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Zug stellt, so daß auch der Erfahrenste in dem Babel sich nicht zurechtfinden kann. Aber nun du, mein armes, liebes Kind! Ein Glück nur, daß du auf den klugen Gedanken kamst, gleich zu telegraphieren. Hätte dir das übrigens gar nicht zugetraut! Aber langweilig muß es für dich gewesen sein in der fremden Stadt, in dem großen Hotel. Und wie du dich geängstigt haben wirst –“

„Daß alles nicht so schlimm gekommen, daß ich gut, ja, Väterchen, sehr gut aufgehoben gewesen bin, das danken wir allein diesem Herrn. Du erlaubst – Herr Doktor Rupert, der mir Ritterdienste geleistet wie nie ein anderer Herr.“

Das alles klang so auffallend warm, es kam aus so vollem Herzen, daß die Excellenz den jungen Mann mit einem sehr kühlen, prüfenden Blicke maß und die Verbeugung, mit der er die tiefe Reverenz des Doktors erwiderte, sehr gemessen und reserviert, für den Ritter seiner Tochter wohl zu reserviert ausfiel.

Auch als sie nun miteinander vom Schloßhofe zur Stadt herabstiegen, blieb die Excellenz sehr zugeknöpft und kühl. Und je mehr das Fräulein von der Herrlichkeit Heidelbergs schwärmte und dem schönen Mondabend an der alten Schloßruine, um so unnahbarer wurde die Excellenz, um so prüfender und forschender der strenge Blick, mit dem das stolze Auge den Probekandidaten ab und zu beehrte.

Das Fräulein durchschaute die Situation bald. Sie hielt es deshalb für angezeigt, ihrem Vater, sowie sie mit ihm auf dem Zimmer ihres Hotels allein war, einen genaueren Einblick in die Sachlage zu eröffnen. Die Folge war, daß die Excellenz dem Probekandidaten sehr freundlich entgegenkam und ihm für die Dienste, die er seiner Tochter erwiesen, freundlichsten Dank abstattete.

Daß er freilich auch dies mit einer gewissen Leutseligkeit und ein wenig von oben herab that, dafür konnte er nichts, das lag einmal in seiner Art, und Rupert that gut daran, es gar nicht zu bemerken. – 00000000000

Noch denselben Tag fuhren sie zusammen nach Berlin.

Die Excellenz fand bald, daß Rupert „Mensch“ genug war, um sich mit ihm unterhalten zu können, und that dies sehr lebhaft. Das Fräulein aber war schweigsam.

Ab und zu nur, wenn sie sich unbeobachtet fühlte, ruhte ihr Blick sinnend auf den ernsten Zügen ihres Reisegefährten, und dann schimmerte für einen kurzen Augenblick wieder jenes Unsagbare auf in ihren Augen.


11.

In einen Berg von Akten versunken, saß in seinem Arbeitszimmer im Unterrichtsministerium zu Berlin der Geheimrat Altstedt, als ihm der Besuch des Fräuleins von Fehrbach gemeldet wurde.

So ganz überraschend kam ihm dieser nicht. Der General hatte bereits mit ihm gesprochen, er war über die Angelegenheit orientiert, welche die junge Dame zu ihm führte.

Aber so leicht machte er es ihr nicht. Er empfing sie mit der unbefangensten, herzlichsten Miene. Er begann eine lange Unterhaltung über ihre Reise, er ließ sich alles von Anfang bis zu Ende erzählen, er kannte alle Orte, in denen sie gewesen, er zeigte ein Interesse, eine Teilnahme, er war unerschöpflich in immer neuen Fragen – das Fräulein mußte sich alle Mühe geben, um nicht gar zu zerstreut in diesem qualvollen Verhör zu erscheinen. Als aber endlich der Augenblick gekommen und sie ihr Gesuch mit zagender stockender Stimme vortrug, da setzte er seine amtlichste Miene auf – so streng, so unnahbar, wie sie ihn noch nie gesehen.

Sie wurde ganz verwirrt und ängstlich. Wäre sie doch lieber in seine Wohnung gegangen, hätte sie die Frau Geheimrätin zu ihrer Vertrauten gemacht – das war der einzige Gedanke, den sie fassen konnte!

„Ja, mein liebes Fräulein Marie,“ sagte der Geheimrat, „so sehr gerade ich mich freue, daß Sie in Ihrer Verlegenheit und Angst einen so trefflichen Helfer gewonnen – – Ihr Herr Ritter mag der beste Kavalier von der Welt sein, ob er aber ein so guter Schulmann ist, daß man ihn in verhältnismäßig noch sehr jungen Jahren hier nach Berlin an eines unserer besten Gymnasien beruft, das weiß ich nicht, und Sie, so lieb ich Sie habe, sind mir auch nicht Bürgin dafür. Doch was haben Sie denn da?“ unterbrach er sich plötzlich selber.

Das Fräulein war dunkelrot geworden.

In der lieblichsten Verwirrung nestelte sie mit der zitternden Hand an einem kleinen Pakete, das sie mitgebracht hatte – endlich war die Hülle entfernt, und sie überreichte dem Geheimrat einige Nummern einer bekannten Zeitschrift.

„Ich bat den Herrn Doktor darum – er gab sie mir – ich dachte …“ brachte sie mit stockender Stimme hervor, und ihre Wangen brannten.

Jetzt war es dem Geheimrat nicht mehr möglich, den gestrengen Ernst seiner Amtsmiene aufrecht zu erhalten – er lächelte leise.

„Also Schriftsteller ist er auch. So so – und mehrere Aufsätze gleich. Lassen Sie sehen. ,Die Pädagogik Rousseaus in ihrem Wert und ihrer Verwendbarkeit für die heutige Schule‘ – die Zeitschrift ist gut, schreibe selber für sie –“

Das Fräulein hatte sich erhoben.

„Nun, mein liebes Fräulein Marie,“ sagte der Geheimrat, „ich werde sehen. Eine bessere Fürsprecherin als Sie konnte sich dieser Herr Doktor Rupert jedenfalls nicht aussuchen. Aber dennoch – so einfach geht das nicht. Der Bewerber, den ich ausersehen, hat zwar eine Anstellung in seiner Heimat vorgezogen, aber gerade diese Stelle hier in Berlin, um die es sich handelt, ist mir von großer Wichtigkeit. Ich muß für ihre Besetzung streng prüfen und wägen. Jedenfalls – das verspreche ich Ihnen – sollen Sie die erste sein, die meine Entscheidung erfährt – –“

Das Fräulein war längst gegangen.

Die Akten lagen noch immer so hoch aufgestapelt wie vorher. Der Bureaubeamte hatte bereits einigemal die Thür behutsam geöffnet. Er war sonst so eine prompte Erledigung bei dem Herrn Geheimrat gewöhnt, und es lagen heute wichtige Sachen vor.

Aber der Herr Geheimrat saß noch immer vertieft in die Zeitschrift, die vor ihm lag, und las. Einigemal nickte er beifällig – jetzt flog sogar ein sonniges Lächeln über seine ernsten Züge.

„Ein Idealist! Gerade so wie ich, als ich jung war!“

Er hatte sich erhoben und war schnell entschlossen an seinen Schreibtisch getreten.

Aber die Akten blieben unberührt – er nahm einen Briefbogen und schrieb einige Zeilen mit raschen Zügen.

Dann klingelte er dem Bureaubeamten.

„Diesen Brief an Fräulein von Fehrbach – aber sofort – er hat Eile!“

Einen Augenblick noch weilte sein Auge nachdenklich auf den Blättern, die vor ihm lagen – dann ging er an seine Amtsgeschäfte. – 00000000000000

Am nächsten Tage wurde Rupert vom Geheimrat empfangen, so freundlich wie vorher nie und auch nicht nachher ein Schulamtskandidat eines ähnlichen Empfangs sich rühmen konnte.

Seine Arbeit hatte dem erfahrenen Kenner sofort den jungen Schulmann von Bedeutung und vielleicht von Zukunft gezeigt, den er brauchen konnte. Die warme Fürsprache des Fräuleins hatte das ihre gethan – die Bedenken gegen seine Jugend waren besiegt und Rupert war ordentlicher Lehrer an dem ihm so besonders sympathischen Gymnasium. – 000000000000000000000

Ein Sommerabend war’s in Berlin.

Oben am weitgeöffneten Fenster ihres Boudoirs stand das Fräulein und blickte sinnenden Auges herab auf die duftenden „Linden“ und das dunkle Gewoge der Menschen unter ihnen.

Die Dämmerung nahm zu. Ein Diener trat ein und überreichte ihr einen Brief, der eben mit der Post angekommen war.

Es war eine Verlobungsanzeige.

Wieder und wieder las sie die einfachen Zeilen. Ein mattes Lächeln spielte um ihre feinen Lippen.

Mit einem Male entsank das Blatt ihren Händen und fiel zur Erde. Und vor den sinnenden Augen entwichen die Linden und das Gewoge der Menschen und der Hufschlag der dahineilenden Pferde. Und empor tauchte eine alte Schloßruine, und der Mond goß sein weiches Licht über ihre Mauern und Zinnen und Türme. Und die weinbekränzten Hügel und Berge grüßten und winkten wie alte Bekannte. Und unter ihren Füßen wogte und rauschte der Neckar, und schimmerndes Silber lag auf seinen Fluten, und in der Tiefe raunten und lockten die Geister.

Noch einmal zog er durch ihre Seele, der kurze Sommernachtstraum in Heidelberg, der schönste, den je sie geträumt.


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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 60. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0060.jpg&oldid=- (Version vom 30.4.2024)