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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Wie das erste Deutsche Parlament entstand.
Ein Rückblick von Johannes Proelß.
I. Märtyrer und Pioniere. (Schluß.)

Das Geheimnis, in welches die seit 1839 von Itzstein nach Hallgarten einberufenen Zusammenkünfte von „Vaterlandsfreunden“ gehüllt waren, blieb bis in den März 1848, in welchem vom Kerne derselben die Einberufung des „Vorparlaments“ ausging, mit bestem Erfolge gewahrt. Zu diesem Kern zählten neben Itzstein, Welcker und jüngeren Rednern der Opposition im badischen Landtag hervorragende Männer von ähnlicher Stellung aus Württemberg, Hessen-Darmstadt, Nassau, Rheinbayern, dem preußischen Rheinland und dem Königreich Sachsen, die fast alle vom Schicksal berufen waren, im Jahre Achtundvierzig als Führer der Volkserhebung zu wirken.

Sylvester Jordan.

Daß das Unternehmen im Sinne der herrschenden Ausnahmegesetze ein Verbrechen des Landesverrats sei, war den Männern natürlich klar. Was ihnen im Fall der Entdeckung bevorstand, das hatte jeder vor Augen, wenn er an das Schicksal Sylvester Jordans dachte, den man in Marburg auf eine bloße Verdächtigung hin mitten aus seiner Thätigkeit als Lehrer des Rechts heraus ins Gefängnis abgeführt hatte. Dort schmachtete er noch, ohne daß bei dem bestehenden geheimen Inquisitionsverfahren von seinem Schicksal ein Laut an die Oeffentlichkeit drang. Und nicht gar weit von Hallgarten, in Darmstadt, lag auch der Kerker, in dem sich der unglückliche Weidig das Leben genommen hatte, aus Verzweiflung über die geistige und auch – körperliche Mißhandlung, die ihm durch seinen brutalen Untersuchungsrichter dort zu teil geworden. Da ihm keine andere Waffe zu Gebote gestanden, hatte sich Weidig mit Glasscherben die Pulsadern aufgeschnitten.

Die Zusammenkünfte der Vaterlandsfreunde erfolgten daher, wie der Historiker Wilh. Zimmermann, selbst ein Achtundvierziger, in seinem Buche „Die deutsche Revolution“ erzählt, unter Wahrung der größten Vorsicht. Auf verschiedenen Wegen kamen sie einzeln oder zu zwei und drei zum Stelldichein. Der schriftliche Verkehr zwischen den Gesinnungsgenossen wurde aus Furcht vor der politischen Polizei, die das Briefgeheimnis nicht achtete, in verabredeten Ausdrücken geführt, die darauf berechnet waren, jene irre zu führen. Aus dem Nachlaß eines später hinzugetretenen preußischen Volksmanns ist eine Einladung erhalten geblieben, welche ein Teilnehmer aus Sachsen (Robert Blum) im Auftrag Itzsteins um die Mitte der vierziger Jahre an ihn richtete. Der Anfang des merkwürdigen Schreibens lautet: „Meine Pflicht legt mir auf, Sie zu benachrichtigen, daß die im Mai vor. J. beschlossene Familienkonferenz im August und zwar auf dem Gute meines alten Onkels Hallgarten bei Oestrich am Rhein stattfindet, und Sie einzuladen, derselben beizuwohnen oder irgend einen Verwandten zur Teilnahme zu veranlassen u. s. w.“ Die hier hervorgehobenen Worte sollten in unbefugten Lesern den Glauben erwecken, es handle sich bei dieser Bestellung um einen harmlosen „Vetterntag“.

Karl Todt.

Die Ziele der heimlich Verbündeten waren thatsächlich friedlicher Natur. Sie konspirierten nicht mit den Verschwörern des Auslands, wie viele der deutschen Flüchtlinge in der Schweiz, in Paris, die sich Mazzinis „Jungem Europa“ angeschlossen. Sie bildeten auch keinen wirklichen „Bund“, wie Jucho in seiner Einleitung zu der offiziellen Ausgabe der Verhandlungen des „Vorparlaments“ hervorhebt. Sie gedachten, die „deutsche Frage“ aus eigner Kraft mit Hilfe der verfassungsmäßigen Rechte, über die sie jetzt noch verfügten und weiter verfügen würden, der Lösung zu nähern. Sehr verschieden nach Stand, Vermögen und Glauben, auch abweichend voneinander im Grad ihres Freiheitsverlangens, waren sie alle einig in der Ueberzeugung, daß die Freiheit in den einzelnen Staaten Deutschlands auf die Dauer nur gewonnen werden könne, wenn eine liberale Bundesreform zugleich die politische Einheit Deutschlands anbahne. Daß vereinzelte Forderungen im Sinne des Antrags Welcker vom Jahre 1831 erfolglos seien, hatte dessen Schicksal erwiesen. Auch die herrliche Rede Uhlands, mit welcher dieser zwei Jahre später in dem „vergeblichen“ württemberger Landtag seiner Hoffnung auf ein „machtbegabtes Organ deutscher Nationalgesinnung“ Ausdruck verliehen, war unter dem Banne der Bundesbeschlüsse wirkungslos verhallt. Es mußte der Versuch gemacht werden, durch gleichzeitiges Vorgehen in den Volkskammern der verschiedenen Verfassungsstaaten nach gemeinsamem Plan den Erfolg zu erzwingen. Aber unter dem Hochdruck der herrschenden Ausnahmegesetze war dafür die Zeit noch nicht reif. Erst galt es, durch immer erneute Anträge und rücksichtslose Kritik die Presse von dem Joch der allem Recht, aller Bildung hohnsprechenden Censur- und Polizeiwillkür zu befreien, die Ausnahmegesetze zu beseitigen und die Bedingungen für ein wahrhaft öffentliches Leben dem Volke zurückzuerobern.

Robert Blum.

Die erste Gelegenheit zu solchem gemeinsamen Vorgehen bot das Verhalten des Bundestags gegen den im Königreich Hannover erfolgten Verfassungsbruch. Trotz des Ansehens, das die sieben aus Göttingen verbannten Professoren genossen, trotz des mächtigen Widerhalls, den ihr Protest und ihre Verteidigungsschriften im gesamten deutschen Bürgertum fanden, trotz der vielen Petitionen, die aus Hannover an den Bundestag um Hilfe ergingen, hatte dieser jede Einsprache abgelehnt. In den konstitutionellen Staaten Deutschlands wurden nunmehr die Volkskammern zu Organen der allgemeinen Entrüstung darüber. Im badischen Landtag hatte Itzstein schon vorher wiederholt gegen den Gewaltakt des Königs Ernst August seine Stimme erhoben und im sächsischen Landtag war der Advokat v. Dieskau aus Plauen seinem Beispiel gefolgt. Jetzt gab Sachsen, wo Karl Todt, der Bürgermeister von Adorf, energisch die Opposition führte, das Beispiel, und die Beschwerden H. G. Eisenstucks und v. Watzdorfs fanden die lebhafte Zustimmung des Hauses. Bald gab es kaum noch einen konstitutionellen deutschen Staat, in dessen Volkskammer nicht ein energischer Protest gegen die Vergewaltigung des Rechts durch den König von Hannover unter stürmischem Beifall widergeklungen wäre.

Aber auch noch andere Verfahren, dem gemeinsamen Ziel sich zu nähern, traten gleich nach der ersten dieser Zusammenkünfte ins Spiel. An dieser hatte neben den beiden sächsischen Kammerabgeordneten, welche zuerst es gewagt hatten, „deutsche“ Angelegenheiten vor das Forum des Dresdner Landtags zu bringen, den schon genannten Vogtländern Todt und v. Dieskau, ein in Leipzig ansässiger, aus Köln gebürtiger Politiker teilgenommen, der, obwohl nicht selbst Abgeordneter, sich im Dienst der Kammeropposition neuerdings als hervorragender Agitator bewährt hatte. Dies war Robert Blum. Als die Professoren Dahlmann und Albrecht nach ihrer Vertreibung aus Göttingen in Leipzig Zuflucht

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 61. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0061.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)