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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Vermeidung etwaiger „Eisbeine“, so fest auf dem eisernen Deck angefroren sind, daß an ein Hochheben der Füße nicht zu denken ist. Wir müssen, wie der Mann, der nach der bekannten Redensart aus der Haut fährt und sich daneben setzt, erst aus den Ueberschuhen heraustreten und diese mit nicht geringer Anstrengung vom Boden losreißen, ehe wir weiter können. Daß wir dabei gehörig Haare lassen müssen und ein Teil der Filzsohlen auf den Eisenplatten zurückbleibt, erhöht nur den Reiz der eigenartigen Situation.

An einer Uebergangsstelle auf dem Stettiner Haff.

Auf den großen Dampfern am Hafenquai ist man, dank dem ununterbrochenen Verkehr, der durch die Eisbrecher aufrecht erhalten wird, lebhaft an der Arbeit. Mehrere von ihnen, darunter ein Amerikafahrer, sollen am nächsten Tage in See gehen. Auch in den Industriedörfern, welche sich eins an das andere schließend stromabwärts am linken Ufer entlang ziehen, herrscht rege Thätigkeit. Besonders an den Schiffswerften sieht man das deutlich. Auf einem Stapel der Oderwerke ragt der stolze Bau des neuen „Imperator“ empor, der die eben erst eingerichtete Schnellzugsverbindung zwischen Berlin und Stockholm über Rügen durch Fahrten von Saßnitz nach Trelleborg vermitteln soll, und auf dem „Vulkan“ in Bredow überraschen die neuen Schiffe des Norddeutschen Lloyd durch ihre ungeheuere Größe. Die „Königin Luise“ liegt, schon fast fertig, im Wasser. Sie macht den Eindruck eines vierstöckigen Palastes, und der alte Schnelldampfer „Saale“, gewiß ein stolzes Schiff, der in ihrer Nähe in Reparatur ist, nimmt sich dem neuen Koloß gegenüber aus wie ein Berliner Säugling neben seiner Spreewälder Amme. Ueberall herrscht emsige Thätigkeit. Nur die Vergnügungsgärten, wo an warmen Sommernachmittagen in der Nähe des kühlenden Stromes würdige Damen bei Kaffee und Napfkuchen das Glück oder noch lieber das Unglück ihres lieben Nächsten erörtern, und abends ganze Familien bei „Hecht und Aal mit Gurkensalat“ lukullisch schwelgen, stehen verödet. Allein die Spatzen sind von allen Gästen noch da und erheben in den kahlen Aesten der Bäume ein gewaltiges Geschrei in Erinnerung an die schönen Zeiten, da noch Brosamen und Kuchenkrümel in üppiger Fülle von der Reichen Tische fielen.

Hin und wieder wird uns auf unserer Fahrt ein nicht mißzuverstehendes pommersches Kraftwort zugerufen. Das kommt aus dem Munde von Leuten, die sich plötzlich durch die neu gebrochene Rinne vom jenseitigen Ufer, zu dem sie hinüber wollten, abgeschnitten sehen.

Früher, als das Eis den ganzen Winter hindurch festlag, da gab es keine Schwierigkeit; für die Männer der Arbeit wie für die des Vergnügens, als da sind Schlittschuhläufer und Schlittenfahrer, waren bequeme Zeiten. Jetzt heißt es, an bestimmten Uebergangsstellen lange, auf Schlittenkufen laufende Brücken über die losen Schollen zu schieben, und es ist nicht jedermanns Sache, auf diesen schmalen, glatt überfrorenen Brettern, die elastisch unter dem Tritt nachgeben, hinüberzubalancieren. Ein unfreiwilliges Bad aber um diese Jahreszeit gehört gerade nicht zu den Annehmlichkeiten.

Allmählich werden jedoch auf unserer Fahrt diese Uebergänge immer seltener, das rechte Ufer tritt immer mehr zurück, der Strom weitet sich zum Papenwasser.

Im Schlepptau des Eisbrechers.

Inzwischen ist in der hübschen Kapitänskajüte, wie man sie so gemütlich mit Dampfheizung und jeglicher Bequemlichkeit auf einem Eisbrecher gar nicht erwartet hatte, ein Frühstück

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 30. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0030.jpg&oldid=- (Version vom 21.6.2023)