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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

liegen gelassen und wandelten durch mannigfaltige Boskette einigen imposanten Gebäuden entgegen, und da winkte ihnen auch schon das Hotel, das Excellenz in seiner Depesche seiner Tochter zum Absteigequartier bestimmt hatte.

Das Fräulein ging unwillkürlich langsam. Immer seltsamer und beklemmender wurde die Empfindung, die in ihrem Innern sich regte – fast hilfesuchend sah sie sich um, als müßte aus den grünenden Bosketten dort ihr Vater hervortreten, ihr ritterlich den Arm bieten, um sie dieser bedenklichen Situation zu entführen. Ob sie es gewünscht hätte?! In diesem Augenblicke hätte sie die Frage mit einem aufrichtigen Ja beantwortet.

Sie standen vor dem Portale des Hauses. Das Fräulein fühlte ihr Herz hörbar schlagen.

Rupert besaß genug Takt, sie für einen Augenblick um Verzeihung zu bitten, um mit dem herbeieilenden Oberkellner im Vestibül allein zu verhandeln. Der Oberkellner aber schien so zarte Empfindungen nicht zu kennen. Ohne daß Rupert es verhindern konnte, war er mit einem Satze draußen bei dem Fräulein.

„Das beste Zimmer im ganzen Hotel – eben leer geworden. Erste Etage – prachtvolle Aussicht auf das Schloß. Dazu ganz still und ungestört. Die gnädige Frau brauchen es nur einmal anzusehen – gnädige Frau werden gewiß zufrieden sein.“

Dem Fräulein schoß das Blut in den Kopf wie ein Feuerstrom. Aber sie war Weltdame; keine Miene zuckte in ihrem Antlitz, nicht die leiseste Bewegung verriet ihre Empörung.

Rupert hätte den geschwätzigen Kellner prügeln können; er begnügte sich jedoch, ihm jetzt, während das Fräulein zu Boden sah, einen nicht mißzuverstehenden Wink zu geben. „Es handelt sich nicht um ein Zimmer, sondern um zwei. Das beste – hören Sie wohl – das allerbeste, das Sie im ersten Stockwerk haben, gehört dem gnädigen Fräulein; mir können Sie ein bescheideneres im zweiten oder dritten anweisen.“

Der Oberkellner wand sich wie ein Aal –, „hm hm“ murmelte er sehr geheimnisvoll und diskret, lächelte verschämt, rieb die geschmeidigen Hände, hauchte ein „Pardon, mein Herr, alles zu Ihren Befehlen“ und wand sich dann von neuem.

Er hielt die Vorverhandlung für beendet, er „wußte alles“, er komplimentierte das gnädige Fräulein in das Haus.

„Darf ich das Gepäck besorgen für die Herrschaften?“ sagte er hier, geringschätzig die paar Handtaschen musternd, die der Packträger einem der Zimmerkellner übergab.

Wieder errötete das Fräulein bis in die Haarwurzeln. „Wir haben kein weiteres Gepäck,“ erwiderte sie sehr schüchtern.

Der sorgsam gescheitelte Kopf des Oberkellners schnellte ein wenig empor, die roten Brauen zogen sich in die Höhe.

„Ich werde Ihnen meine Aufträge über das Gepäck später geben,“ sagte Rupert jedoch in so kurzer, gebietender Sprache, daß der gescheitelte Kopf wieder einige Fuß tiefer sank. „Und nun rufen Sie das Mädchen, daß es das gnädige Fräulein auf ihr Zimmer geleite; aber ein wenig schnell, wenn ich bitten darf – wir haben keine Zeit zu verlieren!“

Der Oberkellner verneigte sich gravitätisch. Dann mit einem Male war er verschwunden, so schnell und spurlos, daß man meinen konnte, er habe sich in das niedliche Mädchen verwandelt, das mit einem Male vor der Dame stand, ihre Befehle entgegenzunehmen.

„Und nun, mein gnädigstes Fräulein,“ wandte sich Rupert an seine Gefährtin, „ich harre Ihrer hier unten im Flure, und wenn ich mir die unbescheidene Bitte erlauben darf, lassen Sie mich nicht zu lange warten! Die Zeit ist uns schon kurz genug gemessen, und der Weg zum Schlosse ist weiter als es scheint.“

„Bis zum Schlosse?! Sie wollten noch –“

„Aber gnädiges Fräulein, das ist doch einfach selbstverständlich. Dazu hat uns Ihr Herr Papa doch nur telegraphisch hierher verfügt. Was würde er sagen, wenn er morgen hier ankäme und Sie hätten nicht einmal das Schloß gesehen. Er wäre außer sich. Und mit Recht. Sein Sitzenbleiben hätte dann ja auch nicht den geringsten Zweck gehabt. Es ist einfach meine Pflicht und Schuldigkeit, Sie auf das Schloß zu führen, und Sie – Sie müssen sich schon fügen. Es geht nun einmal nicht anders!“

Wie gerne sie sich fügte. „Wenn es denn sein muß,“ sagte sie lachend, „ich bin bereit. Also auf Wiedersehen, mein Herr Ritter!“

„Auf Wiedersehen.“

Noch einmal klingelte Rupert dem Oberkellner.

„Nun, hochgeschätzter Herr Oberkellner, thun Sie Ihr Bestes und lassen uns dort auf der Veranda – nein, nicht hier am Eingang – dort, sehen Sie, in dem kleinen Blumenwinkel, so schnell als es dieses Hotels treffliche Oekonomie irgend gestattet, ein Souper servieren. Keine großen Sachen! Beileibe nicht! Wir haben Eile. Einen Gang nur. Aber einen guten! Den besten! Dazu ein paar Früchte und ein wenig Dessert. Und einen Wein! Keinen fremden. Sondern wirklichen, wahrhaftigen Rheinwein feinster Marke, dessen Gold Sie in schön geschwungenen Römern kredenzen Sie haften für seine Echtheit und Güte!“

Er fühlte sich wie ein Fürst, der inkognito reist. Der Oberkellner wußte bei aller seiner Menschenkenntnis immer noch nicht, wo er diesen Herrn unterbringen sollte. Sein Schwanken kam in seiner Verbeugung zum Ausdruck. Sie war so gehalten, daß er sich mit ihr nichts vergab, und doch war sie devot genug selbst für einen Fürsten. Das Fräulein aber, das von der Treppe herab das Gespräch noch mit angehört hatte, lächelte vor sich hin und schüttelte leise das Haupt.


5.

Sie stand jetzt inmitten des Zimmers, in welches das Mädchen sie geführt. Es war mit einer Behaglichkeit, ja mit einem Komfort eingerichtet, daß sie es nicht einmal zu Hause besser hatte.

Einen Augenblick ließ sie sich in dem weichen Sessel nieder, einen Augenblick ruhte ihr dunkles Auge träumend und sinnend auf dem Boden – dann erhob sie sich lebhaft. Mit dem frischen Wasser, das eben hereingebracht wurde, netzte sie sich Gesicht und Hände und befreite sich von dem Reisestaub. Dann ging sie, ganz in Gedanken, auf und nieder über den schwellenden Teppich, bis sie vor dem hohen Spiegel stehen blieb; er warf ihr ein lebhaft bewegtes Antlitz entgegen mit großen Augen, deren blaues Leuchten ihr noch nie so aufgefallen war wie heute. Machte es die Reise, machte es die seltsame, ihr immer unbegreiflicher erscheinende Lage, in die sie gekommen?

Wunderbar, die lange Fahrt in der schwülen Temperatur, die sie sonst immer so angriff, hatte sie heute gar nicht ermüdet. Sie fühlte sich so frisch, so gehoben, so - -

Sie stand noch immer vor dem Spiegel, strich sich sorgsam die Falten aus dem leichten Sommerkleide, nahm den Hut ab, ordnete die Haare, sie nestelte hier und dort mit der kleinen Hand herum, setzte den Hut auf, ordnete die Haare aufs neue, sie nahm den Hut wieder ab, blickte noch schärfer und prüfender in den großen Spiegel – sie war sonst so schnell fertig, so leicht zufrieden – und heute?! –

„Nein,“ rief sie endlich ganz unwillig, „das ist ja toller, als wenn es auf den Hofball geht – nun genug! Doch halt, das geht noch nicht – so, so ist’s gut!“

Sie nahm langsam die gelbseidenen Halbhandschuhe aus der Tasche und zog sie über die vom Kleidärmel freigelassenen weichen Arme. Lächelnd summte sie ein Liedchen dazu – leise beginnend, dann immer lauter, immer fröhlicher. Sie lachte hell und lustig wie ein Kind, so daß sie sich ganz erschreckt umsah, ob niemand sie gehört habe.

Es war alles zu seltsam, zu wunderlich, zu komisch!

Noch ein kurzer Abschiedsblick in den Spiegel. „So, mein Herr Ritter, jetzt müssen Sie mit mir zufrieden sein! Schöner kann ich mich nicht machen!“

Und das Bild im Spiegel nickte so schelmisch dazu, als wollte es sagen: Er kann auch zufrieden sein, sehr zufrieden.

Sie wandte sich zur Thür. „Adieu, mein kleines Zaubergemach, auf Wiedersehen heute abend – wenn du bis dahin nicht verschwunden bist und mit dir mein Herr Ritter und der Oberkellner da unten – und ich im Coupé an Papas Seite aufwache und alles nur ein Traum gewesen ist.“

Aber ihr Ritter stand unten getreu auf seinem Posten.

Er hatte sich gleichfalls ein wenig zurecht gemacht und vom Staube der Reise gereinigt. Seine schmiegsame elegante Erscheinung kam in dem dunkelbraunen Jackettanzuge so recht zur Geltung, das kluge Gesicht blickte unter dem flotten Reisehut so munter, so fröhlich frisch in die Welt hinaus.

Und das ist nun ein Probekandidat! dachte das Fräulein bei sich. Nicht möglich! Diese Menschen – gesehen hatte sie

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 24. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0024.jpg&oldid=- (Version vom 21.6.2023)