die er als blutarmes Mädel nahm, plötzlich eine Kapitalistin geworden ist.

Als sie heimkommt, steht er mit einem Getreidehändler mitten auf dem Hofe. Er ist verdrießlich und sie lacht ihn an.

„Bist bald fertig, Anto? dann komm’ mal hinunter in den Milchkeller.“ Dort unten ist’s kühl und riecht köstlich nach Buttermilch. Christel hat die beiden „Milchstudenten“, wie Anton die jungen Mädchen nennt, die seine Frau in die Geheimnisse des Butterns und Käsens einweiht, wofür sie ein ganz nettes Lehrgeld bekommt, fortgeschickt. Sie hält in der einen Hand die flache Kelle zum Absahnen, in der andern die Satte mit dem Rahm, als er eintritt.

„Hör’, Anto,“ sagt sie, „ich kann dir nicht helfen, du mußt heute abend mit dem Pastor und Louischen nach Braunschweig reisen.“

„Was? Na, weißt du, ich bin gerad’ aufgelegt zum Veruzen! Der Schweinekerl, der Schmollig, will drücken – auf den Weizen, drei Prozent Mindergebot – so’n Lump!“

„Ich habe dich noch nie veruzt, Anto.“

„Na, du weißt doch aber auch, daß ich jetzt nicht reisen kann – Schwerenot! Der Pastor soll allein reisen, wenn er durchaus nach Braunschweig will; ich habe noch genug von der letzten Tour mit ihm nach Leipzig.“

„Aber du mußt mich vertreten, Mann, weil du doch nun mal die Oberhoheit über mich hast. Ich soll vor Gericht, vors Erbschaftsgericht.“ Und als er sie verdrießlich und verwundert ansieht, fährt sie fort: „Begreifst du denn noch immer nicht, daß ich zehntausend Thaler geerbt habe?“

„Christel,“ ruft er und schüttelt sie am Arm, daß der Rahm über den Rand der Schüssel fließt, und dabei guckt er ihr ins Gesicht, als wolle er sich vergewissern, ob bei ihr auch noch alles in Ordnung sei im Oberstübchen.

Sie stellt die Schüssel hin. „Anto,“ sagt sie ernsthaft, „der alte Onkel Otto – wir dachten immer, er habe kaum das liebe Brot – nun hat er dreißigtausend Thaler uns drei Mädchen hinterlassen. Freut es dich, Anto?“

„Alle Wetter, ich hab’ nichts dagegen!“ stottert er, noch immer unsicher. Und als er in ihren Augen nichts als Klarheit und Wahrheit liest, reißt er sie plötzlich an sich und küßt sie so stürmisch wie noch nie.

Sie ist auf einmal still und blaß geworden. Lieber Gott,

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0009.jpg&oldid=- (Version vom 19.12.2018)